GZ_Tristach_2021_12

18 Bücherei Dez. 2021 Weihnachtsgeschichte ... apropos Vertrauen: hier noch eine Geschichte zum Thema: Eines Tages klopfte es an meiner Tür. Ich öffnete und vor mir stand ein klei- nes, fast durchsichtiges Wesen. „Grüß Dich,“ sagte es. „Ich bin das Vertrau- en. Du hast mich so lange nicht be- achtet, deshalb bin ich hier, ich will nicht ganz verschwinden. Darf ich he- rein?“ Es wartete meine Antwort nicht ab, kam durch die Tür und blieb wie angewurzelt stehen. „Oh je!“, rief es aus, „Das hab ich fast erwartet.“ Ich sah mich um und war irritiert. Alles war wie immer. Auf der Couch saß wie immer die Enttäuschung, zusammen mit der Hoffnungslosigkeit. Beides keine sehr angenehmen Mitbewohner, die sich zudem im Laufe der Zeit ext- rem breit gemacht hatten, so dass ich selbst kaum noch Platz hatte. Vorm Fernseher lümmelten sich die Langeweile und die Phantasielosig- keit und stopften sich mit Chips voll. Mein Bett hatte die Traurigkeit in Beschlag genommen, weinte die gan- ze Zeit leise vor sich hin und wurde immer dann so richtig laut, wenn ich schlafen wollte. Überhaupt war der Krach von allen kaum auszuhalten, so dass ich mich immer mehr auf einen kleinen Hocker in der Ecke zurück ge- zogen hatte. „Nein!“, rief das Vertrauen laut. „So geht das aber nicht. Schämt ihr euch nicht, soviel Raum einzunehmen. Wo sind denn die Liebe hin und der Mut, die Energie und die Freude!?“ Es wur- de ganz still. Alle schauten ratlos. „Ich weiß es nicht, ich habe sie lange nicht gesehen. Die Liebe war eh kaum da, aber Energie, Mut und Phantasie wa- ren früher mehr“ antwortete ich leise. Das Vertrauen sah mich mitfühlend an, kam auf mich zu und nahm mich in die Arme. „Fühlst du das?“ fragte es. Obwohl es so zart war, war es, als hätte es mich komplett in eine dicke weiche Decke eingehüllt. Ich fühlte mich wunderbar geborgen und mach- te die Augen zu. Alles in mir und au- ßen war schlagartig ruhig. „Spür jetzt mal in dich“, flüsterte das Vertrauen sanft. „Merkst du das Rau- schen in dir, fühlst du deinen Herz- schlag? Jede deiner Zellen versorgt dich jeden Tag mit Energie, dein Herz klopft in einem steten Rhythmus, wie ein Motor. Dein Blut rauscht durch Dich hindurch und hat immer eine angenehme Temperatur. Du bist als Wunder erschaffen worden, in dem al- les tadellos funktioniert. Du bist Liebe, die eine sichtbare Gestalt bekommen hat. Wenn du Dir selbst genug Auf- merksamkeit schenkst merkst Du, Du bist das Wichtigste in Deinem Leben. Hör in Dich. Vertrau Dir.“ Ich öffnete die Augen, wie nach einem langen, wunderschönen Traum und sah mich um. Der Raum um mich war verändert. Alle negativen Gefühle, die ich viel zu lange hier hatte wohnen las- sen, waren merklich geschrumpft. Die Energie war auch wieder aufgetaucht und hielt die Phantasie an der Hand, auch die Zufriedenheit versteckte sich schon, noch ein wenig klein, hinter den beiden. Das Glück hatte sich be- schützend hinter allen aufgebaut. Und in der Luft die vorher schal und ab- gestanden roch, war ein wundervoller Geruch, der alles umgab. „Was ist das?“, fragte ich das Vertrau- en. „Das“, lächelte es,“ist die Liebe. Sie war immer da, sie brauchte nur etwas mehr Beachtung. Aber wenn sie die hat, wächst sie extrem schnell. Oh, und wenn Du sie teilst, dann wird sie allumfassend!“ Mit viel Vertrauen starten wir ins neue Jahr, denn: „Wenn es mir schlecht geht, gehe ich nicht in die Apotheke, sondern zu meinem Buchhändler.“ Philippe Dijan

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