Seite 4 - H_1994_11

Basic HTML-Version

O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
Nummer 11 — 62. Jahrgang
„Während der Niederwasserzeit (nicht
nur zur Zeit des niedrigsten Wassers) ist
ein Vollbetrieb der drei projektierten Tur-
binen ca. 3 1/2 Monate hindurch überhaupt
unmöglich, weil zu wenig Wasser vorhan-
den ist.
Bei Vollbetrieb von nur zwei Turbinen
verkürzt sich diese Zeit unzureichenden
Betriebswassers auf ungefähr 1 1/4 Mo-
nate. Bei Vollbetrieb von nur einer Turbi-
ne (430 PS) ist auch beim niedrigsten
Wasserstand stets Überwasser vorhanden.“
Der Projektwerber sagt im Rekurs-
schreiben, „daß vorläufig nur ein Maschi-
nensatz mit 430 PS gebaut werden soll,
wobei 42 m Gefälle und 900 S.L. Wasser
ausgenützt werden“, so daß selbst bei nied-
rigstem Wasserstande von 1.400 Sekun-
denliter (s.o.) immer noch 500 Sekunden-
liter Wasser abflössen.
Die Statthalterei weiter:
„Wie die Vergleichung der Pegelstände
bzw. Monatsmittel von benachbarten
Flußgebieten zeigt, war das Niederwasser
1911 nicht das geringste, sondern wurde
dasselbe von dem im Jahre 1909 noch
überschritten.
Um die Wassermenge des Villgraterba-
ches bei kleinstem Niederwasser zu erfah-
ren, müßen sonach die obstehenden An-
gaben noch eine Verminderung erfahren.
Da weitere Wassermessungen nicht vor-
handen sind, müßen zu diesem Zwecke
Flußgebiete mit ähnlichem Charakter und
gleichem Niederschlagsgebiete in Ver-
gleich gezogen werden, und ergibt sich so
für den Defereggerbach und Antholzer-
bach auf Grund der Daten des österreichi-
schen Wasserkatasters das absolute Mini-
mum der Wassermenge von 0,77 m
3
des
voraussichtlich jährlich wiederkehrenden
Minimums.
Die Wassermenge des Villgraterbaches,
welche im Jänner 1911 erhoben wurde,
kann als durchschnittliches Niederwasser
angesehen werden und ergibt sich unter
Anwendung des oben gefundenen Ver-
hältnisses die absolut geringste Wasser-
menge des Villgraterbaches, soweit eine
Ermittlung derselben möglich ist, mit rund
0,64 m
3
Sek. in Außervillgraten vor Ein-
mündung des Winkeltalbaches, mit rund
1,00 m
3
Sek. nach Einmündung des Win-
keltalbaches und mit rund 1,20 m
3
Sek. an
der Mündung.“
Die behördliche Festlegung und Be-
gründung der Entschädigungssumme für
die Fischerei fußte also nicht auf dem
durchschnittlichen Jahresniederwasser,
sondern auf dem errechneten Minimum.
Der Statthalterei erschien es im übrigen
richtiger, für den Betrieb (nur) eines Ma-
schinensatzes mit 430 PS Nutzleistung bei
42 m Gefälle, was einem Wirkungsgrad
dieser einen, größten Turbine von 81 %
entsprochen haben soll, den Mittelwert
von 950 Sekundenliter statt der obigen 900
Sekundenliter zu wählen.
„Dann ist also das Überwasser zur Zeit
des jährlich wiederkehrenden niedersten
Wasserstandes 1,4 m
3
/Sek. – 0.950
m
3
/Sek. = 0.45 m
3
/Sek., also ca. 1/3 des zu
dieser Zeit an der Wasserfassungsstelle
überhaupt vorhandenen Wassers.
Von einer Trockenlegung kann somit
keine Rede sein.
Solange also jeweilig nur eine der pro-
jektierten Turbinen in Betrieb steht, ist
auch bei Vollbelastung reichliches Über-
wasser vorhanden.
Wird während der Nacht die Belastung
vermindert, dann steigt dementsprechend
das Überwasser.
Wird mit zwei Turbinen eine Gesamt-
leistung von 600 PS erreicht, so wird das
jährlich wiederkehrende Mindestwasser
ganz in Anspruch genommen und es ver-
bleibt kein Überwasser mehr, so lange
nicht mehr als 1,4 m
3
/Sek. dem Wehr zu-
fließen.“
Die Bezirkshauptmannschaft Lienz
hatte am 24. Juli 1911 dem Bergwerksun-
ternehmen Panzendorf „die wasserrechtli-
che Bewilligung zur Herstellung eines
Wasserkraftwerkes am Villgratenbache
und zur Ausnützung einer Maximalwas-
sermenge von 3 m
3
per Sek. erteilt“ und
die jährlich zu leistende Fischereientschä-
digung des Konsenswerbers an den Fi-
schereibesitzer, Josef Leiter in Sillian, mit
420 Kronen festgelegt.
Die Statthalterei Innsbruck modifizierte
nun die Entschädigungsleistung folgen-
dermaßen:
„Für die Zeit, während welcher faktisch
nur eine Turbine in Betrieb steht und auch
bei Niederwasser eine Trockenlegung des
Gerinnes nicht stattfindet, jährlich 200 K.
