GZ_Kartitsch_2020_10

Seite 24 Ausgabe 86 Historisches - Kindheitserinnerungen Die letzten Kriegsmonate Unsere Mutter vermietete bereits in den 1930 - er Jahren Gästezimmer an Som- merfrischler und so mussten wir ab 1944, wie andere Privatvermieter auch, zwangsweise reichsdeutsche Bombenge- schädigte einquartieren, insgesamt drei Familien (Frauen) mit etwa fünf bis sechs Kindern. Heute noch wundert mich, dass wir alle zu essen hatten, trotzdem besonders Kleinbauern nichts Vorrätiges hatten. Allerdings musste man sich mit einfa- cher Kost abfinden. Mit Milch und Kar- toffeln konnten wir uns selber versor- gen, begrenzt auch mit Roggenmehl für Brot. Maismehl für Polenta sowie Wei- zenmehl gab es bereits 1944 nicht mehr zu kaufen und für die Bombenflüchtlin- ge waren die Lebensmittelkarten viel zu knapp bemessen. Nach Zeitzeugen, die beide Kriegsenden erleben mussten, war die Hungersnot in Kartitsch am Ende des Ersten Weltkrieges aber viel größer. Mit einem etwa gleichaltrigen Buben dieser Bomben - Flüchtlinge hatten wir furchtbaren Streit bis zur Rauferei, da er noch immer vom Endsieg überzeugt war und Adolf Hitler als ein von der Vorse- hung bestimmtes Wesen betrachtete, denn kein normal sterblicher Mensch hätte das an ihm verübte Attentat über- lebt (20. Juli 1944). Durch die Anwesen- heit bombenbeschädigter Familien im Ort stieg auch die Schülerzahl an, sodass für November 1944 in der Schulchronik 208 Volksschüler genannt sind. 85 da- von waren in der 3. Klasse. Über beinahe tägliche amerikanische Bomberflüge, einen Bomben - Notabwurf im Wald oberhalb der Mooserhöfe im Oktober 1944 und Fallschirm - Notabspringer im Dezember 1944 wurde bereits in der Gemeindezeitung Nr. 85 vom Juli 2020 berichtet. Bereits 1944 verzeichnete man in Kar- titsch einige gefährliche infektiöse Diph- terie - Erkrankungen und zumindest drei Kartitscher Mädchen bzw. Frauen star- ben im Lienzer Krankenhaus daran (Aloisia Bodner, Großmillner, Notburga Wieser, Köcker und Maria Köck, Ange- rer). Neuerdings im Februar 1945 er- krankte unsere ältere Schwester Maria an dieser ansteckenden Hals - Erkrankung. Wegen der Todesfälle im Vorjahr wehrte sich die Mutter gegen die Einweisung ins Krankenhaus. Mit einem wertvollen Hausmittel und Rund- umpflege konnte das Mädchen tatsäch- lich überleben. Das Haus wurde jedoch für einige Wochen unter Quarantäne gestellt und sämtliche Räume mussten ausgeräuchert und desinfizierte werden. In der Folge war die Familie wiederholt mit Medikamenten zu versorgen. So war ich an einem frühen Nachmittag Anfang März 1945 auf dem Weg über Hollbruck zur Apotheke nach Sillian, als plötzlich wie schon öfters vorher, mit tosendem Lärm ein Tiefflieger - Schwarm auftauch- te und vom Tannensattel kommend tal- auswärts verschwand. Niemals hätte die Zeit gereicht, vor diesen Tieffliegern Schutz zu suchen. Ihr Angriff galt dem Bahnhof Sillian, wobei sie die beiden stattlichen Asthöfe neben der Bahnlinie in Brand schossen. Als ich nach Sillian kam, waren beide Höfe bereits beinahe Brandruinen. Gegen Ende Februar 1945 wurde unser Schulleiter Oberlehrer Franz Föger, dem System anfangs nicht abgeneigt, als „ Gegner der Partei “ nach Mießdorf im Mießtal, einer berüchtigten Partisanen- gegend im slowenischen Unterkärnten, strafversetzt. Nur ein ärztliches Zeugnis rette ihn bis zum Kriegsende von diesem Dienst. Unserer Schule wurde Schullei- ter Steinbrenner, ein linientreuer und fanatischer Parteigenosse, zugeteilt. Nun gab es beinahe täglich Wehrunterricht, Rassenlehre oder ähnliche, dem System dienende Fächer. Ende April 1945 wurde in der Monegge, wenig oberhalb der Gailbrücke, eine Panzersperre errichtet, ein tiefer Graben über die gesamte Straßenbreite, um eventuell anrollende Panzer aufzuhalten. Allerdings war dadurch auch jeglicher Autoverkehr unterbrochen. Um die Ver- sorgung aufrecht zu erhalten, errichtete man nach einigen Tagen am Berghang und über Holzbrücken einen provisori- schen Notweg für Pferdefuhrwerke. Als ich mir im Schulunterricht die Bemer- kung erlaubte, dass über diese Panzer- sperre jeder Militärpanzer drüber käme, ließ Gendarmerie - Inspektor Wolcan bereits am nächsten Tag meinen Eltern die Warnung ausrichten, im Gespräch daheim vorsichtiger zu sein, damit der Bub nicht alles mitbekommt. Als Lehrer Steinbrenner am 1. oder 2. Mai mit Tränen in den Augen das Klas- senzimmer betrat und uns in tiefer Trau- er berichtete, unser Führer Adolf Hitler sei am 30. April für das Vaterland ge- storben, waren wir hell begeistert, da wir schulfrei bekamen.

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