GZ_Assling_2019_12

DerVagusnerv - der geheimnisvolle Heiler in uns Seite 26 12/2019 Das der Nervus Vagus schon allein wegen seiner Länge und seiner Ausbreitung in unserem Körper eine wichtige Rolle spielt, liegt auf der Hand, aber ist er wirklich auch der „Wunderheiler“? Ist er der Nerv, der zentral ist für Entspan- nung, Ruhe und Heilung, auch wenn sein Name, der auf Deutsch „der umherschweifende Nerv“ bedeutet, ja eher nach Unruhe klingt? Der N. Vagus ist Teil des vegetativen Nerven- systems und wird im Allgemeinen auch als unser Ruhe- und Entspannungsnerv bezeichnet. Das vegetative Nervensystem reguliert und koordiniert auto- nom – ohne unser bewusstes Zutun – die Funktionen der inne- ren Organe, so dass ihre Aktivität den jeweiligen Bedürfnissen des Gesamtorganismus angepasst wird. Herz-, Kreislauf-, Atmungsfunktionen, Verdauung, Stoffwechsel und Ausschei- dung, Wärme- und Energiehaushalt unterliegen der ständigen Kontrolle des vegetativen Nervensystems. Das oberste Gebot des vegetativen Nervensystems ist es, in jedem Moment für unsere Sicherheit zu sorgen und uns am Leben zu erhalten. Hierfür muss es in der Lage sein, sich selbständig den jeweili- gen Herausforderungen optimal anzupassen. Zum vegetativen Nervensystem gehören der Sympathikus und der Parasympa- thikus, dessen größter Nerv der Nervus Vagus ist. Fast alle inneren Organe werden sowohl vom Sympathikus als auch vom Parasympathikus beeinflusst, und dies gegensinnig. Der Sympathikus versetzt den Körper in eine erhöhte Lei- stungsbereitschaft, er wirkt bei Angriffs- oder Fluchtverhalten und anderen außergewöhnlichen Anstrengungen. Seine Wir- kung ist nach außen gerichtet. Der Parasympathikus entfaltet seine Wirkung nach innen. Er steht für Ruhe und Entspan- nung, fördert die Regeneration und den Aufbau körpereigener Reserven. Er sorgt für einen Zustand der Harmonie, in wel- chem auch Heilungsprozesse stattfinden können. Für unsere Gesundheit ist es wichtig, dass Sympathikus und Parasympathikus im Gleichgewicht sind. Nur wenn sich Stress und Erholung im Gleichgewicht befinden, ist ein Zustand der Ausgeglichenheit möglich. Unser turbulenter Alltag ist heutzutage fast durchweg von starken Herausforderungen geprägt, sei es im Beruf, im Privat- leben oder in der Freizeit. Dabei handelt es sich meist nicht um äußere Stressoren, sondern um innere. Es ist nicht mehr der Säbelzahntiger, der unsere Vorfahren noch in existentielle Not brachte, sondern wir leiden stattdessen an einem Leben in Ruhelosigkeit und Hektik, starker Konkurrenz und zu vielen „Baustellen“. So sehnen wir uns nach einem Zustand der Ent- spannung, der zu selten eintritt. Meditation, Stille, Achtsam- keit uns selbst und anderen gegenüber, Genuss, Musik, Natur- erlebnisse und Kuscheln – häufig kommt diese Art, das Leben zu erfahren, zu kurz. Unser Rhythmus und die natürlichen Selbstheilungskräfte geraten dadurch aus dem Takt. Grund- sätzlich ist der Taktgeber für diesen Zustand der Vagus – unser großer Nerv der Ruhe und Entspannung. Dieser größte Nerv des parasympathischen Systems sorgt für ein lebendiges Gleichgewicht und einen starken inneren Arzt. Prof. Dr. Porges erweiterte die gängige Theorie des vegetati- ven Nervensystems. Der Nervus Vagus teilt sich in einen ent- wicklungsgeschichtlich alten hinteren Teil und einen neueren vorderen Teil, der nur bei Säugetieren und vor allem beim Menschen entwickelt ist und hier besonders über die soziale Kommunikation Sicherheit und Wohlgefühl in der Gruppe bedingen soll. Der ventrale Vagusast steht in direkter Verbindung mit weite- ren Hirnnerven, die Mimik und Stimme beeinflussen und zusammen wichtig für das zwischenmenschliche Verhalten und vor allem in der Kommunikation Bedeutung haben. Er nennt dieses Zusammenwirken „Social Engagement System“ (SES). Heute besteht bei vielen Menschen eine Dysbalance des vege- tativen Nervensystems, weil der moderne Mensch fast perma- nent unter dem Antrieb des Sympathikus steht, was zu Dauer- stress und Problemen wie Burnout führen kann. Es ist nicht der Stress allein der uns krank macht, sondern der fehlende Ausgleich mit Pausen, wobei es Pausen in Ruhe oder aber auch Pausen mit einer moderaten körperlichen Anstrengung sein können, z.B. indem wir eine Sportart betreiben, die uns entspricht und uns Freude bereitet. Besonders die für viele Menschen wichtige 24-Stunden Online-Präsenz ist ein zentra- ler Stressfaktor der heutigen Zeit. Wenn unsere Aufmerksam- keit fast dauernd nach außen gerichtet ist, gibt es kaum noch besinnliche Momente, wichtige körpereigene Signale können nicht mehr wahrgenommen werden. Prof. Schnack bezeichnet den Nervus Vagus als unseren gro- ßen Ruhe-Nerven. Er sagt, dass wir über bestimmte Techniken den N. Vagus bewusst aktivieren und so eine Entspannung herbeiführen können. Da der N. Vagus von seinem Verlauf her der Kommunikator ist zwischen Gehirn, Herz, Lunge und Bauchraum, weitet sich die durch ihn initiierte Entspannung auf den ganzen Körper aus. Wichtig ist dabei auch die Verbin- dung des N. Vagus zu den anderen Hirnnerven. Prof. Schnack ist überzeugt, dass wir Menschen nicht nur über einen schnell auslösbaren Kampf-Flucht-Reflex verfügen, sondern auch einen in Sekunden funktionierenden parasympathischen Ent- spannungsreflex, der unmittelbar aktiviert werden kann über den N. Vagus als Initiator der schnellen Tiefenentspannung. So kann über angenehmes Licht, das den Pupillenschließmu- skel aktiviert, oder über das Fokussieren auf die eigene Nasen- spitze, was die innenseitigen Augenmuskeln und den Ziliar- muskel aktiviert, auch der Parasympathikus angeregt werden. Die Impulse laufen über die gemischt motorischen und para- sympathischen Fasern des N. oculomotorius in den Hirn- Die Seite für die Gesundheit mit Doktor Adelbert Bachlechner Fortsetzung nächste Seite unten

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