GZ_Kartitsch_2020_04

Seite 38 Ausgabe 84 Historisches - Spanische Grippe Im Jahr 1918 wütete die Spanische Grippe. In diesen Tagen und Wochen wird unser Alltag in einem bisher nicht geahnten Ausmaß vom Corona- Virus beherrscht und trotz Vorsorge, behördlicher Verordnungen (Ausgangsperre, Schul- und Ver- sammlungsverbot, Arbeitsbeschrän- kung, Reduzierung gesellschaftli- cher und sozialer Kontakte usw.) können wir nur hoffen, dass diese Pandemie (über Kontinente reichen- de Epidemie) sich nicht allzu stark verbreitet und Erkrankungen mit Todesfolge zumindest bei uns einge- dämmt werden können. Völlig in Vergessenheit geraten ist dabei die vor gut 100 Jahren welt- weit grassierende „Spanische Grip- pe“, der österreichweit ca. 20.000 und in Tirol ca. 1.500 Menschen zum Opfer fielen, die sich bis in die kleinsten Dörfer durch massenhafte Erkrankungen verbreitete und auch in Kartitsch mit 22 Opfern (mit Holl- bruck) ihren Tribut forderte. In Deutschland wurden die Opfer mit etwa 426.000 genannt und weltweit gehen die Schätzungen von 25 bis zu 50 Millionen Toten weit auseinan- der. Trotz wiederholter Seuchen und Krankheiten durch alle Jahrhunderte war die Spanische Grippe daher die bis heute an den Opferzahlen gemes- sen weltweit größte und schlimmste Epidemie (Pandemie) der Geschich- te. Nach neueren Forschungen ist anzu- nehmen, dass diese Virusgrippe mit der offiziellen Bezeichnung „Influenza Virus A/H1N1“ nach ers- ten Erkrankungen im Februar 1918 im mittleren Westen der USA bald über den Seeweg nach Frankreich und Spanien und somit Europa kam und sich in drei Wellen um die Welt verbreitete. Europa war aber mitten im Welt- krieg, Berichte über eine seuchenar- tige Krankheit fielen der Kriegszen- sur zum Opfer. Lediglich die kaum zensurierte Presse im neutralen Spa- nien berichtete über diese noch un- bekannte hochansteckende Virus- grippe sowie deren rasante Verbrei- tung und die Gefahr der Übertra- gung. Daraus entwickelte sich die weltweite Bezeichnung „Spanische Grippe“, wobei Spanien von ihr kaum stärker betroffen war als ähnli- che Staaten Europas. Zeigte die erste Grippewelle im Frühjahr 1918 zwar viele Erkrankun- gen mit jedoch relativ wenigen To- desfällen, wütete die Herbstwelle ab August 1918 in den USA, ganz Eu- ropa und Westafrika. Sie grassierte in Kriegsgebieten genauso wie im Hinterland, beeinflusste an der deutsch/französischen Front den Kriegsverlauf und verbreitete sich bis in die entlegensten Täler und Dörfer mit unzähligen schweren Er- krankungen und erschreckend vielen Todesopfern. In den ehemaligen Kronländern der im Zerfall befindlichen k.u.k. Mo- narchie wurde die noch unbekannte Seuche vermutlich über die Kriegs- fronten übertragen. Als österreichi- sche Sturmtruppen in italienischen Schützengräben seltsam erkrankte Soldaten vorfanden, vermute man zuerst Kampfgasvergiftung, bis man die Gefährlichkeit dieser bisher nicht bekannten, ansteckenden Krankheit erkannte. Die Virusgrippe zeigte sich mit oft sehr schnellem hohem Fieber und Schüttelfrost, verbunden mit Kopf- und Gliederschmerzen, Husten und Reiz im Rachenbereich. Lebensbe- drohlich wurde für viele eine dazu stoßende, mit starken Blutungen ver- bundene Lungenentzündung, die oft zum raschen Tode führte. Überle- bende litten lange an Müdigkeit und Erschöpfung und bedurften einer langwierigen Genesungsperiode. Betroffen waren alle Altersgruppen, Kinder und alte Menschen, nicht weniger aber 20 – 40 Jährige, auch bisher Gesunde. Bekannte Medika- mente blieben völlig wirkungslos. Impfungen waren damals zwar be- reits bekannt und wurden für Mili- tärs fallweise auch angewendet, na- türlich mangelte es aber an einem geeigneten Impfstoff. Ganz allge- mein hinkte der medizinische For- schungsstand diesem Influenza- Virus nach, sodass auch kaum brauchbare Verhaltensregeln bekannt waren. Die spanische Grippe in Kartitsch In unserer Gegend grassierte diese gefährliche Grippe-Epidemie von Ende Oktober bis Dezember 1918 und vereinzelt bis Februar 1919, am stärksten zeigte sie sich Anfang No- vember 1918, somit gleichzeitig und parallel mit dem Weltkriegende, dem Zerfall des Kaiserreiches und der Bildung des neuen Staates Deutsch/ Österreich. Entgegen der Corona- Krise von 2020 mit laufend Anwei- sungen über Verhaltensregeln und Ausgangsverbot bis zur Total- Quarantäne besonders betroffener Infektionsgebiete durch Staat und Landesregierung und einem beinahe weltweit vernetzten Informationssys- tem, bestand 1918 während dem Hö- hepunkt dieser Seuche keine hand- lungsfähige Regierung oder Gesund- heitsbehörde, um die Bevölkerung zu informieren und Ratschläge zur Eindämmung des Krankheitsverlauf zu erlassen. Das Gesundheitswesen war ausgeblutet und darnieder, die Menschen waren auf sich allein ge- stellt und ihrem Schicksal überlas- sen. Zudem zogen in diesen Tagen

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