GZ_Assling_2019_08

Seite 20 08/2019 Die meisten Menschen denken heute wie die Wissenschaft am Ende des 20. Jahrhunderts, dass für die wirklich schweren Krankheiten schicksalhaft die Gene verantwortlich sind. Wer schlechte Gene hat, hat eben Pech gehabt. Im Grunde kön- nen wir doch gegen die Macht der Gene nicht ankämpfen. Oder doch? Kurz der Reihe nach: 1953 entdeckten die Forscher und Nobelpreisträger James Watson und Francis Crick den Aufbau der Gene. Sie sind im Zellkern jeder Körperzelle zu finden und bestehen aus Des- oxyribonukleinsäure, kurz DNA. Die DNA hat die Form einer Doppelhelix, einer in sich gedrehten Strickleiter. Die Sprossen der Strickleiter bestehen aus vier verschiedenen Molekülen, die jeweils paarweise angeordnet sind. Entweder beinhalten sie die Basen Adenin und Thymin oder Cytosin und Guanin. Die Abfolge der Basen entspricht dem genetischen Code eines jeden Lebewesens. Der nächste Schritt war das „Human-Genom-Project“ um den Code der menschlichen DNA zu entschlüsseln. Viele schwere Krankheiten treten familiär gehäuft auf. Der Verdacht lag nahe, dass sie genetischen Ursprungs sind. Die Erwartungen waren daher groß, mit der Entschlüsselung des genetischen Codes ein gesundes langes Leben, frei von Krankheiten, Leid und Schmerz zu erreichen. Im Juni 2000 war es schließlich so weit. Der genetische Code des Menschen war entschlüsselt. Er besteht aus rund 3 Milliarden Basenpaaren. Ein Gen ist ein Abschnitt auf der DNA, also eine lange Kette von Basenpaa- ren. In der Abfolge der Basen ist die Information gespeichert, die für die Bildung eines bestimmten Eiweißmoleküls im Kör- per notwendig ist. Alle unterschiedlichen Eiweißmoleküle zusammen in der richtigen Lage und Position ergeben also die sogenannte „Hardware“ unseren materiellen Körper. Dem Jubel über den geknackten DNA-Code folgte die große Ernüchterung . Ursprünglich dachten die Wissenschaftler, der Mensch müsse zumindest 100.000 verschiedene Gene aufwei- sen. Wie sonst sollte der Mensch seiner im Vergleich zu Pflan- zen und Tieren hoch entwickelten Natur gerecht werden? Doch weit gefehlt. Menschen verfügen über nicht einmal 20.000 Gene. Um 1.200 Gene weniger als die Maus und nur halb so viele Gene wie der Weizen. Mit den nächsten Ver- wandten, den Schimpansen, haben wir 98,7 Prozent idente Gene. Die nächste Überraschung : Zwar konnten die Forscher etli- che Erbkrankheiten finden, die auf einem Fehler im geneti- schen Code beruhen. Allerdings sind diese zum Glück sehr selten. Häufige Leiden wie Bluthochdruck, Allergien, Rheu- ma, Demenz, Parkinson oder Krebskrankheiten konnten die Forscher nicht mit bestimmten Genveränderungen in Verbin- dung bringen. Sie fanden lediglich Genkonstellationen, die bestimmte Erkrankungen begünstigen. Es kam aber noch schlimmer . Die Forschung fand heraus: Nur etwas mehr als ein Prozent unserer DNA dient unmittelbar als Bauplan für unseren Körper, die übrigen 99 Prozent nann- ten sie in ihrer Unwissenheit zunächst als „Schrott-DNA“. Die Genetiker waren enttäuscht. Offenbar spielten Erziehung, Lebensstil und Umwelt doch eine den Genen übergeordnete Rolle. Weit verbreitete chroni- sche Erkrankungen ließen sich jedenfalls nicht mit einer Änderung im Erbgut in Zusammenhang bringen. Bereits in den 1990er-Jahren prägte der britische Genetiker Waddington den Begriff der Epigenetik. Epigenetik bedeutet „zu den Genen hinzugefügt“. Er ging davon aus, dass die Gene im Laufe des Lebens durch Erfahrung und Umwelt geprägt werden. Er sollte rechtbehalten. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts wissen wir: Es ist die ausge- klügelte Genregulation – das An- und Abschalten bestimmter Gene – die Menschen von den zahlreichen Tier- und Pflanzen- arten unterscheidet. Auch wenn sich Menschen das Erbgut vollständig mit den Schimpansen teilen, haben menschliche Vorfahren in den letzten sechs Millionen Jahren das Potential der Gene besser zu nutzen gelernt. Neue Erkenntnisse zeigen, dass sich die Genregulation abhän- gig von Umwelteinflüssen, emotional prägenden Erlebnissen und dem entsprechenden Verhalten über Jahre, Monate und sogar innerhalb von Tagen und Stunden verändert. Wir kön- nen durch Entscheidungen, Erfahrungen und unser zielgerich- tetes Denken mitbestimmen, welche Gene abgelesen und somit aktiviert werden und welche nicht. Hier hat die Kraft der Gedanken wirklich Potential und genau hier ist die Stelle, wo die Gedanken sich sozusagen materialisieren – wissenschaft- lich belegt. Auch erfolgreiche Psychotherapien wirken über diese Schiene. Alle Zellen haben die gleiche genetische Ausstattung. Aber nur die Gene, die abgelesen werden, werden in Eiweißmolekü- le übersetzt. Wenn wir beispielsweise viel Lachen, werden mehr Glückshormone produziert. Haben wir viel Stress, kommt es über die Veränderung von epigenetischen Prozessen im Zellkern zur Ankurbelung der Stresshormonproduktion. Wir wissen bereits wie die Gensteuerung funktioniert. Es gibt drei Formen. Die Methylierung stellt eine eher langfristig wirksame Form der Gensteuerung dar. Eher mittelfristig wirk- sam scheint die Steuerung über die Histone - Verpackungs- proteine der Gene – zu sein. Die RNA-Interferenz wirkt kurzfristig auf die Regulation der Gene. Epigenetische Prägung beginnt für jeden Menschen unmittel- bar nach der Zeugung und besonders währrend der ersten Lebensjahre. In dieser Zeit prägen Familie, Umwelt und kultu- Epigenetik - wie Gedanken unsere Genregulation beeinflussen Die Seite für die Gesundheit mit Doktor Adelbert Bachlechner Fortsetzung nächste Seite oben

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