GZ_Kartitsch_2020_10

Seite 23 Ausgabe 86 Historisches - Kindheitserinnerungen Kindheitserinnerungen an den Zweiten Weltkrieg in Kartitsch „ Nun wird wieder Krieg “, erklärte mir mein Vater im Herbst 1939 mit bedrück- ter Stimme - mir, dem damals fünfjähri- gen Buben, der erst später die Bedeu- tung dieses Wortes verstand. Er ahnte, was kommen würde. Von 1915 bis zum Kriegsende stand er an der Front und auch im Zweiten Weltkrieg wurde er für einige Monate eingezogen. Eigentlich war dieser Krieg weit weg, uns Kindern wurde er bewusst durch strenge Verdunklungsvorschriften mit Gendarmeriekontrollen und Verwarnun- gen, durch immer mehr Kriegs - und Winterhilfswerksammlungen, durch von der Schule organisiertes Sammeln von Huflattich, Schafgarbe und weiteren Heilkräutern und vor allem durch das Leid der vielen jungen Männer und Vä- ter, die an der Front kämpften. Beinahe jede Familie war davon betroffen. Vor allem kamen die Nachrichten von Gefal- lenen immer öfter und erfolgten gegen Kriegsende in kürzeren Abständen. Bei den jeweiligen Sterbegottesdiensten war die Realität des Krieges mitten in das Dorf hereingeholt. Über die Sinnlosig- keit dieses Sterbens durfte man besten- falls nachdenken, jede falsche Äußerung konnte fatale Folgen haben. Schließlich sind von Kartitsch und Hollbruck 45 Burschen und Männer nicht mehr heim- gekommen, 37 Gefallene und 8 Ver- misste hatte der Ort zu beklagen, beina- he die Hälfte davon im letzten Kriegs- jahr. Bei vielen dieser Trauermessen war ich als Ministrant dabei, zudem war für die Schulkinder Teilnahmepflicht. In der Kirche war ein schwarzer Katafalk auf- gerichtet, mit Birkenholz - Kreuz und Stahlhelm, sowie ein mit Kunstblumen gebundener Kranz. Später, so glaube ich, war es wohl immer der gleiche. Bei jeder Feier war die Blasmusik dabei, die in Kartitsch während der gesamten Kriegsdauer bestand, trotzdem einige Male nur 16 Mann ausrückten. Die regime - kritische Gesinnung unserer Familie war bekannt, umso größer war die Gefahr von Kontrollen oder Be- spitzelung. Natürlich bekam ich als Jüngster von den lebhaften politischen Debatten der älteren Geschwister einiges mit, mit strengem Verweis, nichts weiter zu sagen. Zu kritisieren war ja genug: Hitlergruß und Morgensprüche anstelle des Schulgebetes, Verbot des Religions- unterrichtes, der bei uns in die kaum beheizbare alte Sakristei in der Kirche ausweichen musste und vieles mehr. Ob man von den Nazi - Gräueltaten etwas wusste, wird öfter gefragt: Gestapo und Bagatelldelikte bis KZ war wohl be- kannt und wurde auch in Kartitsch leid- voll praktiziert. Natürlich getraute sich niemand offen darüber zu reden und die wenigen KZ - Entlassenen waren zum Schweigen ver- pflichtet. Die Euthanasie - Opfer waren ortsbekannt und ihr Mord wenige Tage, nachdem sie - zumindest körperlich ge- sund - abgeholt wurden, offensichtlich. Auch Judenverfolgung geschah öffent- lich, von Endlösung und Vergasung ha- ben meine Eltern „ bei vorgehaltener Hand “ (streng vertraulich) erfahren, glaubten es aber nicht. Natürlich erfuhr ich von alldem wenig bis nichts. Über das Ausmaß der begangenen Verbrechen erfuhr man erst später. Die Hitlerjugend - Organisation (HJ und BDM) erfolgte bei uns in den späteren Kriegsjahren über den Schulunterricht. Die etwa 15 Uniformen reichten nur mehr für die älteren Buben. Mein Interesse galt mehr den Holzskiern, die über die HJ leihweise zur Verfügung standen, ein Paar längere für meinen älteren Bruder und ein Paar kurze für mich. Aber auch im Abwehr- kampf gegen Militärpanzer wurden wir unterrichtet, mit einer „ Panzerfaust “ (Panzerabwehrrohr) wur- de im „ Kalchlan “ (durch Kalkgestein - Entnahme zum Kalkbrennen entstandene Grube westlich der Volksschule) geübt, später lagerte sie in unserem Haus. Sie kam, Gott sei Dank, nie zum Einsatz und überdauerte den Krieg.

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