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Das Wissen um verschiedene Heilmittel
und Heilverfahren in früherer Zeit war in
unserer Bevölkerung stärker verbreitet, als
wir es gemeinhin anzunehmen pflegen.
Dieser geistig-materielle Besitz unserer
Volksgemeinschaft geriet jedoch in dem
Maße in Vergessenheit wie die Natur-
wissenschaften und mithin auch die
Schulmedizin im vorigen Jahrhundert ei-
nen ungeahnten Aufschwung nahmen, und
letztere schließlich auch auf dem Lande
ihren unaufhaltsamen Siegeslauf antrat.
Den Beginn dieser Entwicklung hierzu-
lande können wir vor zwei, drei Genera-
tionen ansetzen.
Insbesondere unserer Generation blieb
es vorbehalten, sich des historischen,
volksmedizinischen Wissens- und Erfah-
rungsschatzes anzunehmen, ihn mit mo-
dernen wissenschaftlichen Methoden auf
seine Brauch- bzw. Anwendbarkeit hin zu
überprüfen und die für gut erachteten Er-
kenntnisse zum Wohl der Allgemeinheit
zu reaktivieren.
In diesem Zusammenhang greift man
umso dankbarer auf schriftliche Original-
quellen zurück, je seltener diese auf uns
gekommen sind. Im vorliegenden Falle
steht uns mit dem „CUR BÜCHL FÜR
JOHANN RAINER ZU LENGBERG“ ein
sehr rares Dokument (aus Privatbesitz) zur
Einsichtnahme zur Verfügung.
Besagtes Stück besteht in einer Papier-
Handschrift von vier Blättern im Format
von 16,0 x 10,2 cm; fadengeheftet. Es ent-
hält eine Sammlung von insgesamt acht
Rezepten bzw. Rezepturen, wovon sieben
der veterinär-, und eines der humanmedi-
zinischen Praxis zugeordnet sind. Es han-
delt sich durchwegs um empirisch-ratio-
nale Erkenntnisse der Volksmedizin im
ländlich-bäuerlichen Umfeld Osttirols.
Der Schreiber hat sie offensichtlich zu
seinem persönlichen Gebrauch gesammelt.
Sie sind derart abgefaßt, daß auch ein in
der Sache wenig Bewanderter sich ihrer
bedienen konnte. Ihre Nutzanwendung
war ja erprobt, wie der sich mehrmals wie-
derholende Vermerk „probatum est“
glaubhaft macht.
Zu bemerken ist, daß man den Haus-
tieren, die für viele Bauern unserer Gegend
die Existenzgrundlage schlechthin dar-
stellten, größtmögliche Obsorge ange-
deihen ließ. Vor diesem Hintergrund sind
auch die im Anschluß wiedergegebenen
Rezepte & Rezepturen zu betrachten. Mit
ihrer Hilfe konnten zweifellos temporäre,
aber auch dauerhafte Heilerfolge erzielt
werden.
Neben der Anwendung natürlicher Mit-
tel, auch solcher aus einer natürlich-magi-
schen Sicht der Dinge entwickelter, ver-
sicherte man sich wohlweislich auch des
Schutzes himmlischer Mächte. Die hier-
zulande so bekannten wie beliebten
Wallfahrtsstätten, z. B. Lavant, Chry-
santhen, Obermauern, Hollbruck und
Luggau, bergen immer noch eine Vielzahl
bildlicher Zeugnisse von dieser, bis auf die
Gegenwart praktizierten Unterschutz-
stellung: unmißverständliche Zeichen
verwurzelter Volksfrömmigkeit! (Vgl.
auch Abb.).
Deckseite:
Cur Büchl, probatum est
für Johann Rainer
zu Lengberg 1833
Seite 2:
Für den giftigen Biß und
Geschwulst:
Gerstenmehl zu 1/2 Maßl
1
,
2 Löfl vol Schießpulver,
3 (Loth)
2
gafer
3
,
2 Löfl vol Salz,
für 2 Loth Brandtwein,
ein Pröckl Henn Ei groß Schmalz
disß alles zusammen gethan, das
Schmalz zerlassen, dann mit Ruebsupe
4
einen lauteren Teig angemacht und das
schadhafte Ort überstrichen, wenn es
trocken ist, wiederholen.
O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
65. Jahrgang –– Nummer 5
Lois Ebner
Alte Rezepte & Rezepturen für
Mensch und Tier
Die eingehende Beschäftigung mit dem
schriftlichen Nachlaß früherer Generatio-
nen fördert mitunter sehr seltene Doku-
mente zutage. Um ein solches handelt es
sich auch bei dem nachstehend in vollem
Wortlaut wiedergegebenen „Bittbrief“
1
zur
Mittelaufbringung für den Erweiterungs-
bau des Amlacher Gotteshauses.
Wie dem, von den obrigkeitlichen Herren,
Pfarrer Georgius Agg(en)
2
und Landrichter
Christoph Mor
3
beglaubigten Schriftstück
zu entnehmen ist, geriet der im Jahre 1684
in Angriff genommene Kirchenbau
4
bereits
im Folgejahr aus finanziellen Gründen ins
Stocken. Hilfe in dieser Situation ver-
sprachen sich die Betreiber durch eine
großangelegte Sammelaktion, die mit dem
„Erbarn Mathes Stokher“ der Mann ihres
Vertrauens durchzuführen hatte.
