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Das Elend, die Verantwortung der
Frauen und der ungebrochene Kampfgeist
waren auch der Inhalt von Ducias Rede
auf der großen Friedenskundgebung der
österreichischen
Arbei-
ter/innenbewegung 1917 in Innsbruck:
„/…/ sie
[Freuen A.M.]
müssen erken-
nen, daß sie in der Zukunft eine ganz ver-
änderte Stellung im Wirtschaftsleben ein-
nehmen werden und daß ihnen ihr Le-
bensinteresse gebietet, politische Rechte
zu erringen, um sich gegen die mannig-
fache Ausbeutung, der die Frauen am
schwersten ausgesetzt sind, zu wehren und
den Kampf um ein besseres Dasein wirk-
sam führen zu können /.../.“
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Abschied von Lienz 1919
Was sich schon die Jahre zuvor ankün-
digte, wurde 1919 schlußendlich vollzo-
gen: der Umzug der Familie Ducia von
Lienz nach Innsbruck. Anton Ducia wurde
als Lokomotivführer nach Innsbruck ver-
setzt. Für seine Ehefrau brachte dieser
Wohnungswechsel eine Erleichterung
ihrer politischen Arbeit und ließ sie auch
emotional aufatmen. Die Familie zog in
eine Eisenbahnerwohnung in der Knoller-
straße in Pradl.
Erinnerungen ihres Sohnes Toni Ducia
zufolge fühlte sich seine Mutter im klein-
bürgerlich-konservativen Lienz, wo sie
vielen Gerüchten und Beschimpfungen als
Geschäftsführerin und politisch tätige
Frau ausgesetzt war, nicht wohl.
Seitdem Ducia Lienz verlassen hatte,
schien sie keinen Kontakt mehr zu jenem
Ort zu haben, wo sich unter ihrer
Führung für einige Jahre eine aktive sozi-
aldemokratische Frauenbewegung ent-
wickelte und wo sie nahezu zwanzig Jah-
re ihres Lebens verbrachte.
Lediglich 1931 war sie bei der Eröff-
nung des Osttiroler Bezirkskrankenhauses,
für dessen Bau sie sich im Tiroler Landtag
einsetzte, anwesend.
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„Ich entziehe Ihnen das Wort“ –
Im Tiroler Landtag von 1919 – 1934
Nach der Ausrufung der Ersten Repu-
blik 1918 wurde den Frauen endlich das
Wahlrecht und die Mitgliedschaft in ge-
setzgebenden Körperschaften zuerkannt.
Im Tiroler Landtag waren zeitweise fünf
Frauen aus den verschiedenen politischen
Lagern vertreten.
Fünfzehn Jahre
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lang setzte sich Ducia
als Abgeordnete für die Interessen der Ar-
beiter/innen, Kleinbauern und -bäuerinnen
und der Angestellten ein. In eindringlichen
Reden wandte sie sich gegen die kapitali-
stische Gesellschaftsordnung, die Vor-
machtstellung der katholischen Kirche, vor
allem in der Schule, gegen die faschisti-
sche Heimatwehr, den aufkommenden
Nationalsozialismus und die Schützen so-
wie gegen die ungerechte Verteilung der
Steuergelder durch die christlich-soziale
Landesregierung. Ducia forderte die Ver-
wendung des Budgets für den Ausbau des
sozialen Fürsorgewesens (Invaliden-, Ar-
beitslosen-, Jugend- und Witwenfürsorge).
Sie verstand sich als Vertreterin der
Frauen im Tiroler Landtag. Oft themati-
sierte sie den Nachrang der Frauen trotz
der so hart erkämpften Gleichberechti-
gung. Sie beantragte auch vergeblich die
Aufhebung des Lehrerinnenzölibats
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und des § 144 des Strafgesetzes (Ahndung
der Schwangerschaftsunterbrechung).
Maria Ducia war in Landtagssitzungen
und in der Presse trotz ihrer Schlagfertig-
keit häufig das Opfer von Beschimpfun-
gen, Diskriminierungen und Polemiken
durch die bürgerliche Männergarde in den
Landtagsbänken. Sie wurde nicht nur als
Sozialdemokratin, sondern auch als Frau
und Privatperson angegriffen. Im Ver-
gleich zu ihren männlichen Parteikollegen
hatte sie auch geringere Chancen, ihre An-
träge durchzubringen. Nicht selten wurde
ihr vom Vorsitzenden des Landtags ge-
droht: „Ich entziehe Ihnen das Wort“.
