GZ_Kartitsch_2020_04

Seite 39 Ausgabe 84 CORONA-VIRUS Es strahlt die Frühlingssonne in manch banges Gesicht, sie spürt der Menschen Angst und Sorge nicht. Gefahr zieht durch die Welt, durch Dorf, Stadt und Land, nur noch gedanklich reichen wir uns die Hand. Das Leben entschleunigt, die Straßen fast leer, aus Vorsicht verlassen wir unsere Häuser nicht mehr. Einsame Stille in Kirchen, Firmen, Schulen und Hort, auch an den geselligen Stätten von Kultur und Sport. Ein lebensbedrohlicher Virus lähmt unser Hetzen und Jagen, drängt innehaltend zu Solidarität in angstvoll, unsicheren Tagen. Will Gott der Menschheit einen Fingerzeig geben, zu überdenken, zu hinterfragen, manch maßloses Verlangen und Streben? Hilda Außerlechner Historisches - Spanische Grippe hunderttausende von der Kriegsfront heimkehrende Soldaten mit ihrem Train durch das Pustertal und Gailtal ostwärts, eine geplünderte und ver- wüstete Landschaft hinterlassend, während in vielen Häusern grippe- kranke Kinder und Menschen mit kaum ärztlicher Betreuung dahin siechten. In manchen Häusern, so wurde erzählt, wurde die ganze Fa- milie ans Bett gefesselt, sodass Nachbarn oder Verwandte pflegen mussten. Der überlastete Sillianer Sprengelarzt konnte nur Anweisun- gen geben und in Innichen, damals das medizinische Zentrum des Hoch- pustertales herrschte der „medizinische Notstand“. Für meh- rere Hundert von der Front heimkeh- rende, an der Ruhr und spanischen Grippe erkrankte Soldaten im Kran- kenhaus und in den Lazaretten von Innichen stand nur noch ein einziger Arzt im Dienst, wegen dem Kriegs- ende hatte auch das militärische Pflegepersonal großteils den Dienst quittiert. Wenn auch der Ausbruch dieser Vi- rusgrippe sich nicht unmittelbar kriegsbedingt zeigte, so wurde die rasche Verbreitung des Virus durch das Kriegsgeschehen zumindest be- schleunigt, mit Sicherheit aber zeig- ten sich die Folgen in frontnahen Gemeinden durch den jahrelangen Ernährungsmangel vor allem bei Kindern deutlicher, in Kartitsch bei- nahe verheerend. Während in Sillian etwa elf Grippe- opfer genannt sind, in Obertilliach 13 und in Untertilliach acht, waren in Kartitsch laut Oswald Sint, dem späteren Schriftsteller, 20 Grippeop- fer zu beklagen, was in den Kirchen- matriken auch belegt ist. Etwa die Hälfte der Grippetoten waren Kinder bis zu 12 Jahren, dazu drei ältere Personen, die weiteren waren Er- wachsene von 13 bis 61 Jahren. In fünf Familien waren jeweils zwei Opfer zu beklagen. Oswald Sint, der damals 18-jährig ebenfalls schwer krank und beinahe ein Opfer der Seuche wurde, berichtet auch, dass an einem Tag fünf Tote nach St. Oswald getragen und in einem Mas- sengrab beerdigt wurden, alle am 1. und 2. November verstorben. In Hollbruck sind zwei Grippetote genannt, darunter ein Italiener, ver- mutlich Kriegsgefangener, der auf dem Heimweg von dieser Seuche befallen wurde und am 6. November zu Untersinder verstarb. Trotz Not, großem Leid und schmerzlichen Verlusten überstan- den unsere Vorfahren damals letzt- lich sowohl den Krieg als auch die Pandemie der „Spanischen Grippe“ und kehrten, wie vielfach dokumen- tiert ist, allmählich zur Normalität des Alltags zurück - in Kartitsch zu neuer Dorfgemeinschaft, zu neuen Gemeinsamkeiten, Belebung des Vereinslebens und neuem Zusam- menhalt im Dorf. Heute, 100 Jahre später, könnten sie uns daher in der Bewältigung der derzeitigen Corona- Krise allemal als Vorbild gelten. Abschließend soll noch eine im Jahr 1873 eher lokal im Kartitsch- Tilliachertal aufgetretene Blattern- und Typhus-Epidemie erwähnt wer- den, die in Kartitsch 33 und in Ober- tilliach 34 Todesopfer forderte, so- mit wesentlich mehr als bei der Spa- nischen Grippe im Jahr 1918. (Bericht in Gemeindezeitung Nr. 77, März 2018, Seite 45) Ludwig Wiedemayr

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