GZ_Kals_2020_09

48  FODN - 75/02/2020 FODN - 75/02/2020   49 GESCHICHTE & KULTUR GESCHICHTE & KULTUR des Allweisen Schöpffers“ aller Din- ge gewürdigt. Neugieriges Augenmerk wird u. a. eigenartigen Tierhörnern ge- schenkt: So seien zwei Hörner vom „gerecht Einhorn“ von keinem „Vierfüßigen Thiere / wie sich die Alten eingebildet“, sondern „vielmehr Fisch-Zähne von einer sonderbaren Art Wallfisches in Grönland und Ißland. (…) Diese Fische stossen mit ihren Hörnern durch ande- re Fische / so gar auch durch die Schif- fe / daß sie offt zu Grunde gehen / sie brechen auch in der Nord-See das Eyß damit (…).“ Beachtenswert schienen weiter „ein gantz Horn von Rhinocerote, oder Ele- phanten-Meister“ und „unterschiedli- che Hörner von Elend“. Ausführlicher erklärt wurde „ein Horn von Seege- Fisch“, an dem sich Gottes „Wunder- Hand“ eindrücklich zeigen würde. Diesen „Wunder-Fisch“ zeichnet ein sägeähnliches Schwert als Waffe auf seiner Stirn aus, doch müsse man ihn vom bekannten Schwert- oder Horn- fisch unterscheiden. Die hörnertragenden Lebewesen üben auf den Jäger, Landwirt und Betrachter seit jeher eine große Anziehungskraft aus. Davon sind die Wald- und Haustie- re unserer Breiten nicht ausgenommen. Neben sehr kräftig ausgebildeten gehö- ren kurioserweise auch fehlgewachsene Hörner und Geweihe zu den besonders geschätzten Trophäen und Sammelob- jekten. Des Weiteren fanden Tierhör- ner im sakralen und kultischen Bereich Verwendung, wie u. a. mythologische Szenen bezeugen. Erinnert sei an das weitverbreitete Symbol des Füllhorns als Sinnbild der Fruchtbarkeit oder des Signalhorns als sakralem Klangkörper, nicht zu vergessen ihre Verwendung im volksmedizinischen Bereich. Über- dies sind Hörner Verkaufs- und Roh- material, das sich bearbeiten, veredeln oder mit einer neuen Funktion ausstat- ten lässt. Beispielsweise ist das Kuh- horn als Wetzsteinkumpf, Blumenvase, Trinkbecher, Federbehälter, Bierdeckel- gefäß oder dämonisches Symbol auf Krampuslarven durchaus vertraut. Zu einem Mohnsähorn bzw. Handsäegerät umfunktioniert wirkt es fremd, skurril, wunderlich und blieb in der tirolensi- schen Gerätekunde unberücksichtigt. Das Mohnsähorn aus Kals Ein derartiges Unikum soll nun den ursächlichen Werten „sorgfältig, auf- merksam, interessiert, wißbegierig, neugierig“ folgend und der heute üb- lichen Auffassung von Kuriosum als seltsame, komische und skurrile Sache vorgestellt werden. Es befindet sich im Heimatmuseum in Kals am Großglockner und stammt aus dem späten 19. Jahrhundert. In die Hornbasis wurde ein rundes Holzplätt- chen eingesetzt und dieses mit Nägeln fixiert. Durch die Entfernung der Horn- spitze entstand eine kleine Öffnung, in welche ein schlanker Holzgriff hinein- gedreht und diese damit gleichzeitig verschlossen wird. Außerdem steckte der Erzeuger einen runden Holzstab hin- durch, nachdem das Horn oben und un- ten durchbohrt worden war, und fixierte daran im Abstand von etwa 10 cm eine flache, dünne, kreisrunde Holzscheibe. Auffällig sind weiter vier kleine Löcher auf der nach unten in Richtung Holz- scheibe weisenden Seite. Befüllt wurde das so entstandene Behältnis durch die Herausnahme des Griffes und der Zu- hilfenahme eines kleinen Trichters mit einem Gemenge aus feinstem Sand und Mohnsamen. Der Grund dafür