GZ_Kals_2020_09

44  FODN - 75/02/2020 FODN - 75/02/2020   45 GESCHICHTE & KULTUR GESCHICHTE & KULTUR Von Dr. Andreas Rauchegger ©Land Tirol D amals jedoch habe man „dieser Art Mühlen (…) in gantz Teutsch- land nicht gefunden“, mit einem „Horizontal-Rad“, an welchem „die Welle von der Erde gen Himmel zustehet, und oben drauf der Mühl-Stein lieget“ . Verbreitet waren demnach ausschließ- lich oberschlächtige Mühlen. Der deut- sche Zweittitel derselben Publikation bzw. die Übersetzung aus dem Latei- nischen lautet: ,Schauplatz der Mühlen- Bau-Kunst‘. Ein ebensolcher Schauplatz der Müh- lenbaukunst im geographischen Sinn befindet sich am Dorferbach / Kalser- bach in der Gemeinde Kals am Groß- glockner. Dort stehen in der Nähe der Fraktion Großdorf fünf sogenannte Stockmühlen. Dieser Begriff ist spä- testens seit der beginnenden Neuzeit in diesem Kulturraum gebräuchlich, im Gegensatz zu Turbinenmühle oder Flottermühle, zwei weiteren Synony- men zum Terminus Horizontalmühle (oder Horizontalrad-Wassermühle). Zur Klassifizierung dient auch das ver- wandte Wort Fluttermühle. Der Begriff stiftet insofern etwas Verwirrung, als dass die Fluttermühle oder der Flutter streng genommen eine einfache Bauart der Windmühle zum vertikalen Wasser- transport (Schöpfmühle) ist. Durchgesetzt hat sich für das denk- malgeschützte, restaurierte und voll funktionstüchtige Ensemble deswegen das Label Kalser Stockmühlen. Bemer- kenswert in diesem Zusammenhang ist eine sehr frühe Erwähnung einer Stockradmühle mit integrierter Stampf (Stampfgerechtigkeit) im benachbarten Matrei in Osttirol im Jahr 1626. Es war damals zu einem Interessenskonflikt zwischen Fronmüllern und Radmüllern gekommen (Gemeindearchiv Matrei, 14. Juli 1626, Sign. 18/2). Die lokale Verbrei- tung des Begriffes bestätigt auch Adol- ph SCHAUBACH in seiner Publikation ‚Die deutschen Alpen V‘ von 1867. Über die Gemeinde schreibt er, dass den gan- zen Talkessel schöne Fluren bedecken und das Haupterträgnis der Hafer ist; daraus bereiten die Kalser ihre Haupt- nahrung, die Geilitz; gemahlener Hafer mit der Kleie wird in ein mit Wasser ge- fülltes Gefäss gethan, die Masse, wenn sie durchsäuert ist, herausgefischt und ohne alle Zuthat von Fett und Salz zu einem Brei gekocht. Die Mühlen sind sogen. Stockmühlen, deren jeder Haus- eigenthümer seine eigene hat; sie stehen an den schnell abstürzenden Seitenbä- chen; die Räder befinden sich unter dem Hause und laufen horizontal; sie sollen von den Slaven eingeführt sein. Zu den seltenen, bekannten Belegen aus der Dorfchronik zählen Hinweise im Kontext der Kalser Freistiftgüter in der zweiten Hälfte des 18. Jh. Bei- spielsweise werden Mathias STADLER, Balthasar MATTERSBERGER, Mathi- as HATZER und Jackob TICHTL als Besitzer von Stockmühlen oder von Anteilen davon angeführt. Ein Hinweis aus der jüngeren Vergangenheit betrifft etwa die ‚Realitäten- Versteigerung‘ 1891 aufgrund eines Konkurses des Jo- sef GOLISELLER „zu Unterrangetin am Berg in Kals“. Neben Feuer- und Futterhaus mit Pertinenz zählte „eine ganze Stockmühle am Bergerbach von 8 Klafter“ zum Bestand. Hervorzu- heben ist dann auch der Beitrag ‚Alte Brücken und Mühlen in Tirol‘ von Otto LANSER in den ‚Blättern für Technik- geschichte‘ von 1939. Als Kenner der Tiroler Mühlenlandschaften weiß er zu erzählen, dass solche vertikalachsigen Mühlen betreffend das Iseltal und östli- che Pustertal in Urkunden des 16. bis 18. Jh. öfters genannt werden, ihm selbst je- doch nur noch in Kals und im Defereg- gental begegnet sind. Außerordentlich viele Stockmühlen würde hingegen das benachbarte Kärnten besitzen. Seine Erklärung des Funktionsprinzips ist de- taillierter als bei Johann Mathias BEY- ER und Adolph SCHAUBACH: Die Hälfte der Mühle steht auf Pfählen, [der Rest auf einem gemauerten Stein- fundament (A.R.)], so daß unterhalb des Fußbodens sich ein freier Raum bildet, in dem das turbinenartige Wasserrad untergebracht ist. Die senkrechte Welle stützt sich mittels eines Spurlagers auf einen in vertikaler Richtung durch eine Schraubenspindel etwas heb- und senk- baren Träger, so daß sich die gegensei- tige Entfernung der Mühlsteine und da- mit die Mahlfeinheit regeln läßt. Das bestehende Stockmühlen-Ensem- ble am Kalserbach, zuzüglich eine Rad- mühle (Jaggler-Mühle) am Holzschnitz- „Stockmühlen“ in Kals am Großglockner Schauplatz der Mühlenbaukunst Johann Matthias BEYER konnte 1735 nicht erahnen, dass es im Jahr 2020 in einem abgelege- nen Bergdorf Osttirols einen bemerkenswerten Bezugspunkt zu seinem Schriftwerk ‚Theatrum Machinarum Molarium‘ geben wird. Herausgebracht wurde das Buch in Leipzig. Darin geht er in einem Absatz auf wasserbetriebene „Horizontal-Mühlen“ ein, die bereits von einem gewis- sen Leupold ausführlich beschrieben und gezeichnet worden wären. graben und die Taurer-Stockmühle in der Rotte Arnig, sind der letzte Rest einer beträchtlichen Anzahl in der Ge- meinde Kals. Von über 50 Gebäuden wird noch in den 1950er Jahren berich- tet. Diejenigen an unserem Schauplatz, die erwandert werden können, haben ihre alten Eigennamen behalten, wel- che auf die Vulgo-Hofnamen / Besitzer und ihre eingetragenen Wasserrechte hinweisen. Sie heißen dem Bachverlauf nach oben folgend: 1) HOFER / UHL, 2) KERER, 3) OBENFIGER, 4) PLAT- ZER / ROHRACHER, 5) PAHL. Die Wasserversorgung garantiert ein Wasserzulauf (Mühlwiere), von wel- chem zu jedemMühlhaus je ein sehr stei- les Kendelgerinne (Schußkändl aus Lär- chenholz abzweigt. Der Wasserstrahl trifft durch diese, am unteren Ende 

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