GZ_Kartitsch_2020_04

Seite 36 Ausgabe 84 Historisches - Das Grundbuch Seit rund 100 Jahren besteht in ganz Österreich das von den Bezirksgerichten verwaltete Grundbuch, das inzwischen für beinahe alle Bürger zu einer unver- zichtbaren Einrichtung geworden ist. Das Grundbuch ist vereinfacht erklärt ein amtliches öffentliches Verzeichnis der bestehenden Flächen (Grundstücke), in dem der Verwendungszweck, die Ei- gentumsverhältnisse sowie etwaige mit dem Grundstück erworbene Rechte oder auf ihm liegende Lasten erfasst sind. Geschichtlicher Rückblick Bereits unter Kaiserin Maria Theresia wurde 1770 in Wien mit Häuserauf- zeichnungen begonnen und vorrangig zur späteren Berechnung von Steuern wurde 1817 das Anlegen eines Grundka- tasters für die gesamte Monarchie ver- ordnet (franze-ischer Steuerkataster). In Niederösterreich und Kärnten wurde begonnen, in Tirol erfolgte die Landver- messung mit der Errichtung der Ka- tastralmappen ab 1855 bis 1861. In der Folge wurden ab 1870 Grundbesitzbö- gen erstellt. Infolge des allgemeinen Grundbuchge- setzes von 1871 und den Durchfüh- rungsgesetzen in den Kronländern wur- de mit dem Anlegen des jeweiligen Grundbuches begonnen. Ein wesentli- cher Teil des Grundbuches war dabei die Urkundensammlung zum Nachweis der Besitzverhältnisse. Nun hatte sich besonders in Tirol seit dem frühen 16. Jahrhundert eingebür- gert, Verträge bei Besitzwechsel, Kauf, Tausch, Übergabe, Verlassenschaften, Vormundschaften, auch Eheverträge usw. wegen der Rechtssicherheit ge- richtlich beglaubigen zu lassen, vielfach wurden sie auch vom Gerichtsschreiber erstellt. Die betreffenden Urkunden wur- den ebenso wie die angefallenen Ge- richtsprotokolle beim jeweiligen Land- gericht laufend nummeriert und datiert in den „Verfachbüchern“ abgelegt (verfacht). Im Landgericht Heinfels er- folgte dies ab 1651. Das Verfachbuch gilt daher als Vorläufer des Grundbu- ches und bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts galten die Verfachbücher auch als gesetzliches Provisorium für das damals erst beabsichtigte Grund- buch. Es war also naheliegend, dass mit der Errichtung und laufenden Verwaltung des Grundbuches die Landgerichte - ab Errichtung der Bezirkshauptmannschaf- ten im Jahr 1868 Bezirksgerichte be- nannt - betraut wurden. Im Kronland Tirol wehrte sich die stän- dische Mehrheit des Landtags lange gegen die Einführung des Grundbuches. Vielmehr wollte man das System der Verfachbücher verbessern und moder- nen Erfordernissen anpassen. Erst als die Aussichtslosigkeit dieses Vorhabens nachgewiesen werden konnte, wurde am 24. März 1897 das Grundbuch- Anlegungsgesetz der gefürsteten Graf- schaft Tirol beschlossen und nach eini- ger Verzögerung wegen fehlender Geld- mittel im Jahr 1899 mit der Grundbu- cherrichtung in Tirol begonnen. Am 10. 4. 1898 wurde eine Durchführungs- verordnung zum Grundbuch erlassen und in Folge eine vorgeschriebene Grundbuchanlegungs-Kommission ge- bildet, die strittige Fragen zu klären hat- te. Die Anlegedauer reichte bis in die 1920er Jahre. Im politischen Bezirk Lienz mit den Gerichtsbezirken Win- disch Matrei, Lienz und Sillian reichten die Grundbuchanlegungsarbeiten von 1899 bis etwa 1914. Die in den jeweiligen Gemeinden zur Anlegung des Grundbuchs erforderli- chen Erhebungen erfolgten jeweils vor Ort und wurden öffentlich kundgemacht, so etwa in Kartitsch: Montag, 1. Juli 1909, Beginn 8 Uhr im (heute alten) Schulhaus. Sie wurden für sechs Wo- chen anberaumt. Alle Besitzer der in der Katastralgemeinde befindlichen Liegen- schaften, Hypothekargläubiger und alle, die an der Ermittlung von Besitzverhält- nissen ein rechtliches Interesse hatten, konnten alles zur Klärung ihrer Interes- sen Wichtige vorbringen. Zudem wur- den die auf den Besitzbögen aufschei- nenden Besitzer einzeln vorgeladen. Eine Katastermappe mit Parzellen- und Besitzerverzeichnis war in einer in Obertilliach eingerichteten k.k. Grund- buchanlegungskanzlei zur öffentlichen Einsicht aufgelegt. Gleiche Erhebungen für die Katastralgemeinde Hollbruck begannen am 9. August 1909 beim Messnerwirt. Mit 1. Juli 1913 erfolgte beim Bezirks- gericht Sillian die Eröffnung des Grund- buches mit dem Richtigstellungsverfah- ren für die Katastralgemeinde Kar- titsch . Im Richtigstellungsverfahren konnten belegbar falsche Eintragungen beeinsprucht werden, unter Einhaltung vorgeschriebener Fristen erfolgte eine Richtigstellung. Zur Klärung und Schlichtung strittiger Fälle war in jeder Gemeinde eine örtliche Grundbuchkom- mission vorgeschrieben. Die offizielle Gültigkeit des Grundbuches ist für Kar- titsch mit 1928 datiert. Die Errichtung des Grundbuches bedeutete für die Beamten (Grundbuchkommissare) Neuland und trotzdem sie gut geschult wurden, führ- ten manche Eintragungen, besonders in Tirol die in Jahrhunderten gewachsenen, aber gebietsweise unterschiedlichen Begriffsdeutungen von Gemeinschaften (Gemein, Gemeinde, Fraktion, Nachbar- schaft usw.), auch die unterschiedliche Handhabung von landwirtschaftlichem Besitz und Nutzungsrechten zu einer nach Jahrzehnten entstandenen Rechts- unsicherheit, die sich noch heute in der letztlich unbefriedigenden Regelung Gemeindegut – Agrargemeinschaften zeigt. Wie in vielen Gemeinden Osttirols war auch in Kartitsch die Anlegung des

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