GZ_Leisach_2020_06

9 diese Europareisen anzubieten. Damit konnte er seinen Lebensunterhalt bestreiten, und es gab ihm mehr Erfüllung als das Studium. Auch seinen Bruder Siegfried hatte das Reise- virus gepackt, und er setzte Andy den Floh ins Ohr, dass das Reisen mit einem eigenen Schiff noch interessanter wäre. Der Kauf eines entsprechend großen Bootes überstieg die finanziellen Möglichkeiten der beiden bei weitem, aber bald stieß Andy auf eine engli- sche Firma, die Baupläne und Materiallisten für einen erschwinglichen Selbstbau-Katama- ran anbot. Zu fünft brachen sie auf, um ihren Traum vom eigenen Boot in Indien zu verwirk- lichen, weil dort das Leben und auch die Bau- stoffe sehr billig waren. Vier fanden auf der Fahrt andere Ziele, aber Andy zog seinen Plan durch und fand in Mangalore eine Werft, wo er den Bootsbau beginnen und drei Jahre später vollenden konnte. Dabei fand er immer wieder Helfer und Berater, die sich von seiner Begeisterung anstecken ließen. Während der Monsunzeit von Mai bis Sep- tember arbeitete Andy weiterhin als Reise- leiter für amerikanische Studenten in Europa, und von Oktober bis April setzte er den Boots- bau mit dem verdienten Geld fort. 1979 war es soweit, dass der 14-m-Katamaran seetüch- tig war und Andy, der das Segeln aus Büchern erlernt zu haben glaubte, die Fahrt über den Indischen Ozean zum Roten Meer und durch den Suez-Kanal ins Mittelmeer an- treten konnte. Der motorlose Segel-Katamaran erhielt den klingenden Namen Nethra Devi (Auge der Göttin). Er bot neben der Kombüse und dem Kapitänsraum Platz für maximal zehn Personen, und so konnte Andy in Goa einige zahlende Passagiere aufnehmen, die etwas mehr vom Segeln verstanden. In Suez mussten sie viel Geduld aufbringen, bis sie eine Möglichkeit fanden, das motorlose Boot durch den Kanal zu bringen, ohne die horren- den Gebühren für das Schleppen zu entrich- ten. Im Mittelmeer ging es über Israel nach Zypern, von dort über Kreta nach Italien, wo die Nethra Devi 198 Tage nach dem Auslau- fen aus Goa in St. Stefano einlief, um dort zu überwintern. Auf der langen Seefahrt gab es einige Stürme, gefährliche Riffe und zahl- reiche Diskussionen mit Zöllnern und anderen Wachorganen, aber die jungen Abenteurer kamen aus jeder gefährlichen Situation unbe- schadet heraus. Nach so langer Zeit auf dem Wasser musste sich Andy in seiner Heimat neu einleben und verdingte sich nach einem Crash-Kurs als Kellner in der Schweizer Stubn in Lienz. Dort lernte er seine spätere Frau Elfi kennen, die als Köchin arbeitete. Im Sommer bot Andy Charterfahrten auf seinem Katamaran an, und Elfi begleitete ihn dabei als Schiffsköchin. Im Winter gingen sie gemeinsam nach Zürs, wo man im Tourismus viel Geld verdienen konnte. Als Elfis Onkel, der die Glorerhütte in Kals ge- führt hatte, tödlich verunglückte, bewarben sich Andy und Elfi als Pächter für die Hütte. Von 1980 bis 1990 verbrachten sie arbeits- reiche Sommermonate als Hüttenwirte auf der Glorerhütte. Mit dem dabei erwirtschafteten Geld und viel Eigenleistung war es ihnen möglich, ihr Einfamilienhaus zu bauen.1982 kam ihre Tochter Caroline zur Welt, zwei Jahre später der erste Sohn Andreas. Oma Mariedl half bei der Kinderbetreuung tatkräf- tig mit, aber bald wurden die Kinder auch mit auf die Hütte genommen. Neben der Arbeit als Hüttenwirt baute Andy bald ein weiteres berufliches Standbein auf: Er eröffnete eine Computerfachhandlung und bot das damit verbundene Service für Klein- und Mittelbe- triebe an. Das nötige Know-how hatte er sich einerseits im Studium, andererseits während seiner Tätigkeit für die Reiseagentur und bei der Buchhaltung als Hüttenwirt erworben. Noch viele Höhen und auch Tiefen hielten die folgenden Jahre in Osttirol für Andy bereit. Seine Familie wuchs um die beiden Söhne Florian und Martin, bald darauf riss ein vor- zeitiger Tod nacheinander drei von Andys Schwestern und den Schwiegersohn mitten aus dem Leben. Aber die Erinnerungen an die aufregenden Abenteurerjahre seiner Jugend sind noch sehr lebendig, und auch die damals geschlosse- nen Freundschaften halten bis heute und gipfeln in gelegentlichen Treffen in verschie- densten Kontinenten. Die Reisen nach Ame- rika, nach Indien, Malaysien oder auch zu seinem Bruder Siegfried, der seit Jahrzehnten in Australien lebt, bringen viel Schwung in sein Seniorenleben. Daneben widmet er nach wie vor viel Zeit der Musik, sei es mit seinen Instrumenten oder beim Singen im Singkreis, dem er auch seit Jahren als Obmann vorsteht. Wenn man sich von Andy über seine Erfah- rungen beim Bootsbau und auf hoher See erzählen lässt, ist das wie ein Eintauchen in eine Welt voll Abenteuer, die jede Fernseh- dokumentation in den Schatten stellt. M. H.

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