GZ_Tristach_2021_06

Juni 2021 Über das Federvieh 15 Im schweizerischen Wallis sind auf Wegkreuzen meist die Marterwerkzeuge Geißel, Rute, Zange und Lanze neben dem Korpus angebracht und auf der Kreuzspitze ist ein Hahn mit offenem Schnabel. In Zeiten, als Hähne noch ungeniert krähen durften, wurde der Tagesanfang mit „beim ersten Hahnenschrei“ be- zeichnet. Bei den Römern gab es sogar ein Hühnerorakel. Hennen oder Hähne sollten den Ausgang einer Schlacht vo- raussagen. Über die Entstehung des Wallfahrts- kirchleins in Gwabl gibt es die Sage von der „Opferhenne“. Um Kindersegen zu erbitten, wird eine schwarze Henne ge- opfert. Pilger nach Santiago di Composte- la staunen in einem Seitenschiff der Basilika von Santa Domingo über eine weiße Henne und einen weißen Hahn im schönsten Hühnerstall der Welt. Sie werden alle vierzehn Tage gewechselt und sind durch ein Gitter vor den Zugrif- fen der Pilger geschützt, die den Tieren immer wieder eine Feder als Souvenir ausreißen wollten. Ihre Anwesenheit in der Kirche verdanken sie folgender Ge- schichte: Vor langer, langer Zeit machte ein deutsches Ehepaar mit seinem ju- gendlichen Sohn auf der Wallfahrt nach Santiago in Santa Domingo Station. Der junge Mann wurde des Diebstahls ver- dächtigt und zum Tode verurteilt. Um die Freilassung ihres unschuldigen Soh- nes zu erbitten, eilten die Eltern zum Richter. Dieser war gerade dabei, ein gebratenes Huhn zu verspeisen und sagte: „Euer Sohn ist ebenso wenig un- schuldig, wie dieses Huhn lebendig ist.“ Im selben Moment bekam die Henne Federn und flog davon. Der zu Unrecht Verurteilte wurde freigelassen. Der Ort „Hühnergeschrei“ im Mühl- viertel wird jedem Besucher des Na- mens wegen in Erinnerung bleiben. Der berühmte russisch- französi- sche Künstler Marc Chagall lässt oft Haustiere durch seine Bilder schweben. Hähne haben es ihm besonders angetan. Er stellte sie auch solo in bunten Portraits dar. In der Kulinarik war es ein weiter Weg von den Kapaunen in den alten Kochbüchern, über die Grillhendl- stationen, deren Pro- dukte geringschätzig als Gummiadler be- zeichnet wurden, bis zu den Chi- cken Nuggets bei Mc Donalds. Genera- tionen von Tristacher Kindern kehrten in der 4. Klasse bei der Innsbruckfahrt im Wiener-Wald ein und verspeisten dort Brathühner. Als am Land die meisten Kinder noch zu Hause geboren wurden, wurde für die Wöchnerin eine kräftige Hühner- suppe gekocht. (Dass sich der Kindsva- ter bei dieser Gelegenheit ein Hahndl braten ließ, mag ein Gerücht sein.) Auch im Schlager brachte es ein Hahn zu großer Bekanntheit.: „Her mit meinen Hennen.“ Das Lied wurde bei Volksfesten landauf und landab gespielt. In der Kathedrale Santo Domingo de la Calzada Hahn auf der Spitze eines Wegkreuzes im schweizerischen Wallis

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