Keine Frauenrechtlerin –
Das Frauenbild von Maria Ducia
Die Sozialdemokratinnen ordneten die
Geschlechterfrage der Klassenfrage unter.
Gemeinsam mit den ebenfalls vom kapi-
talistischen Bürgertum ausgebeuteten
Männern kämpften sie um die Befrei-
ung der Arbeiter/innenklasse. Unter-
drückungsmechanismen der Männer
gegenüber den Frauen, Doppelbelastung
von Haushalt und Beruf sahen sie als sich
leicht lösende Probleme im Anschluß an
die „Befreiung des Proletariats“ an.
Während die bürgerlich-radikalen Frauen-
rechtlerinnen des späten 19. und frühen 20.
Jahrhunderts und Vorläuferinnen der mo-
dernen autonomen Frauenbewegung eine
Organisierung innerhalb einer Männer-
partei ablehnten, für freie und autonome
Lebensformen von Frauen kämpften und
für eigene Frauenparteien, stellten sich die
Sozialdemokratinnen in den Dienst der so-
zialistischen Idee und der männlich domi-
nierten Sozialdemokratischen Partei.
Maria Ducia distanzierte sich von „frauen-
rechtlerischen“ Gedanken und formulierte
das gemeinsame Anliegen von Mann und
Frau:
„Miteinander, Männer und Frauen,
wollen wir uns die bessere Zukunft erar-
beiten.“
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Die gesellschaftlich wichtigste Aufgabe
der Frau sah Ducia darin,
„daß jede Mut-
ter die Aufgabe auf sich nimmt und Kinder
ungezählt in die Welt setzt!“
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– voraus-
gesetzt die sozialen Bedingungen erlauben
es. Diese – wenn auch überspitzte – For-
mulierung Ducias verweist auf das tradi-
tionelle Frauenbild der damaligen Sozial-
demokratinnen, obwohl sie sich von
den bürgerlich-konservativen Vorstellun-
gen schärfstens abgrenzten.
Maria Ducia war die herausragendste
Frau der Tiroler Sozialdemokratischen
Partei in der Zwischenkriegszeit. Sie
machte „Parteikarriere“ aufgrund ihrer
ausgeprägten Persönlichkeit, Bildung,
Redegewandtheit,
organisatorischen
Fähigkeiten und Erfahrung. Dieser Auf-
stieg in der Partei bedeutete aber auch
Loyalität und Parteidisziplin der FRAU
Maria Ducia.
Mit dem Verbot der Sozialdemokrati-
schen Partei 1934 beendete Ducia ihre po-
litische Laufbahn und verbrachte ihren Le-
bensabend in der gemeinsamen Wohnung
mit ihrer Tochter Malie und deren Familie
in Innsbruck.
Am 15. Mai 1959 starb sie 84jährig.
O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
Nummer 2 –– 65. Jahrgang
IMPRESSUM DER OHBL.:
Redaktion: Univ.-Doz. Dr. Meinrad Pizzinini.
Für den Inhalt der Beiträge sind die Autoren
verantwortlich.
Anschrift der Autorin dieser Nummer: Mag.
Andrea Mayr, A-6020 Innsbruck, Exerzierweg
7 – A-9900 Lienz, Laserzweg 6.
Manuskripte für die „Osttiroler Heimatblät-
ter“ sind einzusenden an die Redaktion des
„Osttiroler Bote“ oder an Dr. Meinrad Pizzinini,
Albertistraße 2a, A-6176 Völs.
Anmerkungen
1 Vorliegender Text folgt großteils folgenden Ar-
beiten: Andrea Mayr, Maria Ducia. Mitbegründerin
der Sozialdemokratischen Frauenbewegung Tirols
und Landtagsabgeordnete. Eine politische Biogra-
phie. unveröffentlichte Hausarbeit aus Geschichte
an der Universität Innsbruck, 1987.
Andrea Mayr, Maria Ducia. Eine sozialdemokrati-
sche Politikerin, in: Veröffentlichungen der Uni-
versität Innsbruck 170, Beiträge zur Tiroler Frau-
enforschung. Innsbruck 1989, S 161 – 183.
