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10 Glocken Dez. 2019 Glocken Glocken Glocken Glocken Glocken Glocken F riedrich Schiller beschreibt in sei- nem „Lied von der Glocke“ die Glocke als Begleiterin eines Menschen- lebens von der Wiege bis zur Bahre. Ge- nerationen von Schülern werden ein dif- ferenziertes Verhältnis zu diesem Gedicht haben, je nachdem, wieviel sie davon auswendig lernen mussten. Für einen meiner Mitschüler war es eher das Leid von der Glocke. Wegen ei- ner geringfügigen Verfehlung, einer klei- nen Frechheit, musste er das umfang- reiche Werk als Strafaufgabe über die Weihnachtsfeiertage abschreiben. Der Bestrafte löste die Aufgabe kreativ. Mit spitzem Bleistift und in winzigster Schrift hatte er das Gedicht auf vier Doppelsei- ten untergebracht. Der Lehrer musste eine Lupe nehmen, wenn er kontrollieren wollte, ob wohl kein Wort fehle. Fest gemauert in der Erden Steht dieFormaus Lehmgebrannt, Heutemuss die Glocke werden FrischGesellen seid zurHand Zum Leid für die Glocke wurde wohl auch der unselige pädagogische Erziehungsversuch in der Ballade „Die wandelnde Glocke“. Ein Kind, das die Sonntagsmesse schwänzen will, wird von einer hinter ihr herfliegenden Glocke drohend verfolgt bis zur Kirchtüre. Zu den Glockenliebhabern zählte sicher Reimmichl. In seinem Gedicht „Christnacht über den Bergen“ scheint er viele von ihnen mit Namen zu kennen: die „Sext“ vom Brixner Dom, in Neustift die „Alte“ mit grollendem Bass, in Inns- bruck die „Neue“ zur Heiligen Dreifaltig- keit - die größte und schwerste im ganzen Land, in Schwaz das silberne Berg- und Knappengeläut, die Wolken- und Wetter- glocke von St. Veit, usw. Noch bis ins 20. Jahrhundert struk- turierten in der bäuerlichen Gesellschaft die Glocken - auch mangels eigener Uh- ren - den Tagesablauf mit dem Betläu- ten: um 6 Uhr, mancherorts schon um 5 Uhr, zu Tagesbeginn, um 12 Uhr zu Mahlzeit und kurzer Rast, um 18 Uhr zum Feierabend. In der Welt der Bauern spielte auch das Wetterläuten eine Rol- le. Ertönte die Wetterglocke, wurden ge- weihte Kräuter aus Frauenbuschen und Palmbesen angezündet, mit Weihwasser gesprengt und gebetet. In manchen Tür- men wird auch heute noch Wetter geläu- tet, zum Beispiel in St. Veit und in Silli- an. Dort wird glaubhaft versichert, dass die Glocke das Wetter zähmt. Waren es die stürmischen Gebete oder tatsächlich der Klang der Glocken, die dem Wetter Einhalt geboten? Auch in der Literatur spielen Glocken eine Rolle: Reimmichls „Die Glocken von Hochwald“, „Glocken über den Bergen“ von Luis Trenker, das berühmte Werk von Victor Hugo „Der Glöckner von Not- re Dame“ und viele andere. Deutsche Balladen sind Glocken-Fundgruben: Der Glockenguss zu Breslau, Der Pilgrim von St. Just, Das Lied vom braven Mann, Die Glocken von Speyr, usw. Glockenabbildungen sind auf Brief- marken und Münzen zu finden. Neben Gipfelkreuzen laden sie auch auf Bergen zur Besinnung ein. Erst dem modernen 20. Jahrhundert war es vorbehalten, sich im großen Stil der Glocken zur Kriegsführung zu bedie- nen. Es liegt in der Perversität des Krie- ges, ein Mittel, das dem Menschen zur Erbauung, zum Schutz und zur Warnung diente, zum Tö- ten zu verwenden. Hier beginnt das echte Leid der Glocken. Zu hun- derten vom Turm ge- seilt, oft nur wahllos hinuntergeworfen, auf Glockenfriedhö- fen gesammelt und zum Einschmelzen verfrachtet, unterstütz- ten sie das große Mor- den. Am 1. August 1914 riefen in ganz Tirol die Glocken zum Krieg. Nach Eintritt Italiens in den Krieg, durften auf Befehl des Kom- mandanten General Markl die Glocken nicht mehr läuten (zitiert aus der Pfarr- chronik). Den Frieden konnte der spärli- che Rest, der in den Türmen verblieben war, nicht mehr verkünden. Da zerret an der Glocken Stränge Der Aufruhr, dass sie heulend schallt und nur geweiht zu Friedensklängen Die Losung anstimmt zur Gewalt In den meisten Tiroler Kirchen blieb nur eine Glocke im Turm, manchmal gar keine. Aus Schlaiten berichtet die Chronik, dass alle Glocken abgenommen wurden und als Ersatz eine Glocke aus der Filialkirche Göriach umgehängt wur- de. Besonders alte und wertvolle blieben manchmal verschont, zum Beispiel zwei denkmalgeschützte in Hopfgarten. Der Missbrauch der Glocken feierte in beiden Weltkriegen frivole Urständ. Galt es im ersten Weltkrieg noch als pat- riotische Pflicht, für Gott, Kaiser und Va- terland die Glocken zu opfern, so wurden sie im zweiten Weltkrieg an manchen Orten zu Siegesmeldungen missbraucht. In St. Jakob läuteten nach dem Über- raschungssieg über Polen einige Tage die Mittagsglocken eine Stunde lang. Pfarren und Gemeinden stellten Bittgesuche an die Kriegsführung, um die eine oder andere Glocke zu retten, meist erfolglos. Hin und wieder wurde auch zu einer List gegriffen. So nahm der Mesner der Lourdeskapelle in Burgfrieden rechtzeitig den Glockenstrick ab, um eine Abnahme vor- zutäuschen und das Marienglöcklein in Leisach wurde in der Mistlege vergraben. Fanny Wibmer-Pe- dit widmete 1932 diesem Glöcklein ei- nes ihrer Werke. Glocken, die wegen des ungeplanten Kriegsendes nicht mehr gebraucht wurden und sich zu tausenden an den Sammelplät- zen stapelten, (in Hamburg lagerten noch mehr als 10 000), wurden zurück- gegeben. Manchmal hatten sie Haarrisse bekommen und waren nicht mehr ver- wendbar. Sie hatten im wahrsten Sinne des Wortes Stimmbruch erlitten. H a l b - D o l l a r - M ü n z e U S A 1 9 4 7

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