GZ_Obertilliach_2020_05

Rund ums Dorf Seite 34 Mai 2020 Neues vom Chronistenteam von Michael Annewanter Es war in der Zeit nach dem ersten Weltkrieg, da musste ich in den Sommerferien „Kiah und Goaße“ hüten. Ich war ca. 10 Jahre alt und wohnte mitten im Dorf Ober- tilliach bei meiner Großmutter. Mein Vater war noch in italienischer Kriegsgefangenschaft, die Mutter irgend- wo Dienstmagd. Die Winterschulzeit endete seinerzeit mit 30. April. Nach der Schulzeit wurde mir die Aufgabe übertragen, Ziegen (Goaße) zu hüten. Anfangs jene vom eigenen Bauern, dann einige Wochen später jene vom ganzen Dorf. Es waren an die 200 Stück oder darüber. Ich war allerdings nicht alleine, sondern einem älteren Schü- ler vom Dorf zur Hilfe zugeteilt. Ich nenne diesen älteren Buben H. und mich selbst A. Beide waren wir Bauernbu- ben und von daheim in keiner Weise verwöhnt worden. Die Hirtenzeit dauerte von Anfang Mai bis Allerheiligen. Als Lohn erhielt ich 200 und H. als erster Hirte, 300 da- malige österreichische Kronen. Hier sei bemerkt, dass seinerzeit in Österreich die Geldentwertung stattfand, so dass dieser vereinbarte Lohn, die Kaufkraft bis zum Herbst, ungefähr zur Hälfte einbüßte. Von diesem Lohn habe ich im Herbst, nach Beendigung der Leistung, nichts gesehen und gehört. Ich erhielt vom Unterkunftgeber le- diglich die Verpflegung. Die Kleidung stellte mir meine Mutter, bzw. meine Großmutter zur Verfügung. Das Essen bestand aus dem Frühstück – Suppe, Milch und Brot – und dem Abendessen. Dies waren in der Regel Reste von der Mittagsmahlzeit der Hausangehörigen, ansonsten wie beim Frühstück. Für Mittag erhielt ich jeden Tag ein halbes Bauernbrot („Breatl“), sonst nichts. Da ich beim Frühstück um ca. 6 Uhr appetitlos war, konnte ich fast nichts essen. Das „Breatl“ wurde daher kurze Zeit später unterwegs verzehrt. Die Ziegen wurden von den Bauern recht zeitlich in der Früh, zwischen ½ 6 und 6 Uhr, an ei- nen bestimmten Platz im Oberdorf (Schoade“) gebracht. Von dort wurde die ganze Herde („Kutte“) durch das Oberdorf und im weiteren Verlauf auf einem für diesen Zweck bestimmten Weg („Zaine“) in das Tilliacher-Tal auf die Weide getrieben. Nach ungefähr einer Stunde Geh- bzw. Triebzeit wurde am sogenannten Pfaffenboden die erste Rast eingeschal- tet. Hier hielten die Geißen selbstständig an. Die Leitgeiß stieg auf eine erhöhte Steinplatte und legte sich nieder. Die übrigen nahmen den Platz rundherum liegend ein. Nach einer bestimmen Zeit setzte sich die Leitgeiß selbst- ständig in Bewegung und die übrigen folgten ihr. Sie war also während des ganzen Tages die Führerin der Herde. Nur mussten sie und die Herde von da ab (Pfaffenboden) Das „Hiaterbiabl“ Erinnerungen an meine Jugendzeit in Obertilliach Bericht von Andreas Schneider, vlg. Leiter Ando-Rodarm, mit Genehmigung seiner Tochter Gerlinde. wie von Hirten geplant, eingewiesen werden. Wir Hirten hatten dabei die Aufgabe, die („Kutte“) in ausgedehnter Form zusammenzuhalten und die letzten Ziegen nach- zutreiben. Während dieser Tätigkeit gab es für uns keine Rast. Für die Ziegenweide stand uns das ganze Tilliacher -Tal, nord- und südseitig zur Verfügung. Als die „Kutte“ um die Mittagszeit auf einem gewissen Punkt anlangte, machte die Leitgeiß Halt und legte sich hin. Die übrigen folgten ihr und taten dasselbe. Diese Hauptrast zu Mittag bestimmte wiederum die Leitgeiß, sie dauerte ca. 1 ½ Stunden, je nach der Witterung. Wäh- rend dieser Zeit konnten auch wir uns ausruhen. Zum Essen hatte ich in der Regel nicht mehr viel. Wir molken daher ein oder zwei Ziegen, was den Hüterbuben von den Bauern stillschweigend gestattet wurde und tranken diese Milch. Da H. magenleident war, kochte er sich zu Mittag stets einen Milchbrei. Nach der Mittagsrast weideten die Geißen in der näheren und weiteren Umgebung des Rastplatzes bis in den Nach- mittag hinein. Anschließend begab man sich mit der wei- denden „Kutte“ heimwärts. Auf der Talsohle sahen wir nach, ob die Herde vollzählig war. Da wir jede Ziege kann- ten, war dies leicht möglich festzustellen. War alles da, war es gut. Wenn eine oder mehrere fehlten, mussten wir suchen. Meistens traf es mich, dies zu tun. Ich wusste beiläufig wo sie zu finden waren. Falls wir irgendwelche Geißen nicht zu Hause brachten, was ja selten vorkam, gab es abends im Dorf Tadel und unter Umständen auch Schläge. So verging der eine Tag nach dem anderen. Ob Regen, Sonnenschein oder Kälte, es kam doch das ersehnte Ende. Als das hohe Fest „Allerheiligen“ kam, hatten wir unsere Pflicht getan und wir konnten vom Hüten aufhö- ren. Am Tag nach Allerheiligen gingen wir, H. und ich, mit einem kleinen Buckelkorb von Haus zu Haus, um die tra- ditionellen Allerheiligen-Krapfen und Brote („Breatlan“) zu sammeln. Bei dieser Tätigkeit erhielten wir zusätzlich Lob oder Tadel. Dies gehörte eben noch dazu. Ich war froh, dass ich alles gut überstanden hatte, obwohl ich den ganzen Sommer in der herrlichen Bergwelt, zwischen Alpenrosen und Latschen, verbringen und auf diese Art und Weise die Natur mit ihren Reizen und Tücken genie- ßen hatte können. Wir Hirten besuchten auch öfters die alten österreichi- schen Stellungen vom Ersten Weltkrieg am Tilliacher- Joch und Bärenbadeck (Karnische Alpen). Sie waren in

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