GZ_Kals_2020_09

92  FODN - 75/02/2020 FODN - 75/02/2020   93 BUNT GEMISCHT BUNT GEMISCHT Von Nora Groder L eon, Jan und Peter haben uns, wäh- rend ihrem Besuch in unserem Fur- nierkantenwerk, in die aufregende Welt der Wandergesellen mitgenommen. Der Begriff Wanderzimmerer war mir zwar bekannt, aber dass es Wanderge- sellen in jedem handwerklichen Beruf gibt, erfuhr ich erst dann. Sogar junge, weibliche Schneiderinnen können auf Wanderschaft gehen. Die Walz antreten, darf nur, wer die Gesellenprüfung bestanden hat, ledig, kinderlos, schuldenfrei und unter 30 Jahre alt ist. Die Wanderschaft beträgt drei Jahre und einen Tag und startet mit 5,00 Euro in der Tasche. Wichtig ist, dass der Wandergeselle kein eigenes Auto hat und öffentliche Verkehrsmittel vermieden werden sollen. So muss er wandern oder per Anhalter zu seinem nächsten Ort kommen. Die Tippelei (Wanderschaft) war und ist teilweise an schwierige Bedingun- gen geknüpft. So darf der Wandergesel- le während der Walz seinen Heimatort auf keinen Fall betreten, auch nicht an Weihnachten. Der sogenannte „Bann- kreis“, also der Abstand zum Wohnort, beträgt 50 km. Es darf nur eine Aus- nahme gemacht werden, und das ist in extremen Notlagen, wie der Tod oder Krankheit eines Familienmitgliedes. Bevor die Handwerker auf die Walz ge- hen, erhalten sie traditionell im linken Ohr einen Ohrring. Dieser wird ihnen, an einem sehr feucht fröhlichen Abend mit einem Nagel gestochen. Er ist das Zeichen des wandernden Gesellen. Der Ohrring war früher aus purem Gold, heute ist er meist vergoldet. Im Falle seines Todes konnte der Reisende damit damals sein Begräbnis bezahlen. Das wichtigste Utensil eines Gesellen ist sein Charlottenburger. Ein verziertes, großes, buntes Tuch, in dem der Wan- derer sein gesamtes Gepäck eindreht. Die Wickeltechnik wird ihm im Vorfeld beigebracht. Im Charlottenburger findet man Wechselwäsche, Zahnbürste und Ein Zimmerer und zwei Tischler auf der "Walz in Kals" Mitte Juli bekamen wir in Kals Besuch von 3 Handwerkern auf der Walz. Doch was bedeutet eigentlich „auf die Walz gehen“? Werkzeug. Aber auch der Stenz, eine Art Wanderstab aus gedrehtem Wuchs, und das Wanderbuch/Tagebuch welches immer an der Brust getragen wird ge- hören zur Ausstattung eines jeden Wan- dernden. Leon, einer der Gesellen, die uns be- suchten, tippelt schon sein 1,5 Jahren und erzählte uns, dass sein Wander- stab aus einem Museum komme und er gar nicht weiß, wie alt er ist. Der Stab von Jan ist ein Erbstück und schon 50 Jahre alt. Peter der „Frischling“ begab sich selbst auf die Suche nach einem ge- drehten Wuchs und fertigte sich so sei- nen Stenz selbst. In ihrem Wanderbuch sind auch die wichtigsten Nummern und Adressen enthalten. Da sie keine Handys besitzen dürfen (wo heutzutage ja alle Nummern und Postadressen ge- speichert sind), ist dieses Buch mit all diesen Informationen sehr wichtig und wertvoll, um mit ihren Familien Kon- takt aufnehmen zu können. Für jeden Wandergesellen startet ein neuer Tag mit vielen Fragen… wie weit komme ich heute? Finde ich Arbeit? Wo verbringe ich meine Nacht? Habe ich heute eine warme Dusche? Bei diesen Erzählungen rückt einem der eigene Luxus, und dass wir uns diese Fragen nicht jeden Tag stellen müssen, wieder ins Gedächtnis. Leon, Jan und Peter waren drei Tage in Kals. Aber nicht um zu arbeiten, son- dern um sich einen kurzen Urlaub zu gönnen. Sie planten, nach dem Kurzbe- such im Handwerksladen und der Näch- tigung im Ködnitzhof, auf das Böse Weibele zu gehen. Denn wenn man schon mal so weit oben ist „muss ein 3000er schon drinnen sein“. Als ich die jungen Männer vor unserem Haus auf- sammelte, um sie zum Lucknerhaus zu fahren, erzählten sie mir von ihrem Plan. Da aber Wandergesellen ihre Kleidung nicht ablegen dürfen, riet ich ihnen, sich nochmals über die aktuellen Bedingun- gen zu erkunden. Denn das würde für sie bedeuten, dass sie in ihrer Kluft und ihren normalen Schuhen den Berg be- zwingen müssten. Da Leon sich den Glockner zum Ziel gesetzt hatte, er aber eingesehen muss- te, dass man da mit normalen Schuhen nicht „einfach mal hochgeht“ musste er diesen Plan verschieben. Am nächsten Tag besuchten sie uns und erzählten, dass ihnen auf der Glorerhütte vom Bösen Weibele abgeraten wurde da es in den Schneefeldern mit ihren weiten Hosen schier unmöglich gewesen wäre. Die Nacht auf der Glorerhütte durften sie aber glücklicherweise im Winter- quartier verbringen. Auf unsere Frage, ob sie denn schon ein Quartier für diese Nacht hätten, antworteten sie mit nein. Wir mussten nicht lange überlegen und bezogen kur- zerhand die Betten. Die drei genossen ihre heiße Dusche und die frisch gewa- schene Wäsche am nächsten Tag. Der gemeinsame Abend wurde durch ihre aufregenden Geschichten noch sehr lan- ge und lustig. Wohlgestärkt und dankbar setzen die drei am nächsten Tag ihre Wanderschaft in Richtung Zillertal vor. Wir haben durch diesen schönen Brauch nicht nur drei sehr nette junge Männer kennen- gelernt, sondern auch die Möglichkeit, mehr darüber zu erfahren und aufregen- de Geschichten zu hören. Wir nehmen also alle etwas von dieser besonderen Begegnung mit.

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