Andrea Mayr, „Geh deine Bahn und laß die Leute
schwätzen“ Leben und Politik der Tiroler Land-
tagsabgeordneten Maria Ducia (1875 – 1959), in:
Die Roten am Land. Arbeitsleben und Arbeiterbe-
wegung im westlichen Österreich, hrsg. von Kurt
Greussing, Museum für industrielle Arbeitswelt,
Steyr 1989, S 126-133.
Das Zitat im Titel ist der Anfang eines Gedichts
von Herrmann Greulich, in Anlehnung an das
Motto im Vorwort zur ersten Auflage des „Kapital“
Band 1, von Karl Marx, in: Österreichischer Ar-
beitsnotizkalender 1912, Wien (Nachlaß Maria
Ducia).
2 Moralitäts-Zeugnis vom 24. 6. 1909, ausgestellt
von der Stadtgemeinde Lienz. Aufgrund der nicht
allzu strengen Handhabung des Meldegesetzes ist
es nicht möglich, das genaue Ankunftsdatum Du-
cias in Lienz nachzuweisen.
Für Auskunft und Bemühungen dazu bedanke ich
mich bei Dr. Lois Ebner.
3 Vgl. Anzeige der Möbelfirma Walter, in: Meinrad
Pizzinini, Lienz. Das große Stadtbuch, hrsg. von
der Stadt Lienz, 1982, S 353.
4 Vgl. dazu Arbeits-und Sittenzeugnisse von 1892
bis 1895 aus St. Gallen. An dieser Stelle möchte ich
mich bei Maria Ducias Enkel, Dipl.-Ing. Falco Du-
cia, für die zur Verfügungstellung dieser Doku-
mente bedanken. Für die Zeit in München liegen
keine schriftlichen Zeugnisse vor, vgl. Gespräch
mit Sohn Toni Ducia Jänner 1987.
5 Vgl. Pizzinini, a.a.O., S 374.
6 Vgl. ebenda, S. 372.
7 Das Geschäft übersiedelte in die Rosengasse 137
(19. September 1904). Vgl. Gewerberegister für
den Gerichtsbezirk Lienz, nach Gewerbeordnung
von 1859.
8 Stenographische Berichte des Tiroler Landtages,
19. Sitzung vom 29. 1. 1926, S 426.
9 Vgl. Sten. Berichte des TL, a.a.O., S 427, als Er-
widerung auf die Verleumdung des Abgeordneten
Obwexer.
10 Vgl. Volkszeitung. Organ für das arbeitende Volk
in Tirol, 7. 8. 1907.
11 Vgl. Volkszeitung vom 13. 5. 1910.
12 Vgl. Volkszeitung vom 29. 8. 1910.
13 Vgl.Volkszeitung vom 26. 10. 1911 und 6. 4. 1911.
14 Vgl. Gerhard Oberkofler, Die Tiroler Arbeiterbe-
wegung. Von den Anfängen bis zum Ende des 2.
Weltkrieges (2. Auflage), Wien 1986, S 140.
15 Vgl. Volkszeitung vom 1. 10. 1910.
16 Vgl. Volkszeitung vom 17. 10. 1910.
17 Vgl. Pizzinini, a.a.O., S 410 f.
18 Sten. Ber. des TL vom 14. 12. 1926, S 230.
19 Ebenda.
20 Vgl. Sten. Ber. des TL vom 11. 1. 1924.
21 Vgl. Volkszeitung vom 22. 3. 1911.
22 Weitere Mitglieder waren: Antonie Hohenegger,
Hedwig Schneider, Marie Rapoldi, Prader und
Tomassini aus Innsbruck.
23 Vgl. Oberkofler, a.a.O., S 139.
24 Volkszeitung vom 3. 5. 1917.
25 Vgl. Volkszeitung vom 10. 9. 1931. Diesen Besuch
konnte die Autorin als einzige spätere Verbindung
Ducias nach Lienz eruieren.
26 Vgl. dazu meine ausführliche Darstellung zu Du-
cias politischer Arbeit im Tiroler Landtag, in:
Mayr, Maria Ducia. Mitbegründerin der sozialde-
mokratischen Frauenbewegung ..., a.a.O., S 24 –
S 69.
27 Bei einer Heirat mußten damals Lehrerinnen ihren
Beruf aufgeben (dieses Gesetz hielt sich bis 1938).
28 Die Frau und die Partei. Rede der Abgeordneten
Ducia auf dem Parteitag 1932, in: Volkszeitung
vom 19. 11. 1932.
29 Sten. Berichte des TL, 8. Sitzung vom 17. 12. 1929,
S 128.