GZ_Virgen_2020_03

48 Dorfleben – Menschen Virger Zeitung Es gab also schon längere Zeit Kri- tik und sogar die Forderung nach Abschaffung des Brauchs, sodass sich Pfarrer Andreas Brunner [Anm.: von 1910 bis 1931 im Amt] veranlasst sah, am 24. 12. 1919 einen Brief an seinen Mitbruder in Prägraten zu schreiben, in dem es unter anderem heißt: „… Vor zwei Tagen teilte mir unser neuer Bür- germeister Johann Gsaller, Jahrin- ger, mit, dass hiesige Gemeindever- tretung beschlossen habe, den Kreuzgang wie bisher weiter zu hal- ten, aber den Opferwidder statt unter Mühen und unter Spötte- leien Auswärtiger nach Lavant zu liefern, lieber hierorts jährlich zu veräußern und den Erlös hiesigen Ortskirchen zuzuteilen.“ Weiters fragte Brunner an, ob der Pfarrpro- visor und die Gemeinde von Prä- graten mit der geplanten Ände- rung einverstanden seien und wie der Erlös aus der Versteigerung des Tieres verteilt werden sollte. Nach dem Einverständnis sowohl der kirchlichen wie der weltlichen Ob- rigkeit Prägratens beschlossen die beiden Gemeinden am 15. Feb- ruar 1920, den Widder künftig in Obermauern zu opfern und das Geld der Wallfahrtskirche zukom- men zu lassen. Das Fürstbischöf- liche Ordinariat in Brixen hat die- sen Beschluss in einem Erlass vom 23. März 1920 nicht nur geneh- migt, sondern, wie Brunner be- tont, „ausdrücklich gebilligt“. [R. Bodner, s. o.] Rückblende zum Opfergang vor der Neuerung: Josef Berger, vulgo Thal- ler, hat uns einen Erlebnisbericht hinterlassen, wie es bei einer der letz- ten Wallfahrten nach Lavant zuge- Die Geschichte, wie dieser seit dem Jahr 1635 bis auf den heuti- gen Tag bei uns gepflegte Brauch entstanden ist, darf wohl als be- kannt vorausgesetzt werden. Weni- ger bekannt dürfte hingegen sein, dass der Widder seit nunmehr genau 100 Jahren nicht mehr nach Lavant geführt, sondern in der Kir- che von Obermauern geopfert wird. Warum diese Änderung vor- genommen wurde, ist nicht ein- deutig belegt – es werden wohl mehrere Gründe dafür ausschlag- gebend gewesen sein: a) Kurz nach dem Ende des Ersten Weltkrieges „… machte sich Man- gel an Lebensmitteln und Klei- dung überall bemerkbar …“ [Chro- nik der Volksschule, 1919] b) Die Strapazen des weiten Weges waren, vor allem für Kinder, nicht zu unterschätzen – siehe das Schreiben am Ende dieses Artikels. c) Natürlich fehlte es auch in allen Bereichen an Geld. „Da war in Vir- gen ein Kooperator [Anm.: Eduard Mair unter der Eggen], der hat ge- sagt: das Geld behalten wir selber und spenden es auf Obermauern.“ [R. Bodner, siehe Quellenverzeich- nis] d) Mündlich ist überliefert, dass es bei diesem Kreuzgang zu unschö- nen Auswüchsen gekommen sein soll; in den Orten, durch die der Zug kam, gab es den Spruch: „Ban Öchngiehn ,Heilig, heilig‘, ban Hintagiehn ,Rauschig, rauschig‘. e) „Die Wallfahrer nächtigten zu- meist in Scheunen und traten am nächsten Morgen über Lienz und das Iseltal die Heimreise an. … In diesen Frühlingsnächten trieben sie auch manchen Unfug, der ab und zu neun Monate später sogar ernste Folgen gezeitigt haben soll.“ [R. Bodner, s. o.] f) Zusammenfassend: Manche Wallfahrer provozierten bzw. lie- ßen sich von Außenstehenden pro- vozieren. „Gesoffen haben sie, Unfug gemacht, so viel ist da pas- siert!“ [R. Bodner, s. o.] seit 100 jahren: widderopfer in obermauern CHRONIK josef berger und seine mutter (?) mit dem opferwidder.

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