GZ_Kartitsch_2020_07

Seite 35 Ausgabe 85 Historisches - Teilwälderstreit Landeshauptmann Josef Schraffl und der Kartitscher Teilwälderstreit Nach einem Empfang mit Böller und Blasmusik wurde am 19. September 1909 in einer festli- chen Versammlung der Gemeinde Kartitsch dem früheren Sillianer Bürgermeister, Reichstagsabge- ordneten und Tiroler Landesaus- schuss- (heute Landesregierung) Mitglied Josef Schraffl wegen seiner Verdienste zur Lösung der Teilwälderfrage und den Bau der Tilliacher Straße die Ehrenbür- gerschaft der Gemeinde Kartitsch verliehen. Neben den Vorsitzen- den Pfarrer Josef Herrnegger und Gemeindevorsteher Peter Köck bedankten sich dabei mehrere Ge- meindebürger ausdrücklich für den unermüdlichen Einsatz des neuen Ehrenbürgers im Teilwäl- derstreit für die Eigentumsrechte der Bauern und Waldbesitzer. In Kartitsch wurden Gemeinde- ratsitzungen erst ab 1910 proto- kolliert, womit offizielle Auf- zeichnungen über diese Ehrenbür- gerernennung und Begründung fehlen. Betreffend den anstehen- den Straßenbau bestand damals zwar eine Zusage, die endgültige Trassenführung war jedoch noch nicht entschieden. Wohl aber be- wegte der Teilwälderstreit über ein Jahrzehnt die Bauern und Waldbesitzer in ganz Tirol, vor- rangig in den Bezirken Lienz und Bruneck, im Pustertal und beson- ders in Kartitsch, erhitzte die Ge- müter, brachte viel Unruhe und drohte, die bäuerliche Existenz zu gefährden. „Teilwälder“ sind vereinfacht ausgedrückt Teilflächen vom Wald, geteilte, aufgeteilte, später oft auch parzellierte Waldflächen, die (oft bereits vor Jahrhunderten) von der Gesamtwaldfläche eines Gebietes, einer Gemeinschaft, Gemeinde, „Gemein“, „Fraktion“ oder ähnlich - die Gemeinde im heutigen Sinn entwickelte sich erst ab etwa 1866 - an die jeweili- gen Höfe (Feuerstätten) entweder zur Nutzung (Holz- und Streube- zugrecht, usw.) oder ins direkte Eigentum aufgeteilt wurden. Ähnlich wie in den allermeisten Gemeinden des Pustertales wur- den auch in Kartitsch die Wälder aufgeteilt, vermarkt und dem Be- sitz des jeweiligen Hofes zuge- teilt. Unbeschadet des landes- fürstlichen Eigentums an Grund und Boden konnten Wälder auch verkauft, ersteigert oder vererbt werden, der Bauer konnte verfü- gen, wenngleich er dafür seinen Zehent abliefern musste. Erst mit dem Grundentlastungsgesetz von 1849 wurden die grundherrschaft- lichen Rechte aufgehoben, die Tiroler Bauern waren frei und der Teilwald vermeintlich im Allein- besitz des Hofes. In der Folge wurde zwischen 1855 und 1861 die Katastralmappe (Urmappe) angelegt. Dabei wurden in man- chen Bezirken und besonders im Pustertal die laut Teillibellen bzw. Waldkarten ausgewiesenen Teilwälder mit Parzellen- Nummern bezeichnet und in die ab 1870 erstellten Grundbesitzbö- gen mit dem jeweiligen Eigentü- mer eingetragen, wonach in Hin- kunft die Waldgrundsteuer be- rechnet wurde. Erst relativ spät wurde in Tirol die Errichtung des Grundbuches angegangen. Als Hilfe für die zu erwartenden Aufgaben der Grundbuchbeamten veröffentlich- te im Jahr 1896 ein Richter am Oberlandesgericht in Innsbruck, Dr. Stephan Ritter von Falser, einen Leitfaden mit dem Titel: „Wald und Weide im tirolischen Grundbuche“. Darin vertrat er die These, im Zuge der Tiroler Forst- regulierung im Jahr 1847 hätte der Tiroler Landesfürst den Wald an die politischen Gemeinden ge- schenkt, der Wald gehöre daher den Gemeinden, die den jeweili- gen Teilwaldbesitzern Nutzungs- rechte abzutreten hätten. Und: Ersessenes Waldeigentum gelte nur, wenn ein Wald allseitig ein- gezäunt sei. Eine am 10.April 1898 erlassene Durchführungs- verordnung zum Tiroler Grund- buch gründete auf dieser Rechts- auffassung und auch die zur Grundbucherrichtung vorge- schriebene Grundbuchanlegungs- Kommission schloss sich dieser Rechtsmeinung an. Die Grund- buchkommissare wurden ange- wiesen, die Grundbucheintragun- gen danach auszurichten. Natürlich konnten die Waldbesit- zer damit nicht einverstanden sein, womit ein zehnjähriger Teil- wälderstreit begann.Im Jahr 1899 wurde mit der Grundbuch- Anlegungsarbeit im Gerichtsbe- zirk Lienz begonnen und schon im November des gleichen Jahres ersuchten Waldbesitzer und die Gemeinde von Gaimberg den Sil- lianer Bürgermeister und Land- tagsabgeordneten Josef Schraffl um Hilfe. Bereits am 2. Mai 1900 erfolgte ein Landtagbeschluss gegen die oben genannte Praxis, der jedoch von der Grundbuchan- legungs-Kommission abge- schmettert wurde. Schließlich hatte diese neben dem Recht auch die Interessen der Gemeinden zu vertreten, wenngleich viele Ge- meindevertreter zugleich Teil- wald-Betroffene waren. Nicht wenige Gemeindevorsteher ver- weigerten daher auch die Mitar- beit in den örtlichen Grundbuch- kommissionen.

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