Für die Zeit, während welcher mehr als
eine Turbine betrieben wird, in welchem
Falle während der Niederwasserzeit kein
Überwasser mehr verbleibt, jährlich
420 K.“
Die Statthalterei fand die Entschädi-
gungsleistung im ersteren Falle gerecht-
fertigt, „weil auch in diesem Falle das Auf-
steigen der Fische durch das nur spärlich
mit Wasser vorgesorgte Bachbett jeden-
falls in weit geringerem Maße als bisher
stattfinden wird, und weil weiters auch die
Turbinen Anlage eine Gefährdung der von
unten bachaufwärts ziehenden Fische be-
wirkt“.
Im letzteren Falle verblieb also kein
Restwasser. Weder verlangte der Fische-
reibesitzer ein solches, noch die Behörde
pochte etwa aufgrund des damals gelten-
den Wasserrechtsgesetzes darauf. Die
Kommunikation der Wasserfauna hinter
und oberhalb dieser energiewirtschaftlich
genutzten Talstufe mit jener unterhalb der-
selben wäre somit zeitweilig ganz unter-
bunden bzw. zeitweilig beeinträchtigt ge-
wesen.
Im ganzen achtseitigen Akt der Statt-
halterei ist auch keine Rede davon, wo
sich die Wasserfassungsstelle auf der
Bachstrecke Außervillgraten – Panzendorf
dem Projekt zufolge befand. Auf Grund
des ermittelten Wasserstandes an dieser
Stelle (s.o.) sowie der Angabe von 42 Ge-
fällsmetern ist jedoch unschwer zu erken-
nen, daß die Fassung wohl an genau der-
selben Stelle des im Jahre 1926 in Betrieb
gesetzten Kraftwerkes Sillian geplant ge-
wesen sein mußte, nämlich auf Höhe der
sogenannten „Aue“, wo die alte Straßen-
brücke den Bach querte (ca. 1.170 m See-
höhe) und die unterste, längste Talstufe in
ein Flachstück übergeht. Der Standort des
Maschinenhauses wäre zuhinterst des so-
genannten „Müllerboden“ anzusetzen, d. s.
rund 200 Meter hinter dem 1990 in Betrieb
gegangenen Kraftwerkes Heinfels.
Aus welchem Grunde dieses Bergwerks-
Kraftwerk damals nicht gebaut wurde, ist
unbekannt. Hatte sich der Baubeginn etwa
noch ein, zwei Jahre verzögert, brach dann
bekanntlich der Erste Weltkrieg aus, der
überhaupt das gesamte zivile Bauwesen
lahmlegte.
Abschließend setze ich die groben, der
Presse entnommenen Daten der beiden
verwirklichten E-Werke am Villgraterbach
zu einem möglichen Vergleich her: Das
seit 1990 laufende Kraftwerk Heinfels be-
treibt bei einer Wasser-Fallhöhe von 175
m zwei Turbinen, die eine mit 5,7, die
zweite mit 2,3, zusammen mit acht Mega-
watt; bis zu 6 m
3
Wasser/Sek. können aus-
geleitet werden (ebensoviel beträgt die
maximale Wassermenge an der Fas-
sungsstelle in Außervillgraten nach Ein-
mündung des Winkeltalbaches). Die Jah-
resleistung beträgt 35 Gigawatt, d. s. 35
Millionen KwSt.
Das Kraftwerk Sillian (1926 - 1990) lei-
stete 250 Kilowatt, d. s. 3 % des Kraft-
werkes Heinfels.
Nicht uninteressant ist anzumerken, daß
um 1920 sowohl an der Drau bei Abfal-
tersbach als auch in Innervillgraten am
Ainetbach E-Werksprojekte in Planung
waren.
IMPRESSUM DER OHBL:
Redaktion: Univ.-Doz. Dr. Meinrad Pizzinini.
Für den Inhalt der Beiträge sind die Autoren
verantwortlich.
Anschrift der Autoren dieser Nummer: Adolf
Aichner, A-9920 Strassen Nr. 88. – VS-Direk-
tor Johann E. Trojer +, A-9931 Außervillgraten
Nr. 170.
Manuskripte für die „Osttiroler Heimat-
blätter“ sind einzusenden an die Redaktion
des „Osttiroler Bote“ oder an Dr. Meinrad
Pizzinini, A-6176 Völs, Albertistraße 2a.
Das 1926 am Villgratenbach in Betrieb
genommene Kraftwerk Sillian in einer Auf-
nahme von 1963.(Foto zur Verfügung ge-
stellt von Herrn Josef Rauter, Sillian).