GZ_Kartitsch_2020_10

Seite 25 Ausgabe 86 Historisches - Kindheitserinnerungen Als ich einige Tage später, genauer am 6. Mai morgens zur Schule kam, gab es auf dem Schulplatz einen heftigen Streit mit dem Lehrer. Einige namentlich be- kannte Bauern, (lt. Gend. Chronik Josef Kassewalder, Schader, Johann Egger, Gass und Josef Bodner, Fuchser) erklär- ten sich als Delegation der Gemeinde und verboten dem nationalsozialisti- schen Schulleiter Steinbrenner jede wei- tere Unterrichtung der Kartitscher Schulkinder. Zugleich drohten sie ihm, den Ort zu verlassen. Im Einverständnis der Schulbehörde verließ Lehrer Stein- brenner tatsächlich am nächsten Tag Kartitsch. Vom offiziellen Kriegsende und der Kapitulation der Deutschen Wehrmacht erfuhr man in Kartitsch eigentlich nichts, nur die noch wenigen Rundfunk- besitzer hörten dies über das Radio. Am Morgen des 9. Mai kam erstmals wieder unser geachteter Oberlehrer Franz Föger in die Schule und brachte uns Schülern wieder das „ Grüß Gott “ bei. Am 14. Mai wurde die Schule für dieses Schuljahr geschlossen. Schulleiter ab Herbst 1945 wurde Hermann Lerget- bohrer (Schulchronik). Noch etwas sei vermerkt: Am bereits genannten Morgen des 6. Mai brannte am Schulplatz, in nächster Nähe des Gemeindeamtes, ein Feuer, in dem auch Papier verheizt wurde. Erst als ich in alten Tagen mit Heimatforschung be- gann, begriff ich, dass damals eventuell belastendes Aktenmaterial der NS - Jahre verheizt wurde. Einige Tage später kam eine britische Beiwagenmaschine (Dreiradmotorrad) ins Dorf, neben den beiden Militärs ein Jäger von der Asslinger Gegend, der offensichtlich mit meinem Onkel, vlg. Gaß, Jagdkontakte für die britischen Besatzer anbahnen wollte. Während wir Buben das exotische Fahrzeug bestaun- ten, verteilte der britische Armeefahrer an uns eine Tafel Schokolade, die wir somit zum ersten Mal sahen und verkos- ten durften. Auch Wein und seine Wirkung kannten wir Buben damals nicht. Getarnt im Wald westlich der Straße in Tassenbach (etwa heute Nordpan - Gelände) stand ein deutsches Militärlager, von dem man nach dem Zusammenbruch Brauchbares holen durfte. Auf Geheiß meines älteren Bruders schnüffelte ich also in diesem Tassenba- cher Lager, bepackte den Rucksack mit ohnehin völlig nutzlosem Zeug und be- gab mich zur Bahnhaltestelle und auf den Heimweg. Ein deutscher Wachmann verteilte dort aus einer großen Milchkan- ne in die Menageschalen mehrerer Kol- legen ein rotes Getränk und meinte zu mir, ob ich auch trinken möchte. Zu- gleich füllte er mir ebenfalls den Deckel einer Menageschale und schenkte noch nach. Ich hatte Durst und der rote Saft mundete. Doch der Heimweg funktio- nierte nicht mehr recht, erst mit Mühe und viel Zeit schaffte ich die Monegge - Abkürzung bis zur ersten Straßenque- rung. Da kam nun mein Onkel mit sei- nem täglichen Muli - Fuhrwerk heim- wärts, Post - und Bedarfsgüter - Transport von Sillian nach Kartitsch. Autos konn- ten wegen der bereits erwähnten Panzer- sperre nicht verkehren. Der gute Onkel erkannte wohl meine Not und nahm mir zumindest den Rucksack auf das Pferde- gespann. Als ich mit großer Mühe gegen Abend heimkam, empfahl mir die Mut- ter den Platz auf dem Stubenofen und nach einem ergiebigen Schlaf war ich wieder nüchtern. Talein - und auswärts zogen in diesen Tagen nach dem Kriegsende Soldaten der aufgelösten deutschen Südarmee auf ihrem Weg nach Hause. Viele suchten nach einer Mahlzeit oder einem Nacht- quartier, nicht wenige erledigten um die Verköstigung gute handwerkliche Ar- beit. Die „ Heidillö “ in unserem Stadel war einige Nächte voll belegt. Allge- mein richteten diese Männer aber keinen Schaden an. Zurück blieben oft Kriegs- gut, Bajonette, Sturmgewehre und Mu- nition, die wir Buben dann heimlich und unerlaubt verschossen. Dass weggewor- fenes Kriegsgut auch lebensgefährlich war, zeigte ein schweres Unglück im „ Schachen “, einem Ablagerungsplatz oberhalb der Mooserhöfe. Mehrere Kin- der spielten dort nichtsahnend mit zu- rückgelassenem Kriegsgerät, wobei eine zu Boden geschmissene Eierhandgranate explodierte und das etwa 9 - jährige Schulkind Maria Strasser lebensgefähr- lich verletzte. Nur mit viel Glück und die Kunst der Ärzte konnte dem Mäd- chen der rechte Arm erhalten bleiben. Später kam eine Herde von Reitpferden der Kosaken ins Dorf, mit denen wir das Reiten versuchten, aber selten auf dem Pferd blieben. Manche dieser Pferde wurden auch kurzfristig in den Stall ge- nommen. Nicht mehr bekannt ist mir, ob und von wem sie später wieder einge- sammelt wurden. Bald wurde das von den Alliierten ein- genommene österreichische Staatsgebiet in Zonen eingeteilt. Zwischen Thal und Mittewald verlief die Zonengrenze. Das obere Pustertal gehörte zur Britischen Besatzungszone. Wer die Zonengrenze wechseln musste, benötigte einen eige- nen Ausweis. Der öffentliche Bus - und Bahnverkehr war lange unterbrochen und normalisierte sich erst 1946 wieder allmählich. Ludwig Wiedemayr

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