GZ_Kals_2020_09

46  FODN - 75/02/2020 FODN - 75/02/2020   47 GESCHICHTE & KULTUR GESCHICHTE & KULTUR zusätzlich verengte Wasserleitung ge- bündelt und tangential auf das Rad mit Schaufeln (gerade, schräge Fluttan) und setzt den Mechanismus in Bewegung. Integriert ist ein Schalthebel (Schålte) in der Mitte der Schußkändl. Er unter- bindet die Wasserzufuhr automatisch und stoppt den Betrieb, wenn eine be- stimmte, einstellbare Höhe an Restkorn im Korntrichter der Mühle erreicht ist. Dieser Rest, Abschlag genannt, wird beim nächstfolgenden Mahlgang zuerst fertig gemahlen. Typisch für alle Mühlen ist die Block- bauweise, und die Satteldächer sind mit Lärchenschindeln – neu – gedeckt. Auch im Interieur spielt Holz eine maß- gebliche Rolle, wie der Obermüller Paul GRATZ, Jg. 1933, erklärt. Nach einem längeren Intermezzo und Stillstand hat er in den späten 1970er Jahren wieder angefangen, in der Kerermühle seines Bruders diesem Handwerk nachzuge- hen. Allerdings war zwischenzeitlich der Kornanbau im Tal fast zum Erliegen gekommen. Die Viehzucht hatte den tra- ditionellen Ackerbau abgelöst. Roggen und Weizen werden heute zugekauft, den Dinkel wiederum bezieht man von einheimischen Biobauern. Die ver- wendeten, hölzernen Behältnisse und gleichzeitig Getreidemaße sind Gundl und Vierling. Zwei Vierlinge sind eine Gundl. Und mittels Gundl als Rücken- tragegerät mit Trageriemen, Griffdau- be und Deckel, beförderten die Bauern einst das Korn von den Höfen zu den Mühlen. Hand anzulegen ist sogar bei den Mühlsteinen (Sextener Mühlsteine): Legerstein (Lega) und Läuferstein (Laf- fa) werden von Paul GRATZ alle vier bis fünf Jahre mit dem Schretlhammer gehauen, damit sie ihre Schärfe (!) wie- dererlangen. Doch am besten kann der Fachmann selbst vor Ort erklären, wie diese Reparatur vor sich geht oder was es mit den Apparaturen von der Gouse, der Mēltruche, dem Mīlpaitl bis zum Korn- und Paitlschlåg auf sich hat. Das heutige Aussehen und damit die Anziehungskraft dieses idyllischen, denkmalgeschützten Schauplatzes der Mühlenbaukunst verdankt sich der Um- triebigkeit des lokalen Mühlenvereins und seinem Obmann Johann GRODER. Die zusätzliche Gestaltung der Umge- bung mit einem Geflecht an Wasserlei- tungen und Miniaturen macht daraus geradezu eine Wassererlebniswelt – für Groß und Klein. Wegbereitend für die gegenwärtige touristische Nutzung war ein loser Verein, der sich unter Anre- gung des deutschen Feriengastes Fritz BÖRSTLING dem verwahrlosten Kul- turgut in den späten 1970er Jahren an- genommen hatte. Seit 2010 ist der Kal- ser Mühlenverein öffentlich eingetragen. Mithilfe von Fördermitteln und der bis heute fortwirkenden Unterstützung der Gemeinde, des Tourismusverbandes und insonderheit dem Nationalpark Hohe Tauern kann der status quo erhal- ten werden. Doch alles nichts ohne den Idealismus der Vereinsmitglieder, die im Sommer vor allem zum wöchentlichen, donner- stäglichen Schaumahlen herzlich will- kommen heißen und Führungen entlang des Nationalpark-Lehrweges anbieten. Gemahlen wird Roggen- und Weizen- mehl sowie Biodinkel. Überdies wird für eine bleibende, kulinarische Erinne- rung gesorgt. Die Kalser Stockmühlen ergänzt ein Steinbackofen gleich bei der Kerermühle, in welchem an den Mahlta- gen das Kalser Hausbrot nach altem Re- zept gebacken wird. Gästen und Interes- sierten bietet sich auch die Gelegenheit, für den Eigengebrauch und die privaten, lukullischen Freuden