GZ_Kartitsch_2021_03

Seite 36 Ausgabe 87 Historisches: Nazi - Zeit in Kartitsch Sofort wurde auch der Reichsnährdienst aktiv mit kontrollierter Viehhaltung und Schlachtung bzw. Schlachtungsverbot sowie Fleischbeschau, ebenso mit Ablie- ferungsvorschreibungen für Getreide und Kartoffeln. Für Nichtlandwirte gal- ten Lebensmittelkarten für Milch, Brot, Fleisch usw. und später Bezugscheine für Bekleidung oder Schuhe. An Be- darfsgütern gab es während der ersten Kriegszeit noch vieles zu kaufen und den Bauern wurden noch verbilligte Gebirgspflüge und Elektromotoren an- geboten, ebenso wurden Baumaßnah- men und Verbesserungen am bäuerli- chen Haus und Hof finanziell gefördert. Später und gegen Kriegsende gab es beinahe nichts mehr zu kaufen. Immer mehr und zusehends unbeliebter wurden die regelmäßigen Haus - und Straßensammlungen der NSV (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt), Eintopfsonntag, Winterhilfswerk, Sude- tendeutsche Hilfe und weitere. Frauen und Schulkinder wurden wiederholt an- gehalten, Altmetall zu sammeln. Trotz Krieg war die Parteiarbeit nicht zu vernachlässigen und dabei besonders die HJ (Hitlerjugend) und BdM (Bund deut- scher Mädel). Zwar galt für beide Pflichtmitgliedschaft, in kleineren Orten war man jedoch etwas im Verzug. Wohl aber bestanden in Kartitsch Ortsgruppen, die aber vom Krieg eingeholt wurden. Die HJ galt als Vorstufe über den RAD zur Wehrmacht, wofür die Burschen nun dringend benötigt wurden. Daher vormi- litärische Ausbildung, Wehrunterricht, Waffenübungen und Kriegshilfsdienste. Die Mädchen wurden, soweit sie nicht auf dem elterlichen Hof benötigt wur- den, für Kindergärten, Rotes Kreuz oder Lazarette ausgebildet. Ab Kriegsbeginn wurden sie ebenfalls über den RAD zu sechs Monaten Arbeitsdienst verpflich- tet, vorrangig in der Landwirtschaft oder im bäuerlichen Haushalt, oft bereits als Ersatz für die eingerückten Männer. Ab 1940 stand ein „ Arbeitsmaidenlager “ in Sillian. Letztlich brachte die Parteiarbeit in Kar- titsch aber nur geringe Erfolge. Noch Ende 1940 wird dies in der Gendarmerie - Chronik von Kartitsch beklagt: „… da die Leute hier, trotz der Besser- stellung, sowohl in finanzieller als auch in wirtschaftlicher Hinsicht und trotz der reichlichen Unterstützungen vom Natio- nalsozialismus nichts wissen wollten. Auffallend ist, dass bis heute von der his. Bevölkerung noch niemand der Partei beigetreten ist. “ Besonders gepflegt und gefördert wurde das Scheibenschießwesen, da das Schie- ßen am Schießstand der Wehrertüchti- gung galt. Der alte Schießstand war nicht mehr zeitgemäß und zudem diente er zur Ein- quartierung von Zwangsarbeitern, daher wurde, wie in vielen anderen Orten auch, in Kartitsch ein neuer Schießstand errichtet. Er befand sich etwas östlich des bisherigen, in unmittelbarer Nähe zum Haus Waldhof. Die Zieleindeckung wurde wie bisher in den Winkler Feldern eingerichtet. Völlig zeitgleich mit dem Kriegsaus- bruch im Herbst 1939 bahnte sich im benachbarten Südtirol die Tragödie der Option und Umsiedlung an. Innerhalb weniger Monate musste sich die Bevölkerung entscheiden, im fa- schistischen Italien zu bleiben oder ins Deutsche Reich umzusiedeln. Letztlich entschieden sich etwa 85 % zur Option und so wanderten in den nächsten Jahren 75.000 Südtiroler in die Ostmark (nach Österreich) aus. Auch in Kartitsch fan- den drei Familien mit Kindern, insge- samt 26 Personen, eine neue Heimat. (Fam. J. Tschurtschentaler, Hollbruck, Fam. A. Egger, St. Oswald und etwas später Fam. A. Rinner, Hollbruck). Trotz ersten Erfolgsmeldungen nach dem Kriegsausbruch 1939 über den Vor- marsch der Truppen und eingenommene Gebiete, trafen daheim ebenso bald Mel- dungen über Gefallene und Vermisste ein. Von den insgesamt 270 Kartitscher Burschen und Männern, die in diesen unseligen Krieg einrücken mussten, ka- men 45 nicht mehr zurück. Hollbruck hatte vier Gefallene zu bekla- gen, Kartitsch 41, von denen zehn als vermisst galten. Von der Familie Wie- ser, Außerklieber (Roder), blieben drei Söhne im Krieg und von der Familie Kofler, Innerdraschl, sogar vier. Religion und Kirche waren in diesen Tagen für viele Trost und Stütze und der Pfarre und Bevölkerung blieb die Aufga- be, sich in den Sterbegottesdiensten in würdiger Weise zu verabschieden. NS - Plakat, Aufforderung zum Eintritt in die Hitler- jugend. Verabschiedung von Südtiroler Optanten, am Bahnhof in Brixen

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