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Vielen Lienzern ist das ehema-
lige Barackenlager am soge-
nannten Grafenanger in der Nähe
der Franz-Josef-Kaserne noch
ein Begriff. Es entstand in der
NS-Ära.
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Viele Volks- und Be-
rufsschüler und Gymnasiasten
sind auf ihrem Weg in die Ka-
serne, die durch Jahre als Schul-
haus diente, vorbei gegangen.
Junge Leute kennen das relativ
große Barackenlager, von dem
sich nur noch kleine Reste erhal-
ten haben, bloß von verschiede-
nen Fotografien. Zum Verständ-
nis dieser „Lienzer Spezialität“
ist die Einbeziehung des histori-
schen Hintergrunds wesentlich.
Wehrmachtslager
Im Sommer 1938 wurde von
der Deutschen Wehrmacht das
Barackenlager am Grafenanger
zunächst für die Unterbringung
der eigenen Soldaten errichtet.
Wie sich Herr Josef Tscharnig
(geb. 1926) bei einem Gespräch
am 21. Juni 2014 erinnert, wur-
den die vorher landwirtschaft-
lich genutzten Gründe von den
betroffenen Landwirten um ca.
50 Pfennig/m² abgelöst bzw. es
wurde ihnen ein Ersatzgrund zur
Verfügung gestellt. Die Beträge
wurden an die Lienzer Banken
angewiesen, jedoch gesperrt.
Nach Freigabe der Konten war
das Geld wertlos, so dass die
Bauern keine Ablöse für ihre
Gründe bekamen. Nach länge-
ren Prozessen mit dem Wehr-
macht-Fiskus wurden den Betroffenen
schließlich 50 Groschen/m² ausbezahlt.
Diese Gründe waren 1938 noch schöne
Felder und blumenreiche Wiesen gewesen.
Die Wehrmacht hatte die Baracken
gleich für das „Tausendjährige Reich“ her-
richten lassen. Auf festen, steinernen Fun-
damenten ruhten die doppelwandigen
Baracken. Damals fehlte es noch nicht an
Material. Es wurden Doppelfenster einge-
setzt, es gab elektrisches Licht, Wasserlei-
tungen und Kanalisation.
Am nebenstehenden Foto sieht
man im Bereich des heutigen
Gymnasium-Areals die nord-süd-
verlaufenden Wohnbaracken, öst-
lich der heutigen Maximilian-
straße die ost-west ausgerichteten
Lagergebäude und Stallungen.
Gefangenenlager
Nach dem Abmarsch der
Fronttruppen im August 1939
verwaisten die Baracken kurz-
zeitig und wurden bereits im
Oktober desselben Jahres als
Gefangenenlager benutzt. Dazu
wurden Wachtürme mit MG-
Ständen an den Ecken und Sta-
cheldrahteinfassungen errichtet.
Es gab verschiedene Arten von
Lagern mit den Bezeichnungen
„Stalag“ (Kriegsgefangenen-
Mannschaftsstammlager, im
Prinzip der Wehrmacht unter-
stellt), „Stalag Luft“ (Luftwaf-
fen-Kriegsgefangenen-Mann-
schaftsstammlager, der Luft-
waffe unterstellt) und „Marlag“
(Kriegsmarine-Kriegsgefange-
nen-Mannschaftsstammlager,
unterstellt dem Allgemeinen
Marinehauptamt), ferner „Oflag“
(Kriegsgefangenen-Offiziers-
lager), „Dulag“ (Kriegsgefange-
nen-Durchgangslager), „Heilag“
(Kriegsgefangenen-Heimkehrer-
lager) und „Ilag“ (Internierungs-
lager). – Das Lager in Lienz
wurde als Offizierslager einge-
richtet und trug ab 16. Oktober
1939 die Bezeichnung Oflag
XVIII A.
Der Militärhistoriker Hubert Speckner
gibt in seinem 2003 erschienenen Buch
„In der Gewalt des Feindes. Kriegsgefan-
genenlager in der ‚Ostmark‘ 1939 bis
1945“ folgenden Bericht über die Zu-
stände im Lager Lienz:
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NUMMER 7-8/2014
82. JAHRGANG
OSTTIROLER
HEIMATBLÄTTER
H e i m a t k u n d l i c h e B e i l a g e d e s „ O s t t i r o l e r B o t e “
Siegfried Papsch
Das Barackenlager
am Grafenanger in Lienz
Vom Gaimberg aus Blick auf Lienz und den Spitzkofel; im Vor-
dergrund das Barackenlager nördlich der Franz-Josef-Kaserne,
um 1940.
(Privataufnahme, zur Verfügung gestellt
von Manfred Girstmair)