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CHRONIK
PUSTERTALER VOLLTREFFER
NOVEMBER/DEZEMBER 2012
31
„Der Erfolg der Band ist auf
einem Riesenschwindel aufge-
baut“, wird Widemair zitiert.
„Nur die Stimme von Sänger
Norbert Rier ist echt, sonst
nichts“. Studio-Musiker hätten
anstelle der „Spatzen“ die Töne
für die Tonträger eingespielt.
„Ich habe den Betrug bisher
immer bei mir behalten, aber
ich kann nicht länger mit dieser
Lüge leben“, sagt der langjäh-
rige musikalische Begleiter der
„Spatzen“.
Zu den Live-Auftritten der
volkstümlichen Musikgruppe
meint er: „Da hört man genau,
dass die Spatzen nur durch-
schnittlich spielen.“ Widemair
schrieb über das Ganze ein
Buch, das Ende November er-
scheint. Titel: „Wenn Berge nicht
mehr schweigen“, in Anspielung
auf das Lied der Kastelruther:
„Wenn Berge träumen.“
Andere Konditionen
Im Interview mit dem „OB“
unterstreicht er seine „Bild“-
Aussagen: „Ich will erreichen,
dass die breite Masse die Wahr-
heit erfährt. Die ganze Ge-
schichte soll nicht nur im
Lienzer Talboden bleiben.“
Er verhehlt nicht, dass auch
die eigene Situation mitspielt.
Sein Arbeitgeber Koch Universal
Music habe ihm nach jahr-
zehntelanger Tätigkeit nun an-
dere Konditionen angeboten:
„Ich fühle mich vom Schwerar-
beiter zum Hilfsarbeiter ge-
macht. Das habe ich nicht ver-
dient. Ich werte das als Undank.“
Die Kastelruther Spatzen nah-
men auf der Homepage zu den
Äußerungen Stellung. „Wie bei
allen professionellen Produk-
tionen wurden auch Studiomu-
siker eingesetzt. Das ist welt-
weit und über alle musikalischen
Genres üblich … Die mitwir-
kenden Musiker wurden immer
im CD-Booklet veröffentlicht
und sind dort nachzulesen.“
Widemair widerspricht: Erst
seit 1997 mit dem Album
„Herzschlag für Herzschlag“
habe man die Studiomusiker
angeführt, aber oft nur bezeich-
net als „Gastmusiker“.
Auf der Bühne „live“
Was die Live-Auftritte der
Südtiroler betrifft, so betonen
diese: „Die Kastelruther Spat-
zen haben bei über 3.000 Kon-
zerten einem Millionenpubli-
kum bewiesen, dass jeder Ton
live gespielt wird und dass sie
überdurchschnittliche Musiker
sind, die ihren Beruf mit größ-
tem Engagement ausüben.“
Branchenkenner wundern
sich über das nun ausgelöste
Medienecho, denn das alles ist
nicht neu: Schon 1992 schrieb
der frühere Krone-Musikredak-
teur Lothar Schwertführer da-
rüber. Widemair sei damals
sein Hauptinformant gewesen,
liest man auf seiner Homepage
„musikpresse“. Es gehe jetzt wohl
nur um Gratiswerbung für das
Buch, mutmaßt er. Denn: „Die
Spatzen machen nichts anderes
als viele andere Künstler auch.“
Erstaunlich, dass die TV-Sen-
der die Kastelruther-Geschichte
groß spielen, sind sie doch Teil
der Branche. Denn in vielen
TV-Shows treten Musiker zwar
auf, doch aus dem Fernseher
kommen oft nur Töne vom
Band. Und wenn in Sendungen
Musik in der schönsten Natur
erklingt oder der Trompeter am
Ufer des Bergsees steht, kommt
die Musik dazu vorproduziert
aus dem Studio. Schwertführer:
„Jede TV-Sendung verwendet
Playback, und das ist eigentlich
auch alles Schwindel, wenn
man es genau nimmt.“
Standort gesichert
Welche Folgen gibt es für die
Produktion im Tonstudio Koch
Universal Music in Nußdorf-
Debant? Ralf Schedler, zustän-
diger Manager: „Diese Ge-
schichte ist keine Sensation.
