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Recht unterschiedliche Holzmarche
führt das Veidlergut, Hof Nr. 18, das aus
einem um 1420 von Peter Mooshammer
an die Kirche zu Tristach verkauften Gute
herkam. (Mooshammer stammte aus dem
Geschlecht der Salzburger Hochstiftsmi-
nisterialen zu Moosham im Lungau
18
.
Mooshamers Gut wurde kurze Zeit dar-
auf geteilt in das obige „Veidlergut“ und
das „Ortnergut“. Die Marche dieser Höfe
sind ganz verschieden. Die heute noch be-
kannte Form des veidlerischen Marches
scheint den Buchstaben „F“ darzustellen.
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Im Jahre 1829 war dieses Zeichen um
225 Grad im Uhrzeigersinn gedreht.
Ob diese Drehung wirklich nur der sonst
üblichen Unterscheidung zwischen den
Generationen diente? Diese Frage ist um-
somehr berechtigt, als um 1858 der auf
dem gleichen Veidlergut nachgefolgte
Pächter Josef Mair
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ebenfalls ein frem-
dartiges Holzmarch für dieses Veidlergut
verwendete. Man nannte dieses March
„Hahnentritt“:
(Darauf wird weiter unten noch zurückge-
kommen.) Ein ähnlich-ungewähnliches
March führte um 1858 auch der aus Ober-
lienz stammende Johann Heigl für seinen
Hof Nr. 33:
21
Die nachfolgenden Besitzer des Heigl-
gutes verwendeten um 1982 wieder das al-
te Holzmarch vom Jahre 1829!
Zur gleichen Grundform gehören auch
die Holzmarche der
Güter Nr. 23 und Nr.
36, Puecher und Schneider.
Soweit die
Höfegeschichte dieser beiden letzten Güter
zurückreicht, ist kein besitzgeschichtlicher
Zusammenhang zwischen ihnen bekannt:
das Puechergut Nr. 23 war um 1314
Eigengut der „Flaschberger“ gewesen, de-
ren Stammburg südlich von Oberdrauburg,
nahe der Verbindungsstraße über den Gail-
bergsattel – Plöckenpaß ins Friaul, stand;
das Schneidergut – einst „die Pranstatt“
genannt – wurde anscheinend erst um
1510 von Pfarrer Forchamer neu erbaut
und bestand vorher aus mehreren Grund-
stücken, die um 1469 auf vier Besitzer auf-
geteilt waren. Der Name „Pran“, wahr-
scheinlich zu slowenisch bran = „Wehr,
Abwehr, Verteidigung“, und der nahe dar-
an angrenzende „Thoracker“ könnten
vielleicht auf einen Wachturm und eine
Einfriedung des Ortsteiles „Oberdorf“ hin-
weisen. Das Holzmarch dieses Gutes hat
jedoch keinerlei Bezug auf eine solche
Vorgeschichte.
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Das Vorkommen und die Bedeutung
dieser gegabelten Zeichen
Diese Zeichen sind – soweit die erhalten
gebliebenen Holzmarchlisten Einblick
gewähren – in den meisten Osttiroler Ge-
meinden bekannt gewesen, z. B.: in Ma-
trei, Amlach, Lavant, Leisach, Bannberg,
Patriasdorf, Thurn, Nußdorf, Iselsberg,
Stribach, Dölsach, Gödnach, Nörsach,
auch in Nordtirol, in Nauders, Grän, Gra-
mais, Ellbögen, Navis usw. wurden solche
Marche verwendet. Als Hausmarche sind
diese Zeichen noch in vielen Gebieten Eu-
ropas nachzuweisen. Ihre Verbreitung
reicht von der Lausitz (Böhmen) bis herü-
ber in die Schweiz, von Süddeutschland
bis hinunter in das Gebiet von Ampezzo-
Friaul
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, sie wären vermutlich noch in vie-
len weiteren Regionen zu finden.
Auch diese Zeichen dienten als Größen-
angaben: ausgehend vom March des zwei-
geteilten Einheitsmaßes und , abge-
wandelt zu den Formen und , führt
eine neuerliche Teilung in vier Vierteltei-
le zu den nachstehenden Formen der Ga-
belzeichen: wie dies bei den
Gütern Nr. 23 und Nr. 36 ersichtlich ist.
Zur Gruppe dieser Gabelzeichen gehören
auch die Marche der Höfe Nr. 18, Veidler
und Nr. 33, Heigl.