ist, dass die Mohnsaat ansonsten zu dicht ausfal- len würde und gleichzeitig das Fließver- halten durch die kleinen Löcher auf der Unterseite verbessert wird. „Gesät wurde der Mohn, indem das Horn dann entweder an der Hornba- sis oder am Holzgriff gehalten wurde. Durch eine leichte Schüttelbewegung“ unterstützt, rieselte der Inhalt kontinu- ierlich aus den kleinen Löchern auf die Holzscheibe. Zusätzliche Drehbewegun- gen der Hand führten zu einer besseren Verteilung der auf die Holzscheibe fal- lenden Samen beim Gehen. „Die Dosis des Gemenges, das über die Holzschei- be ausgestreut wurde, konnte durch das Verschließen einzelner Löcher mit den Fingern oder Holzstöckchen reduziert werden.“ Analog dazu erinnert man sich in Prägraten am Großvenediger an Säg- läser. Beispielsweise füllte man in ein Hohlglas einen Löffel Mohnsamen und zwei Löffel Tinachsand (feiner Sand, Gletscherschliff). „Danach machte man im Korkdeckel ein kleines Loch und ist so gegangen.“ Neben einem zweiten Sähorn im Kal- ser Heimatmuseum, leider nur ein Re- likt, verdankt sich ein drittes Exemplar der Ökologin Brigitte Vogl-Lukasser. Das optisch ähnliche Mohnsähorn aus Assling in Osttirol stammt vermutlich ebenso aus dem 19. Jahrhundert, wur- de nach dem Zweiten Weltkrieg repa- riert und war noch bis in die 1960er Jahre in Gebrauch. Weil der Erbe und Besitzer des überraschenden Fundes die Funktionsweise erklären und ver- anschaulichen konnte, war es möglich, das Funktionsprinzip überhaupt erst zu beschreiben. Dass sich diese Artefakte in Kuriositäten verwandelt haben,  Mohnsähorn aus Kals Mohnsähorn aus Assling (Foto: Dr. Brigitte Vogl-Lukasser, 2015) kann einmal mit ihrer Seltenheit be- gründet werden. Ausschlaggebend für ein befremdliches Gefühl ist zum ande- ren, dass der Anbau von Kulturmohn in Tirol verschwindend gering ist. Damit ging sämtliches Wissen im Umgang mit dieser Nutzpflanze und ihrer Kultivie- rung verloren. Zur Beantwortung der Frage, ob es dazu regionale Vorläufer oder eventuell andere Geräte für die Handaussaat kleinster Samen gibt, sind Beschreibungen aus dem 19. Jahrhun- dert hilfreich. So findet sich 1811 eine Darstellung zu einem „Säehorn“, das von Friedrich Karl Gustav Gericke für die Bohnen- und Erbsensaat erfunden wurde und den sog. Bohnendriller erset- zen sollte. Es ist „ein langes Horn, oben mit einem Trichterchen, worein man den Samen krümelt, u. mit einem Ring, wodurch man das Instrum[ent] mit dem linken Zeigefinger hält, - unten aber mit einer Oeffn[ung], die in der Furche hin- schleppt, u. den Samen einzeln in diese hinfallen läßt.“ Der Erfinder selbst ver- gleicht das Mitschleifen des Gerätes mit jenem eines Husarensäbels. Eine Beschreibung im "Vorarlber- ger Volksblatt" aus dem Jahr 1869, die sich an eine ausführlichere Schilderung mit Abbildung aus dem Jahr 1868 hält, bringt uns näher an unser umfunktio- niertes Kuhhorn heran: Das Säehorn ist ein aus Weißblech ge- fertigter Apparat, dessen oberer weite- rer Theil zur Aufnahme des Samens be- stimmt ist. Derselbe hat eine Handhabe und ist mit einem zweitheiligen Deckel schließbar. Am untern Ende ist in einem stumpfen Winkel eine gegen die Spitze zu sich verengende Röhre angenietet, durch welche der Same in den Erdboden gelangt. Um das Instrument für größe- re