GZ_Virgen_2022_02

47 Dorfleben – Menschen Virger Zeitung Kaum ausgeschult, musste sie ein- springen, wo „Not amMann“ war: sei es „in die Wies‘n gehen“ oder bei alten, schwerkranken Leuten wäh- rend der Nacht Wache halten oder Kinder tagsüber betreuen – natürlich alles um Gottes Lohn. Fürs „Grant‘n klaub‘m“ wurde sie mit getragenen Kleidungsstücken abgespeist. Den ersten Verdienst erhielt sie mit 16 Jah- ren als Sennerin in der Maurer Alm, freilich nicht in klingender Münze, sondern in Form von zwei Kilo But- ter für jede aufgetriebene Kuh. Ihre Mutter machte dann den „Butter- berg“ zu Bargeld, um für die Buben Schuhe kaufen zu können. Unterhaltungen für Jugendliche gab es früher keine, man traf sich höchs- tens bei einer „Åbendhössat“ oder einem „Fraktiuns Gunggl“. Den- noch haben die jungen Leute Mittel und Wege gefunden, um zusam- menzukommen – sonst hätte es ja keine Ehepaare mehr gegeben. Ab und zu kam ein Wanderkino in Wirts Garage (ehemaliges ADEG bzw. Schlecker Geschäft) und auf Stoff’n Stådl wurde Theater ge- spielt. Als religiöse Aufführung ist noch das Rosenkranzspiel beim Wenter in lebhafter Erinnerung, es wurde auch von vielen Auswärti- gen besucht [Sommer 1935]. Lede- rer Emma spielte die Maria, der „långe Sombma“ den Luzifer. Viel Aufregung und Unruhe brachten die Filmleute nach Virgen, wurden doch etliche Filme hier gedreht: Der unsterbliche Lump, So gefällst du mir, Der Weibsteufel, Konzert in Tirol, Die Magd von Heiligen- blut, Der schönste Tag meines Lebens. Teilweise wurden die Leute als Komparsen gut bezahlt. Sonst gab es nur wenig Verdienst- möglichkeiten. Manche Buben gin- gen auf „Wilschger“-Jagd, die Häute wurden abgezogen, aufgespannt und einem Fellhändler um ein bisschen Geld verkauft. Aber natürlich gab es da Auseinandersetzungen, wer auf welchem Gebiet seine Fallen aufstel- len durfte. Wer eine Büchse hatte, schoss im Winter gern auf die „Dochn“, konnte man doch ihre Flaumfedern für die Betten gebrau- chen. Ab Mitte der 1920er-Jahre hat- ten etliche Männer beim Straßen- bau einen regelmäßigen Verdienst. „Angschtla Friedl“ [der Bildhauer Prof. Gottfried Fuetsch] schleppte zu dieser Zeit in der Nacht Zement auf die Baustelle der Bonn-Matreier- Hütte – für 18 Groschen pro Sack! 1 kg Zucker kostete 60 Groschen, 1 Packerl Tabak 38 Groschen, und ein Stollwerk [viereckiges Karamell- zuckerl, einzeln verpackt] 1 Groschen. Informationen über das Weltgesche- hen drangen nur sehr langsam in unser Dorf vor. Das besserte sich erst, als Virgen in den 1940er-Jahren an das Stromnetz angeschlossen wurde. „Seppelas“ hatten das erste Radio – da standen die Leute zur Ladentüre heraus, wenn dieses „neu- modische“ Ding eingeschaltet war. Ansonsten erfuhr man Neuigkeiten aus dem wöchentlich erscheinenden „Tiroler Volksboten“, der Bauernzei- tung oder dem Kirchenblatt. Nach Feierabend trafen sich die Nach- barsleute gern zu einem „Hoan- gascht“ auf der Hausbank oder in der Stube. Dabei ging auch so man- che Anekdote von Mund zu Mund – und wurde bei jeder Erzählung ein bisschen mehr ausgeschmückt. Bei den Kindern waren die Geister- geschichten besonders beliebt, da spielte sich dann der Gruselfilm in den fantasiereichen Köpfen ab. Ge- fürchtet hat man sich schon auch, aber trotzdem die nächste Ge- schichte nicht versäumen wollen. Im Winter fuhren die Buben auf selber gemachten Schiern. Die ers- ten gekauften „Bretter“ hatte „Mut- ters Pius“; da schaute sich der Moser Lois das Patent ab, und nun gab es „Moser-Schi“ aus Eschenholz. [So plötzlich wird der Gesprächs- Nachmittag wohl nicht geendet haben, allerdings gibt es von ihm keine weiteren Aufzeichnungen] Virger Jugend, 1926. Von links: Johann Bacher, vlg. Martler; Josef Egger, vlg. Bruggenhöller; Alois Bacher, vlg. Martler; Andrä Entstrasser, vlg. Jobmer; Franz Ober- pichler, vlg. Schmied; Sebastian Egger, vlg. Dollinger Wåstl Vorne sitzend: Ida Oberpichler, vlg. Schmied, geb. Bacher, vlg. Martler Auf ihrem Schoß: Maria Leitner, vlg. Post Marie, geb. Bacher

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