In gleicher Weise, wie die Form für
die Zahl 3 galt, darf man annehmen, daß
obige Gabelzeichen in ältester Zeit die
Zahl 4 vertraten und das March der „Vier-
tel“-Huben darstellten.
Karl Menninger zeigt in seinen Aus-
führungen zur „Kulturgeschichte der Zah-
len“ einen Schatzmeister aus der Zeit des
Perserkönigs Darius, der auf seinem Re-
chentischchen buchstabenähnliche Zahl-
zeichen notiert hat denen
er je eine bestimmte Anzahl von Rechen-
steinchen zuordnet.
24
(Das 2. und und 8. Zeichen dieser Zah-
lenreihe gleichen sehr unseren Marchen
für die 1/3 und 1/3 Huben.)
Die Herkunft dieser Zeichen geht
zurück auf die Entstehung der Buchstaben-
schrift, die auf der älteren Bilder- und Hie-
roglyphenschrift aufbaute und in nordse-
mitischen Inschriften schon um das 13. und
12. Jahrhundert vor Chr. nachzuweisen ist.
Diese neuen Schriftzeichen standen
nicht mehr für bestimmte Wörter, sondern
für die Laute, mit denen der jeweils abge-
bildete bzw. zeichenhaft angedeutete Ge-
genstand begann.
So ist beispielsweise in einem Alphabet
kanaanitischen Ursprungs (aus der voris-
raelitischen Zeit) das Zeichen angeführt,
das, ebenso wie in der griechischen und in
der römischen Schrift, den Lautwert „k“
hatte.
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In anderen uns überlieferten
Alphabeten, einem altgriechischen, vene-
tischen, etruskischen, rätischen (um nur ei-
nige Beispiele aus den Schriften uns be-
nachbarter Völker zu nennen) standen die
Zeichen und für den Lautwert „kh“, der
sich später in den verschiedenen europäi-
schen Sprachen zu k, q und c wandelte.
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In den gleichen alten Alphabeten, hatte
das (vomWutzgut her bekannte) alte Zahl-
zeichen „drei“ , den Lautwert „t“.
Das Zahlwort „drei“ geht zurück auf die
indogermanische Sprachwurzel „trjes“,
„trei-“, wurde im Griechischen zu „trei“,
„tri-“, im Lateinischen zu „tres“, im Fran-
zösischen zu „trois“, im Keltischen zu
„tri“, im Slawischen zu „tri”; dazu im Alt-
hochdeutschen zu „dri“, im Englischen zu
„three", im Nordgermanischen zu „tre“.
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In gleicher Weise bildet die Herkunft
des Zahlwortes „vier“ auf der indogerma-
nischen Sprachwurzel
28
eine Brücke zum
Verständnis der obigen Zeichen mit den
Lautwerten, k, kh, q und c: es wandelte
sich von der indogermanischen Grund-
sprache „kwetwores“, die verwandt ist mit
dem Altindischen „cadur-“, im Litauischen
zu „keturi“, in Keltischen zu „cethir“, im
Russischen zu „cetyre“, im Lateinischen
zu „quattuor“, im Französischen zu „qua-
tre“ im Spanischen zu „cuatro“. Das alt-
hochdeutsche Wort für „vier“ lautete „fi-
or“, das Gotische „fidwor“, das Englische
„four“, das Schwedische „fyra“.
Die Zahlwörter der indogermanischen
Völker reichten bis zu einem Vielfachen
von Hundert.
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Fortsetzung folgt!
O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
Nummer 2 — 62. Jahrgang
IMPRESSUM DER OHBL.:
Redaktion: Univ.-Doz. Dr. Meinrad Pizzinini.
Für den Inhalt der Beiträge sind die Autoren ver-
antwortlich.
Anschrift der Autoren dieser Nummer: Dr. Hil-
degard Herrmann-Schneider, Institut für Tiroler
Musikforschung, Innsbruck, Rumer Straße 51 d,
A-6064 Post Ru. – Emma Totschnig, A-6020,
Reichenauer Straße 39.
Manuskripte für die „Osttiroler Heimatblätter“
sind einzusenden an die Redaktion des „Ost-
tiroler Bote“ oder an Dr. Meinrad Pizzinini, A-6176
Völs, Albertistraße 2a.
Anmerkungen:
11) Es wäre auch nicht auszuschließen, daß die vier
Halbstriche des pacherschen Marches auf ein nahe ge-
legenes, sumpfiges Gelände hinwies, das sich – vor der
Regulierung des Seebachls – hier gebildet haben konn-
te.
