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Strohsack und Decke, ein Klo-
sett, ein kleines Waschbecken
und ein Heizkörper. Die Zelle
war blitzsauber.
Nur auf dem Klosett
konnte ich sitzen
Das Stockbett war mit Holz-
brettern durchzogen, aber in der
Mitte war ein Querholz einge-
baut, welches das Liegen fast
unmöglich machte. Man erfror
nicht, aber man fror. So stand
ich eine Weile lang da, ausge-
hungert, fast nackt. Es war der
18. Dezember. Ich setzte mich
auf das Klosett. Das war der
einzige Ort, wo ich normal sit-
zen konnte. Wir Kriegsdienst-
verweigerer waren von der
großen Masse der Gefangenen
durch das Wirtschaftsgebäude,
die Küche und die Waschräume
getrennt.
,Sie Faulpelz,
Sie dreckiger!‘
Eine schrille Stimme rief:
‚Komm heraus!‘ Mit einem an-
deren Insassen musste ich
Besen, Eimer mit Wasser und
Lappen holen. Rasch nahm ich
Besen und Kehrschaufel in die
Hand, weil ich dachte, die Ar-
beit mit diesen sei leichter als
das Aufwischen. Sofort schrie
mich der Wachmann an: ‚Sie
Faulpelz, Sie dreckiger! Sie
werden schon noch lernen, was
man zuerst anfasst.‘ Schon
haute er mir auch eine herunter.
Dann riss er mir den Besen aus
der Hand und befahl mir, in die
Hocke zu gehen, die Hände vor
mir ausgestreckt. Er legte mir
den Besen in die Hände. So
musste ich den ganzen Gang
zweimal auf und ab hüpfen. Ich
war zum Schluss total fertig
„Es war Dezember 1944. Der
Zug nach Dachau, in dem ich
saß, kam nur langsam vorwärts.
Wir kamen zu einer Abzwei-
gung, links ging es in die Stadt
Dachau, rechts ins Konzentra-
tionslager. Wir bogen rechts ab,
fuhren an einigen Baracken
vorbei, dann hielt der Zug. Wir
stiegen aus und sahen eine
Häftlingsgruppe von acht bis
zehn Mann im zackigen
Gleichschritt zum Tor heraus.
Ein trauriger erster
Anblick
Sie waren alle sehr mager und
blass, ganz kurz geschoren, die
gestreiften Anzüge hingen an
ihnen herab, als ob sie leer
wären. Links und rechts mar-
schierten SS-Männer. Der Ein-
gang ins Lager führte unter
einem Haus durch, dem soge-
nannten Jourhaus. Auf dem Haus
war eine Uhr angebracht, es war
gerade halb zwölf. Auf dem Tor
stand groß geschrieben: ,Arbeit
macht frei.‘ Ich musste mir die
Kleider ausziehen. Dann wurde
ich überall ganz kahl geschoren.
,Musste über mich
lachen‘
In einem anderen Raum
wurde ich dann von allen Sei-
ten fotografiert. Es wurde alles
genau aufgeschrieben, auch die
Glaubenszugehörigkeit. Als ich
‚katholisch‘ sagte, machte der
SS-Mann gleich eine spitze Be-
merkung: ‚Jetzt werden wir
dich einmal anders beten leh-
ren.‘ Man gab mir ein ganz ab-
genutztes Hemd und eine Un-
terhose. Als ich mich in einem
großen Spiegel sah, musste ich
doch noch lachen. Ich kam in
eine Zelle mit Stockbett ohne
Obwohl es gegen das
Völkerrecht verstieß,
wurden auch die Süd-
tiroler, die sich 1939 für
die italienische Staats-
bürgerschaft entschie-
den, zum deutschen
Militär eingezogen. So
auch Franz Thaler aus
dem Sarntal. Doch er
sagte Nein zum Haken-
kreuz. Als 19-Jähriger
wurde Thaler 1944 ver-
haftet und in die Kon-
zentrationslager Dachau
und Hersbruck depor-
tiert. In seinem Buch
„Unvergessen“, das
jetzt neu aufgelegt
wurde, beschrieb Thaler
diese unmenschliche
Zeit. Einige seiner Er-
zählungen veröffentlicht
nun der „PVT“ in stark
gekürzter Form.
GESCHICHTLICHES
4
PUSTERTALER VOLLTREFFER
MÄRZ/APRIL 2015
Wenn die Menschenwürd
Das Elternhaus von Franz Thaler in Reinswald im Sarntal.
Foto: „Edition Raetia“
Franz Thaler (Jahrgang 1925) wurde am 6. März 90 Jahre alt. Im Bild ist er im Gespräch mit Ver-
leger Dr. Gottfried Solderer (Edition Raetia GmbH, Bozen).
Foto: Katja Solderer
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