GZ_Gaimberg_2020_07

17 Die Sonnseiten Nummer 60 - August 2018 nicht unterliegende, System ausüben. Über verschiedene Atemtechniken können die geistigen Wellen - das Den- ken, das oft einem Affenzir- kus ähnelt - beruhigt werden. Der Energielevel kann geho- ben oder ausgeglichen wer- den. Über den Atem finden gestresste Menschen Ruhe, zerstreute Menschen einen Fokus, unausgeglichene Ba- lance. Und schließlich gilt der Atem als Tor zur Meditation, die dem Geist als Schleuse zum Loslassen des weltlichen Denkens dient. Obwohl viele Menschen da- von ausgehen, Yoga sei reine Entspannung, wird sie meist erst in den letzten ca. 10-15 Minuten ausgeübt, während des sogenannten Savasana , Sanskrit für die „Totenhal- tung“. Hier wird der Körper nach der aktiven Körper- und Atemarbeit systematisch ent- spannt und in die Ruhe ge- führt. Dabei lernt die Prakti- zierende, nachzuspüren, dem Echo der Yogapraxis im Kör- per zu lauschen. Sich bewusst und systematisch zu entspan- nen. Sich dabei gedanklich dem unwillkürlichen Atem- rhythmus hinzugeben, ohne sich von den herein- und hinaustrudelnden Gedanken einfangen zu lassen. Nach Möglichkeit. Doch ist das alles Yoga? Eigentlich nein. Das ist Yoga, so wie es uns mittlerweile an jeder Straßenecke begegnet. Das ist der Yoga, der uns im Alltag abholt, uns umgarnt, uns guttut und den wir ei- nes Tages nicht mehr missen möchten. Viele belassen es dabei - und das ist gut so. Andere wollen weiter unter die Oberfläche dieser alten Erfahrungswissenschaft tau- chen. Auch das ist gut so. Der Weg des Yoga über den Körper, so wie wir ihn heute kennen ist relativ neu. Erst Krishnamacharya, der Yoga- lehrer des 20. Jahrhunderts, hat begonnen, was heute besonders auch in der west- lichen Welt immer akroba- tischer, vielseitiger, körper- freundlicher, therapeutisch wird. Ursprünglich war Yoga eine Geistesdisziplin und ein spiritueller, doch nicht religi- öser Weg. Yoga kommt aus Indien und geht mittlerweile einen tau- sende Jahre langen Weg. Yoga hat sich verändert, in Richtungen gespalten, sich ergänzt und wieder auf Altes zurückberufen. Yoga kommt von der Wortwurzel yuj, was anjochen, vor den Wagen spannen bedeutet - was im Wesentlichen darauf hinaus- läuft, den Geist und die Sin- ne zu disziplinieren. Yoga bedeutet auch Einheit. Und hier kommen wir dem Kern des Yoga etwas näher. Man könnte sagen, Yoga will den Geist disziplinieren, um aus dem „weltlichen Denken“ auszusteigen und zur Einheit zurückzufinden - dem allem übergeordneten Bewusstsein, der Einheit als Gegenteil von Dualität. Yoga sagt, die Ein- heit ist immer da, wir müssen nur lernen, in sie einzutau- chen und uns wieder als Teil von ihr zu erleben. Dorthin führt letztlich die Reise des Yoga. Ob wir diesen Zustand erreichen liegt einerseits in der Konsequenz und dem Fortschreiten unseres Übens. Andererseits ist es Gnade. Unterliegt nicht unserem Willen. Aber auch keinem göttlichen. Es passiert. Oder passiert nicht. In alten Zeiten wurde das Wissen über den Weg zu die- sem höchsten Ziel von Guru zu Schüler weitergegeben, später in Sanskrit aufgezeich- net und kann heute in weisen Büchern nachgelesen werden. Patanjali, der eines der wich- tigsten Werke über den Weg des Yoga geschrieben hat, schreibt fast ganz am Anfang seiner „Yoga Sutren“: „Yogas citta vrtti nirodhah.“ Yoga ist das Beruhigen der geistigen Wellen . Und im weiteren Sinn will es uns über das Beruhi- gen der geistigen Wellen, also des Denkens, aus unseren Konzepten von uns und der Welt, unseren unfreiwilligen weil einprogrammierten Re- aktionen auf die Außenwelt, unseren Bewertungen lösen und uns zu Menschen mit einem wirklich freien Wil- len machen. Menschen, die Spielraum haben, um sich ihre Reaktion auf die Um- welt zu überlegen. Menschen, die nicht abhängig sind von materiellen Gütern oder An- erkennung. Menschen mit Mitgefühl, Mitfreude oder Wertschätzung ohne sie un- bedingt zu brauchen. Was Yoga nicht ist Ach ja. Und Yoga ist weder eine Religion noch ein Sport. Es ist keine Religion, weil es das uns Naheliegendste und Greifbarste als Mittel zum Ziel heranzieht - den Geist und den Körper. Je- doch keine Gottheiten und keine Doktrin. Yoga ist ein philosophisches Konzept für jede Zeit und für jeden. Es steht keiner Denkschule, Re- ligion oder Interpretation von Schriften entgegen und kann von Gläubigen jeder Religion praktiziert werden. Yoga ist trotz des nicht zu leugnenden Fitnessaspekts kein Sport im herkömmlichen Sinn. Yoga ist weniger ein Work-out als ein Work-in. Wir beginnen meist mit der Dimension Kör- per, doch dabei muss es nicht bleiben. Außerdem können Stimme und Klang, Atem, Wissen oder bedingungsloses Dienen ohne die körperliche Praxis genauso Wege zu dem einen, übergeordneten Ziel des Yoga führen. Letztendlich ist es egal, ob jemand in die Yogastunde kommt, um etwas gegen Rü- ckenschmerzen zu tun oder ein größeres Bewegungs- spektrum zurückzugewinnen. Oder ob jemand Wege lernen möchte, Veränderungen in seinem Denken und damit in seinem Leben zu bewirken. Yoga unterstützt mit seinen vielen Instrumenten sowohl die ersteren als auch die letz- teren. Dahingestellt, ob das eigentliche Ziel des Yoga jemals erreicht werden will oder nicht. Mag. Nathalie Steinlechner- Paulowitsch unterrichtet seit 10 Jahren Yoga in ver- schiedenen Yogaklassen und Yogastilen. In Kuranstalten betreut sie mit yogischen Me- thoden diverse Beschwerden der Gäste im Einzelsetting. Im Juni 2020 startet ihre YogalehrerInnenausbildung in Osttirol bereits zum zwei- ten Mal. Yoga ist ihr selbst zu einem täglichen Begleiter geworden. 1 Allgemein Nu mer 66 - Juli 20

RkJQdWJsaXNoZXIy MTUxMzQ3