12) Richard Andree, Die Eigentumszeichen der Naturvöl-
ker, in: Globus, illustrierte Zeitschrift für Länder- und
Völkerkunde, Band 40 (1882) S 310.
13) Musterungsregister (Oberlienz, Oberdrum, Patriasdorf,
Thurn) um 1380, in: Schlernschriften, Band 44 (1939)
S 142. „Godanik“, = altslaw. kotar = Einfriedung, Be-
zirk; Erklärung durch Frau Univ. Prof. Dr. M. Hor-
nung, Wien.
14) Das gleiche Symbol einer Einfriedung führen noch un-
ter anderen: Dölsch, Weingartner, Haus 27 und 29; Pa-
triasdorf, Kramer, Haus Nr. 20 1/2; Leisach, Wurzer,
Haus Nr. 18; Bannberg, Mörhauser Nr. 4; Iselsberg,
Waser (Bedeutung des Namens: Wasenmeister,
Schinder od. Scharfrichter) Haus Nr. 15 und 16.
15) Die Kreitwiesen wurden dem Frauenkloster der Cla-
rissinnen zu Brixen geschenkt, (siehe Höfegeschichte).
16) Karl Menninger, Kulturgeschichte der Zahlen, aus der
Entwicklung unserer Zahlsprache, unserer Zahl-
schrift und des Rechenbrettes (1934) S 332; weiters zu
den versteckten Zahlwörtern S 128 - 139.
17) Stephan Mayrhofens Genealogien, T 42 Museum Fer-
dinandeum Innsbruck und Mensalarchiv, Neustifter
Siegelsammlung, St. Brix. 945 aus: Oberforchers Wap-
pensammlung, Museum Ferdinandeum, Innsbruck
18) Die Salzburger Lehen in Kärnten bis 1520, von Alois
Lang und G. A. v. Netnitz, in: Fontes Rerum Austria-
cerum, Österreichische Geschichtsquellen, 2. Abtlg.,
79. Band (1971) Nr. 213 S 200-204.
19) Die Familie Oberhueber kam vom Untergörl in Nuß-
dorf her. Das heutige Zeichen F wird als Buchstaben-
monogramm gerwertet worden sein, wie solches mit
dem Aufkommen der Schreibfertigkeit öfters ge-
braucht wurde. Es soll wohl den Hofmann
Feidl/Veidl vertreten.
20) Lt. Pfarrchronik hatte Josef Mair die Witwe des Johann
Oberhueber geheiratet, der das Veidlergut bis zur Voll-
jährigkeit des noch minderjährigen Erben Johann
Oberhueber weiterführte.
21) Dem alten Heiglbauer, der um 1849 starb, war diese äl-
tere Form des Holzmarches vielleicht noch bekannt ge-
wesen, denn Pfarrer Niederkofler berichtet über ihn, er
sei „die lebendige Chronik“ und „das sicherste Stamm-
register“ für das Dorf gewesen (S 50).
22) Erklärung des Namens „Pran“ durch Fr. Univ. Prof.
Dr. Maria Hornung, Wien.
23) Siehe Anm. 7 (bekannte Holz- und Hausmarche)
24) Karl Menninger, Kulturgeschichte der Zahlen (1934) S
225 (Dariusvase aus Apulien, vom 4. Jahrhundert vor
Chr. S 226 eine etruskische Gemme mit Zahlzeichen.
25) Deutsche Bibelgesellschaft, Die Bibel in heutigem
Deutsch, Stuttgart 1983 S 281 (kanaanitische Buch-
staben)
26) Hans Jensen, Die Schrift in Vergangenheit und Ge-
genwart (1958) S 480, 485-494
und Carl Faulmann, Das Buch der Schrift (1880) S
168, 169, 170
27) Duden, Das Herkunftswörterbuch, Die Etymologie der
deutschen Sprache (Stichwort vier, drei usw.)
und Karl Menninger, Kulturgeschichte der Zahlen
(1934) Sprachverwandtschaften, „Unsere Zahlwörter“
S 56
28) Der Große Brockhaus: Aus der sogenannten indoger-
manischen Grundsprache sind hervorgegangen: In-
disch, Iranisch, Armenisch, Albanisch, Griechisch,
Thrakisch, Illyrisch, Italienisch, Keltisch, Germanisch,
Baltisch, Slawisch, Tocharisch, Hethitisch und einige
ausgestorbene, nicht näher bestimmbare Sprachen.
29) wie Anm. 28 „Indogermanen“ (s. auch „Indische
Schriften“)