GZ_Gaimberg_2020_04

31 Die Sonnseiten Nummer 60 - August 2018 3 Chronik er 65 - April 2020 Vor 75 Jahren - 1945 Kriegsende und Kosakentragödie Berichte des Ortschronisten Franz Wibmer Vor fünf Jahren, 70 Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges, brachten wir in den „Sonn- seiten“ Erinnerungen einiger Gaimberger zum tragischen Schicksal der Kosaken und die „Geschichte des Kosa- kenkindes Adelheid“, das mit seiner Tante Paula bei Pfarrer Jeller in Gaimberg aufwuchs. Heuer - nach 75 Jahren - er- zählt uns Frau Maria Karré‘, die so nah an einem Teil des Geschehens war wie kaum jemand, was ihr im Gedächt- nis geblieben ist. Dass es er- staunlich viel ist, freut uns besonders, weil sich das Er- lebte im Grenzgebiet unserer Gemeinde abgespielt hat (für die vielen Zugezogenen: das „Leitner Anwesen“ liegt am östlichen Ende des Ortsteiles Postleite, wo die Wartschen- siedlung beginnt.) und weil es nur mehr wenige Personen bei uns gibt, die sozusagen hautnah Erlebtes aus dieser Zeit widergeben können. Frau Maria Karré‘s Erin- nerungen an die Kosaken in Untergaimberg: Im Mai 1945 ist der furcht- bare Krieg zu Ende. Flücht- linge aus Deutschlands Osten, aus Slowenien, aus Ungarn und Rumänien ziehen durch’s Land und suchen kurzen oder längeren Aufenthalt. Soldaten streben heimwärts, Nazigrö- ßen verschwinden in Lagern und jeder ist froh, wenn er eine sichere Bleibe hat. Anfang Juni schauen wir durch das Küchenfenster nach Westen - da trauen wir unseren Augen nicht: Reiter, Planwagen, Fußvolk, Pferde strömen von Süden heran. Ca. 100 m von unserem Haus entfernt schlagen sie ihr La- ger auf. Die Engländer sind als Besat- zer schon vor Ort und sorgen für Ruhe. Wir beobachten besorgt und gespannt, wie es weitergehen wird. Im Radio hören wir, dass es sich bei diesen Menschen um Kosa- ken handelt, die über den Plöckenpass von Italien nach Österreich gekommen sind. Kosakenregimenter hatten sich der deutschen Wehr- macht angeschlossen, zogen von der Ukraine nach Westen und gehörten jetzt nirgendwo hin. Die Russen drohen mit Vergeltung, die Engländer versprechen vorläufig Schutz. Hunderte Pferde sind in un- serer Wiese eingesperrt. Un- heimliche Geräusche, Stamp- fen und Wiehern lassen uns in der Nacht nicht schlafen. Die Familien mit den Plan- wagen richten sich unter den Bäumen entlang des Weges häuslich ein; die Männer sind mit den Pferden unterwegs. Brennholz wird mit Seilen von den alten Eichen herun- tergeholt, bald brennen Feuer. Da wird gekocht, gewaschen und bald spielen Kosaken- kinder friedlich. Gottseidank ahnen sie nicht die Tragödie, die ihnen bevorsteht. An einem Sonntag kommt ein Pope im schwarzen Or- nat und bittet meine Mut- ter um einen Tisch für den Gottesdienst. Im südlichen Oberhuber Feld versammeln sich (in meiner Erinnerung unzählige) Leute zum ortho- doxen Gottesdienst. An einer großen Eiche sind Ikonen be- festigt, darunter unser Tisch als Altar - und jetzt wird drei oder vier Stunden gebetet und gesungen. Ich bin mit mei- nen schwarzen Zöpfen ganz unauffällig mitten unter den Kosaken. Wir haben keine Angst vor ihnen, obwohl sie bewaffnet sind. Die Englän- der fahren mit einem Panzer jeden Tag die Wege entlang, das gibt auch Sicherheit. Ich beobachte einmal, wie eine Frau eine Grube aus- hebt, darin Feuer macht, ei- nen flachen Stein darüberlegt und darauf Fladen bäckt. Der Pope erfährt, dass mein Bru- der Nikolaus heißt und segnet ihn, denn Nikolaus ist für die Kosaken ein ganz wichtiger Heiliger. Ein Kosake stirbt in die- sen Tagen. Das Begräbnis am Wartschenbach ist ein- drucksvoll: Wieder tönen die schwermütigen Gesänge und Gebete im fremden Land. Viel Angst und Heimweh drücken sie aus. Nach ca. zwei Wochen (in meiner Erinnerung - histo- risch vielleicht nicht exakt) kommt Unruhe in das Lager. Alles wird zusammengepackt und am nächsten Morgen ist niemand mehr da - außer den vielen Pferden in unserer Wiese. Diese waren aber fast alle krank und die Bauern konnten sich die besten aus- suchen und mitnehmen, den Rest holte der „Rossmetzger“ - Fleisch war rar in dieser Zeit. Man erfuhr dann nach und nach, dass die Engländer die Kosaken den Russen ausge- liefert haben. Viele suchten den Freitod in der Drau. Die- se Tragödie ist in vielen Bü- chern nachzulesen. In Lienz zeugt ein kleiner Friedhof an der Drau vom Untergang dieser Menschen. Einige Männer versteckten sich und blieben in Osttirol. Einige Kinder wurden gefunden und da aufgezogen. Bei uns in Gaimberg lebte „Peter“ beim Singer-Bauer noch 30 Jahre. Am Friedhof in Gaimberg liegt er zwischen Einheimischen; geboren in der Ukraine, durch das halbe Europa gezogen, gestorben in Osttirol. In unserer Familie blieb der Satz hängen, von Peter an meine Mutter gerich- tet, die gerade am Acker ist: „Leitner-Frau, nix gut, Seppl heiraten - so viel Arbeit“. Er selbst hat Jahrzehnte schwer gearbeitet. Ich möchte ihn da- vor bewahren, vergessen zu werden. Diese Kosakentragödie ist für unsere jungen Leute lang, lang her, aber das Gedenken an Krieg und Elend soll uns dankbar machen für unsere gesicherte Gegenwart. Die Häuser des „Leitnerhofes“ viele Jahre später.

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