auf Kalser Voll- korn-Qualitätsmehl zurückzugreifen. Kontakt: Gemeindeamt Kals, Bürger- service A-9981 Kals am Großglockner Tel.: 04876/8210 Tel. alternativ - Johann Groder, Ob- mann des Mühlenvereins: +43 (0) 664 / 5417124 Mail: gemeindeamt@kals.at Von Dr. Andreas Rauchegger ©Land Tirol G enerell hat die Sammelleiden- schaft, das Zusammentragen von eigentümlichen Erzeugnissen und Gebilden eine lange Tradition, die bis in die Antike zurückreicht. Sehr früh schon entstanden Raritäten- und Kuriositätenkabinette, welche wieder- um Vorläufer der sognannten Wunder- kammern in Renaissance und Barock waren. Und darin liegt letztlich auch der Ursprung unseres Museumswesens begründet. Zahlreiche aktuelle Belege ließen sich anführen, in welchen die merkwürdig-sonderbaren Charakteris- tika einer Kollektion das Museumslabel prägen, zum Beispiel: Das Bierarium im burgenländischen Oberwart, ein Privatmuseum, in welchem Kurt Balazs seinen Fundus an Bierdosen, Bierdeckeln und Bieröffnern öffentlich zugänglich macht. Das Nonseum im niederösterreichischen Herrbaumgarten, wo die „sinnlosesten Erfindungen“ präsentiert werden, ob ausrollbarer Zebrastreifen oder Spoil- erhut. Das Haus steht Kopf in Terfens in Ti- rol. Es wurden alle Einrichtungsgegen- stände „um 180 Grad gedreht und an der Decke montiert. Aber Achtung: Das Haus steht in leichter Schräglage und so mancher Besucher musste bereits abbrechen, weil die Sinne schlichtweg überlastet werden.“ Die Etikette kurios oder Kuriosum für ein natürliches Gebilde oder muse- ale Ausstellungsstücke ist stets dem Ur- teil des Gestalters und Interpreten ge- schuldet; ein Objekt kann das von sich selbst schließlich nicht behaupten. Doch möglicherweise ist eine solche Wertung unschlüssig oder nur für den Betrach- ter persönlich gültig, der sich auf sei- nen eigenen Erfahrungsschatz bezieht. Auf jeden Fall ist sie dem Wandel der Begrifflichkeit selbst unterworfen. Im ‚Etymologischen Wörterbuch des Deut- schen‘, das in den 1980er Jahren unter der Leitung von Wolfgang Pfeifer er- arbeitet wurde, wird darauf Bezug ge- nommen. Um 1600 entstand aus dem lat. cūriōsus für „sorgfältig, aufmerksam, interessiert, wißbegierig, neugierig“ das deutsche Lehnwort curiosisch. Bald da- nach wurde es auf curios verkürzt, und es ist im erwähnten Sinnzusammen- hang im 18. Jahrhundert als „ehrendes Epitheton“ wissenschaftlicher Darstel- lungen gebräuchlich. Repräsentativ dafür ist eine Publikati- on des wittenbergischen Leibarztes und Herausgebers Christian Warlitz (1648- 1717) aus dem Jahr 1710. Der Titel: Museum Curiosum Auctum. Oder Neu- Verbesserte Beschreibung Derer raren und Ausländischen Sachen, So vorietzo guten Theils vermehrt zu befinden Bey Tit. Herrn Christian Nicolai, Vorneh- men Apotheckern allhier. Darin werden außergewöhnliche Beobachtungen aus dem Tier- und Pflanzenreich sowie der Geologie beschrieben, eingangs jedoch gleichsam die „wunderliche Güte  Ein Ku h riosum Vom Kuh-Horn zum Mohn-Säehorn Es gehört zum Wesen von musealen Einrichtungen, durch erlesene, wunderliche, schrullige, bizarre, groteske und originelle Objekte auf sich aufmerksam zu machen. Nicht selten sind kuriose Gegenstände sogar der Anlass und Kern einer Sonderschau, obwohl es manchmal nur dem Allgemeinwissen entfallene Dinge des Alltags sind. Mohnsähorn, Heimatmuseum Kals am Großglockner, Nr. 267, Länge 34 cm, Höhe 17 cm, Ø ca. 7/4,5 bis 9 cm

RkJQdWJsaXNoZXIy MTUxMzQ3