GZ_Sillian_2019_06

BLICK Ein 10 Aus der Gemeindestube Ich bin fertig mit der Arbeit, sitze im Auto, auf dem Weg nach Hause und warte bis die Ampel grün wird. Mein Blick schweift in das Auto neben mir und ich muss herzhaft lachen: Ein kleines Mädchen hüpft wie wild auf und ab, zeigt auf mich, kann seinen Augen gar nicht trauen. Sie stupst ihren Vater an, der wie ich an der Kreuzung zu stehen gekommen ist. Er lä- chelt mich an, zeigt mit seinem Daumen nach oben. Das Mädchen schickt mir Luftbussln und formt ein Herz mit ihren Händen. Obwohl Frauen in Saudi-Arabien seit Juni letzten Jahres Autofahren dür- fen, ist ihr Anblick hinter dem Steuer noch sehr ungewohnt - und begeistert offensichtlich immer wieder auf's Neue. Es ist schon eine andere Welt, in der ich seit November lebe – Saudi-Arabien. Lange habe ich mit diesem Land haupt- sächlich unterdrückte Frauen und eine aggressive Außenpolitik assoziiert. Heute bin ich froh, das Wagnis dieses neuen Jobs in einem unbekannten Land ein- gegangen zu sein. Wie ich auch durch meine Aufenthalte in Pakistan und Af- ghanistan schon gelernt habe, vermitteln die Medien nur einen kleinen Teil der Realität. Obwohl Saudi-Arabien natürlich nach wie vor von Männern dominiert ist, fühlt man eine Aufbruchsstimmung. Die Sittenpolizei hat mittlerweile keine Macht mehr. Dies hat dazu geführt, dass Frauen ganz allmählich ein bisschen mehr am sozialen Leben teilnehmen. Um dies zu beobachten hole ich mir manchmal bei Starbuck's (ein modernes Café) einen Cappuccino. Hier tummeln sich die sty- lischen jungen Damen Riads und führen ihre neueste Abaja (schwarze Kutte) aus, die in den letzten Monaten nicht mehr immer ganz schwarz ist, sondern ab und zu ein bisschen Farbe annimmt. Dennoch, bei all den Veränderungen staune ich immer wieder über gewis- se Regeln: So gibt es etwa Schilder auf denen steht: "Frauen ohne männliche Begleitung müssen draußen bleiben", oder: "Keine Männer hinter dieser Linie". Vor ein paar Wochen habe ich mit einem Kollegen einen Roadtrip zu dem wunder- schönen Weltkulturerbe Mada'en Saleh gemacht. Sobald wir aus Riad draußen waren, konnten wir nicht gemeinsam in normalen Restaurants essen - Frau- en müssen woanders Platz nehmen als Männer. Nur Familien dürfen gemeinsam essen, in abgeschiedenen und dunklen Winkeln in separaten Gebäuden. So war ich offiziell für drei Tage "verheiratet“! Aber trotz unzähliger Momente, in denen ich mir denke: "Aber nicht wirklich!" hat mich Saudi-Arabien positiv überrascht. Die Saudis sind irrsinnig herzlich, höflich und zuvorkommen. Ich freue mich jedes Mal, wenn mein Kalender einen Termin mit einem Saudi anzeigt, weil es einfach Spaß macht mit ihnen zu arbeiten. Wahr- scheinlich habe ich als blonde junge Frau einen kleinen Bonus! Aber auch die Frauen sind einfach entzü- ckend. Sogar jene, die bis auf die Augen komplett verschleiert sind lächeln mich oft so herzlich an, dass ich ihr Strahlen unter dem Stoff nur erahnen kann. Jeder Tag ist hier ein kleines neues Abenteuer. Und doch freue ich mich jedes Mal wie ein kleines Kind, wenn ich nach Hause nach Sillian kommen darf - zu Familie, Freunden und Bergen. Text und Fotos: Cornelia Krautgasser „Jeder Tag ist hier ein kleines Abenteuer!“ Ein ganz persönlicher Blick auf Saudi-Arabien: Die aus Sillian stammende EU-Entsandte Cornelia Krautgasser berichtet über ihre täglichen großen und kleinen Herausforderungen im Nahen Osten. Zur Person C o r n e l i a K r au t gas - ser, gebo- ren 1988, aufgewach- sen in Kuf- stein und Sillian. Sie ist die Toch- ter von An- drea und Adi (+) Krautgasser. Corne- lia hat an der Universität Innsbruck Wirtschaftsrecht, IWW (Internationale Wirtschaftswissenschaften) und Po- litikwissenschaft studiert. Derzeit ist sie für den Europäischen Auswärtigen Dienst in Riad, Saudi-Arabien, tätig. In der Vergangenheit war sie bei der deutschen Entwicklungszusammen- arbeit in Afghanistan und Pakistan be- schäftigt. Trotz der Freude neue Län- der und Kulturen zu entdecken fühlt sie sich daheim tief verwurzelt.

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