GZ_Doelsach_2019_11

Seite 34 Dölsacher Dorfzeitung November 2019 Tschurtschenthaler Bauern, ein Ver- hältnis mit einem Italiener angefan- gen und ihn trotz aller Proteste dann auch geheiratet zu haben. Nicht nur das verstoßene Paar stellt den ringsum geschürten Hass zwischen zwei Nationen zur Schau. Überall tut er sich auf. Die Namen werden ita- lienisiert. Der Rabensteiner heißt jetzt Pietracorvo. Kein deutsches Wort weder in der Schule noch auf den Ämtern! Der Podestà ist der Aufwiegler schlechthin und der Wirt reibt den nicht deutschsprechenden Italienern die gemeinsten Schimpf- wörter mit spöttischer Freundlich- keit unter die Nase. Das Ende der Optionsfrist naht. Unter den 250.000 Südtirolern bro- delt es gewaltig. Sie spalten sich in die Minderheit der „Dableiber“ und die Mehrheit der Auswanderer, und die Risse entstehen sogar quer durch die Familien- bande. Armut und Hunger schmerzen, Hitler lockt mit Arbeit, ebenen Feldern und beziehbaren Bauernhäu- sern irgendwo auf gelobtem deutschem Boden. Dank des ertragreichen Eierverkaufs seiner Großmut- ter kann Michl Tschurtschenthaler das Gymnasium besuchen. Er soll einmal studieren und Priester wer- den. Doch mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrie- ges kommt alles anders. Von den politisch manövrier- ten Versprechungen bleibt nur ein Scherbenhaufen zurück. Klaus Rohrmoser hat mit seiner Regie und mit einem 50-köpfigen Ensemble ein authentisches Meisterwerk geschaffen, das in dreistündiger Dauer keinenAugen- blick an Spannung verliert. Die Tumulte auf dem Dorfplatz, die Einvernahme aller wichtigen Posten durch die Italiener, der Einzug der SS-Truppen, die emotionalen Beratungen dreier Generationen inner- halb der Familien wurden mit mitreißender Intensität inszeniert und sind gerade recht geraten, um alle Facetten des inneren Kampfes jedes Einzelnen „hüben und drüben“ sichtbar zu machen. Das bewährte Team der Tiroler Volksschauspiele Telfs, darunter der Dölsacher Lucas Zolgar als stu- dierter Sohn der Familie Tschurschenthaler, und sämt- liche weitere Akteure jeglichen Alters gaben ihr Bes- tes und lieferten die Geschichte „Das Gedächtnis der Häuser“ hautnah, aufregend und tief. Lilly Papsch Lucas Zolgar als Volksschauspieler in „Das Gedächtnis der Häuser“ von Felix Mitterer Die Südtiroler Siedlung in Telfs steht vor dem Abriss. Noch aber dient sie als Kulisse für ein geschichtsträchti- ges Spektakel, das, so gut wie es ge- spielt ist, wohl allen Zuschauern der auf Wochen ausverkauften Vorstel- lungen unter die Haut geht. „La mia volontà non conosce ostacoli“ – Mein Wille kennt keine Hinder- nisse – ist auf einer der Häuserwände zu lesen, und man glaubt zuerst, die Schrift wurde für das Theater ange- bracht. Doch sind derlei Schlagzeilen an den Häuserwänden original aus der Zeit, als es für die Südtiroler nach der fortschreitenden Italienisie- rung ihres Landes zu bleiben oder auszuwandern hieß. Mussolini und Hitler wollten den Störfaktor „Süd- tirol“ ausschalten. Mit den Plänen der Nationalsozia- listen ein „Großdeutschland“ zu schaffen wuchsen die Hoffnungen jener Südtiroler, die nach zermürbenden Gewissenskonflikten bereit waren, wohl ihre Heimat, aber nicht ihre Sprache und ihre Kultur zu opfern. Kein Geringerer als Felix Mitterer hat sich der brisan- ten Thematik angenommen und die Filmversion „Ver- kaufte Heimat“ für das Theater umgeschrieben. Dank des rasanten Szenenwechsels aber wähnt man sich oftmals im Kino. Rasch muss das Auge den Plätzen folgen, an denen gespielt wird: auf dem Dorfplatz, im Heuboden eines Bauernhauses, im Wirtshaus, im Schulzimmer oder in der Stube, in der gerade „Andrea“, der Sohn der Südtirolerin Anna und des italienischen Carabiniere Ettore zur Welt kommt. Schmählich verhöhnt wird sie, die Tochter des Lucas Zolgar (Michael Tschurt- schenthaler) und Jasmin Mairho- fer (Anna Tschurtschenthaler). V. l.: Lucas Zolgar, Jasmin Mairhofer, Felix Mitterer, Francesco Cirolini und Karl-Heinz Steck.

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