GZ_Kartitsch_2020_07

Seite 36 Ausgabe 85 Historisches - Teilwälderstreit Josef Schraffl war führendes Mit- glied der 1898 gegründeten Christlich-Sozialen Partei und mit seinem Gesinnungsgenossen Prof. Dr. Aemilian Schöpfer kämpfte er nun unermüdlich um die verbrief- ten Rechte der Tiroler Waldbesit- zer. Die ersten Jahre waren ohne Erfolg. Er informierte die Bevöl- kerung im ganzen Land, hielt dauernd Versammlungen ab, musste die Waldbesitzer beruhi- gen. Unter der Bauernschaft ru- morte es, erfolglose Einsprüche an die Reklamations-Kommission zwangen zu Gerichtsverfahren und erste Prozesse wurden in 2. Instanz und höchstgerichtlich ge- gen die Waldbesitzer entschieden. (Gaimberg, Grimm/Dölsach u. weitere) Dieser Streit war indirekt mitent- scheidend zur Gründung des Ti- roler Bauernbundes. Beim vo- rausgehenden Bauerntag am 5. Juni 1904 wurden von 7.000 an- wesenden Bauern unter anderem auch nachstehende Resolution verabschiedet: „Der erste allgemeine Tiroler Bauerntag erklärt, daß die Be- handlung, welche das Eigentum an den Teilwäldern bei der Anle- gung des Grundbuches bisher gefunden hat, der fast überall herrschenden Rechtsanschauung des Volkes widerspricht und daß die Eintragung der Gemeinde als Waldeigentümer als eine Schädi- gung des Rechts der Besitzer empfunden wird. Der Bauerntag fordert, daß der im Volk herrschenden Rechtsan- schauung entsprochen wird und daß dort, wo diese für das Eigen- tum der Besitzer spricht, die Be- sitzer als Eigentümer der Wälder im Grundbuch eingetragen wer- den!“ (Protokoll zum Sterzinger Bauerntag) Die anhängigen Gerichtsverfah- ren häuften sich, der Lienzer Rechtsanwalt Dr. Leopold Molling nannte im August 1908 allein zwischen Assling und An- ras mehrere hundert Fälle. Teil- weise kam es bereits zu überhöh- ten Holzschlägerungen der Besit- zer. Schraffl und Schöpfer waren auch Reichtagsabgeordnete, so über- reichten sie an den Österreichi- schen Ministerpräsidenten eine Massenpetition von 6000 Bauern aus 200 Tiroler Gemeinden und fanden die Unterstützung von zu- mindest drei Ministerien (Justiz-, Inneres- und Ackerbau- Ministerium). Erst als 1908 in Tirol die Christ- lich-Sozialen bestimmende Partei im Land wurde und Josef Schraffl sowie Dr. Schöpfer in den Lan- desausschuss (ähnlich heute Lan- desregierung) bestellt wurden, zeichnete sich allmählich die Be- reitschaft ab eine Lösung zu su- chen. Zwar wurde ein Antrag vom Juli 1909, die Grundbucharbeiten in den Bezirken Bruneck und Lienz bis zur Klärung der Differenzen auszusetzen, abgelehnt, am 31. Juli wurde jedoch Landesrat Dr. Josef Jordan vom Tiroler Landes- ausschuss nach Osttirol entsandt, um in den drei Gemeinden Gört- schach/Gödnach, St. Johann i. Walde und Kartitsch Möglichkei- ten auszuloten, wie ein brauchba- rer Kompromiss zur Befriedung der Waldbesitzer unter Wahrung der für die Allgemeinheit erfor- derlichen Interessen der Gemein- den herbeigeführt werden könnte. Es gibt keinen konkreten Hin- weis, warum auch Kartitsch aus- gesucht wurde, doch sprachen vielleicht einige Gründe dafür: Wald hatte im Kartitsch- Tilliacher Tal vorrangige Bedeu- tung, die Wälder der beiden Tilli- acher Gemeinden unterstanden der ehemaligen Herrschaft der Brixner Bischöfe und waren vom Teilwälderstreit nicht betroffen und Kartitsch war eine typische Teilwäldergemeinde mit ver- markten, parzellierten und na- mentlich zugeteilten Waldparzel- len. Berichten zufolge war der Streit in Kartitsch, wo am 1. Juli 1909 mit der Anlegung des Grundbuches begonnen wurde, besonders heftig. Landesrat Dr. Josef Jordan kam also am 9. Au- gust nach Osttirol. In Kartitsch hatte man die Verhandlungen für Sonntag, 15. August anberaumt. Nach Zeitungsberichten wurden sie sehr sachlich geführt, die Be- völkerung wurde gut informiert, die Teilwaldbesitzer konnten ihre Argumente einbringen, im Ge- samten konnten Verbitterungen abgeschwächt und eine Beruhi- gung der emotionsgeladenen Stimmung erreicht werden. Der spätere Bürgermeister Leonhard Wieser wusste noch in alten Ta- gen vom damaligen „Volksaufstand“ in Kartitsch, und dem Bevölkerungsandrang zu erzählen. Als Ergebnis des Ostti- rolbesuches von Dr. Jordan wur- den die drei genannten Gemein- den ermächtigt, den Teilwaldbe- sitzern durch Beschluss das Ei- gentumsrecht abzutreten bei Zu- erkennung von im allgemeinen Interesse liegenden Servitutsrech- ten der Gemeinde (Weiderecht, Baumaterialbezug und event. weitere). Die erforderlichen Ge- meinderatsbeschlüsse wurden noch im August 1909 vom Lan- desausschuss genehmigt. Durch eine am 31. Jänner 1910 vom

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