Studiomusiker erbringen ihre
Fähigkeiten im Tonstudio, die
Spatzen sind gute Musiker, die
es auf der Bühne live spielen.“
Er bestätigt gegenüber dem
„OB“, dass man Widemair zu an-
deren Konditionen anstellen habe
wollen. „Er hätte aber auch jetzt
noch immer gut verdient.“ Es
werde nun keine weitere Zusam-
menarbeit mit ihm geben. Der
Studiobetrieb gehe jedoch weiter.
„Der Standort in Nußdorf-De-
bant ist nicht gefährdet“, so
Schedler. „Wir werden auch
künftig dort arbeiten, dazu haben
wir uns bekannt und haben eben-
falls längerfristige Mietverträge.“
Herbert Hauser/Robert Hatzer
Aufregung um Vorgangsweisen
in der Musikbranche
Für Aufsehen sorgen Äußerungen von Walter Widemair in der „Bild“-Zeitung.
Der Komponist und Arrangeur bei Koch Universal Music in Nußdorf-Debant geht
mit den Kastelruther Spatzen hart ins Gericht. Kein Instrument auf den CD‘s der
Erfolgsgruppe werde von der Gruppe selbst eingespielt. Branchenkenner erwi-
dern: Das sei eine geläufige Methode bei vielen Studioproduktionen.
Kurz gefragt
WALTER WIDEMAIR
ANTWORTET:
Warum dieser Schritt?
Es ist das Weinfass übergegan-
gen. Im Laufe der Zeit gab es nicht
nur Erfolge, sondern auch kleine
und große Schmerzen und Enttäu-
schungen. Diese Umstände konnte
ich nicht mehr weiter ertragen. Der
Gedanke hat schon lange mitge-
spielt. Ich fühle mich wie ein
Boxer in die Ecke gedrängt.
Dass Studiomusiker mitwirken,
ist doch eigentlich nichts Neues?
In der Öffentlichkeit hört man
ein bisschen was dazu, man ist
aber nicht wirklich informiert.
Die Wahrheit wurde bis zum heu-
tigen Tag ja nie gesagt.
In TV-Shows musizieren
wenige live. Ist das nicht auch ein
„Schwindel?“
Heute erkennt man schon, bei-
spielsweise bei der „Großen
Chance“ – nach amerikanischen
und deutschen Vorbildern – dass
live attraktiver ist. Man wird sich al-
lerdings in Zukunft mehr behaup-
ten, wenn man live auftritt.
Arbeiten andere Gruppen nicht
ähnlich wie die Kastelruther Spat-
zen?
Es ist zumeist so, dass der Sän-
ger, der Star, in den Vordergrund
rückt. Aber das alles gesamt als ein
einziger Artikel verkauft wird.
Die Stimme ist das Markante einer
Gruppe.
RALF SCHEDLER
ANTWORTET:
Warum handelt Widemair Ihrer
Meinung nach so?
Da gibt es viele Gründe,
Unstimmigkeiten, die über die
Jahre gewachsen sind. Mag es nun
Frust sein oder mangelnde Dank-
barkeit, die er für sich empfindet.
Andererseits war er aber stets der
Bestverdiener und konnte seine Ar-
rangements toll platzieren.
Wird es weiterhin eine Zusam-
menarbeit mit Widemair geben?
Nein, wird es nicht mehr geben.
Wer so einen Weg beschreitet, um
wohl eine eigene PR zu haben – das
ist unglaublich. Es ist darüber hinaus
ein egoistischer Weg, weil er auch
andere mit ins Fahrwasser hinein-
zieht.
Warum regt das Thema Studio-
musik so auf?
Eigentlich ist es kein Skandal.
Für eine Lobby, die die Volksmu-
sik generell im „Heile-Welt“-Ge-
danken sieht, passt es halt nicht,
und für sie ist es ein Skandal, wenn
nicht selber gespielt wird. Bei den
Kastelruther Spatzen hat so etwas
natürlich eine Riesenauswirkung.
Diese geben aber seit 30 Jahren
alles live auf der Bühne und wollen
immer live spielen. Sie machen
auch Fehler, sie musizieren jedoch
auf einem hohen Niveau.
Walter Widemair.
Das Massenblatt „Bild“ brachte am 6. November die Sache ins
Rollen.
Fotos: Herbert Hauser