und kleinere Sämereien benützen zu können, sind jedem eine Anzahl von Blecheinsätzen beigegeben, die nach Erforterniß in größerer oder kleinerer Zahl in die Säeröhre eingeschoben wer- den, - je nach dem man größeren und mehr Samen oder kleineren und weni- ger Samen säen will. (…) Bei seichten, flockigen und haarigen Sämereien muß das Säehorn gerüttelt werden, damit der Same leichter herausfällt. (…) Je- der Flaschner ist im Stande, ein solches Säehorn um einen geringen Betrag an- zufertigen. Ich empfehle dieses Säehorn besonders allen jenen, welche Hanf und Rüben anpflanzen. Dazu liegen drei Abbildungen von 1852, 1868 und 1878 vor, die einander gegenübergestellt werden (siehe Abbil- dung unten). Vielleicht wäre es treffender, dieses Gerät, das zunächst in den Niederlanden verbreitet gewesen sein soll, als Säekan- ne oder Säebecher zu benennen. Echte und der Natur entnommene Säehörner hingegen sind die Beispiele aus Kals und Assling. Die Verwendung des Be- griffes für die drei abgebildeten Zeich- nungen wird durchaus einen wirklichen Kern haben. Ob jedoch die Osttiroler Beispiele die technischen Zeichnungen zum Vorbild hatten, was aufgrund der Entstehungszeit in der zweiten Hälf- te des 19. Jahrhunderts möglich wäre, lässt sich nicht zweifelsfrei belegen. Im- merhin schrieb Alfred Dengler in der Publikation ‚Waldbau auf ökologischer Grundlage‘ noch 1944 davon. Doch fin- den sich im Bereich der Landwirtschaft zahlreiche Fälle, in welchen industriell gefertigte Gerätschaften in selbstgebau- ten Fabrikaten Nachahmung finden. Durch den großen Einfallsreichtum, der das Bergbauerntum zur Arbeitser- leichterung über die Jahrhunderte hin- durch auszeichnet, sind viele Erzeug- nisse auf uns gekommen, die sich heute in ein bergbäuerliches Kuriositätenmu- seum einfügen würden; wenn bergbäu- erliche Museen nicht überhaupt schon den Nimbus von Kuriositätensamm- lungen angenommen haben, in welchen unverstandene und skurril anmutende Exponate verwahrt werden. Verbin- dender Konnex für unzählige Objekte dieser Museen ist das Thema Fruchtbar- keit in vielerlei Hinsicht und die davon bestimmte Aussicht auf Lebenserhal- tung. Die Selbstversorgung wird heute kaum noch angestrebt. Anomalien und natürliche Kuriosa, nicht allein bei Hör- nern und Geweihen, können ebenso unter dem Blickwinkel von Fruchtbar- keit betrachtet werden. Und so mag es nicht verwundern, dass Zwillingsähren, Kartoffel-Doppelknollen oder zusam- mengewachsene Maiskolben einem Kruzifix oder dem Herrgottswinkel beigesellt wurden, in der Hoffnung, die Ernte möge reichlicher ausfallen. Sollte die Leserschaft Kenntnis von Handsäegeräten oder vergleichbaren Hörnern zum Säen von Mohn-, Kohl-, Karotten-, Erbsen oder Rübensamen ha- ben, bittet der Verfasser um Mitteilung und Kontaktaufnahme. Kontakt: Dr. Andreas Rauchegger, Email: andreas.ra@gmx.at Fig. 44 entnommen aus: Das Säehorn, in: Der Praktische Landwirth, Nr. 16, Wien 15. August 1868, S. 249. Fig. 13 entnommen aus: Johann Färber, Die Reihenkultur, nach den in den Niederlanden gemachten Beobachtungen, Stuttgart 1852, S. 34. Abb. 220 entnommen aus: Alfred Dengler, Waldbau auf ökologischer Grundlage. Ein Lehr- und Handbuch, 3. Auflage, Heidelberg 1944, S. 412.

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