Über die näheren Umstände, über den
Bedarf und die Notwendigkeit eines
größeren Gotteshauses angesichts der im
Aufschwung begriffenen Wallfahrt zur hl.
Ottilie gibt das Dokument im wesentlichen
Aufschluß. Da der Bittbrief-Text für alle
Bevölkerungsschichten gleich motivierend
wie verständlich abgefaßt wurde, bereitet
er heute kaum Leseschwierigkeiten:
„WIR
ENTS
UNTERSCHRIBNE
GEIST: und WELTLICHE OBRIGKHAI-
TEN DES LANDTGERICHTS LIENZ IN
DER FIRSTLICHEN GRAFSCHAFFT
TYROL, URKUNDEN UND THUEN
KHUNDT: Nachdeme vor verschinen
Jahrn fir notwendig gehalten worden, das
die lobwirdige Sanct Lucia, Ottilia und
Apolonia Kirchen zu Amblach, erdeiter
Landtgerichtlichen Jurisdiction steend,
wegen verspierender grosser andacht der
alhie khomenden menge frembd: und in-
haimbischen Kirchfartleith zu merer
pflanzung Christlichen andacht erweitert
und mit vererer renovation geziert werden
solte, massen man dann zu solchem Ge-
pey
5
wolerdeits Gotshaus eisseriste Ver-
migensmitl dargestrekht, Zumahlen aber
so bedeite Lobliche Firderung von dar-
umben nit vollendt werden khinen, in deme
merwolberierts Gotshaus beraits mit
khainen vermigen
6
mer vorgesechen, und
die Nachparschafft Amblach unbemitlt,
solchen Pau auf Iren Unkosten vortzu-
sezen, also unerschwinglichen fielle, ohne
guetwilligen beytrag frembder andechtiger
Gemieter dises Pauwerk zuergenzen. Da-
hero und damit die Ehr Gottes und seiner
Hailligen befirdert werde, man gedrungen,
wie gemelt, Zugleich frembde Gotliebende
Seelen umb ain wilkirliche beyhilff anzu-
suechen. ALLERmassen dann an alle und
iede Personen, was stands und wirden die
sein, mit Zuelegung iedes gebirenden
Ehrntitls anstat mer wolgedeits wirdigen
Gotshaus Unser gebirendts und Vleissi-
ges ansuechen und piten ist, Aufweisern
7
dits dem Erbarn Mathes Stokher, so
disfahls aigens abgesandt wirdet, ain
Christlich beliebiges allmuesen
8
in gelt
oder geltwerth ervolgen zulassen, wel-
cherwögen Er uns die aufschriebene Rai-
tung
9
zuerstatten hat. GLEICHWIE nun
solches die Hailligen Patronen merwolge-
melts Gotshaus mit reichlicher firbit bey
Gott dem Allmechtigen zu geniessung
langwieriger gueten prosperiteten
10
erbit-
lich vergelten: Also auch wir geflissen sein
werden, dises in all begebenheiten mig-
lichst zuebeschulden. ZU URKHUNDT
DESSEN haben wir gegenwärtigen Bit-
brief mit unsern aignen Pötschaften
11
und
Handtundterschriften verstörkhet. So be-
schöchen zu Lienz den finften tag Monats
Octobris nach der gnadenreichen gepurt
Unseres Erlesers und Seeligmachers Jesu
Christi in dem sechzehenhundert finffund
Achtzigisten JAR.“
Georgius Aggen, Pfarrer zu Tristach
und Lawandt
Christoph Mor, Landrichter
Anmerkungen:
1 Handschrift auf Pergament; Mittelteil farbige Frei-
handzeichnung, darstellend die hll. Lucia, Ottilia und
Apollonia in etwa 4,8 x 8,4 cm Größe. Maße: 18,8 x
32,3 cm. Anhangende Siegel in Holzschatullen. (Pfarr-
archiv Tristach).
2 Georgius Agg(en), geb. in Klagenfurt, von 1676 bis
1718, mit Unterbrechung 1683, Pfarrer von Tristach
und Lavant. Als solchem unterstand ihm auch die
Filialkirche in Amlach. (MASB).
3 Christoph Mor von Sunnegg und Mohrberg, 1613 bis
1688, geb. in Lienz; Landrichter der Herrschaft Lienz
1668 bis 1688. (MASB).
4 Vgl. hiezu: Pizzinini, Meinrad: in: Dehio Tirol, Wien
1980, S. 150/151.
Ders.: Osttirol. Der Bezirk Lienz. Salzburg 1974.
S. 101 – 103.
5 Bau, Gebäude.
6 Vermögen.
7 Dem Vorweisenden od. dem, der sich mit dem Bittbrief
legitimiert.
8 Almosen, Spende.
9 Rechnung; Rechnungslegung.
10 Aufschwung, Blüte.
11 Siegel.