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Er bekannte aber auch dabei zunächst
nichts, gab grobe Worte von sich, löschte
mehrmals das Licht und spuckte die Leute
zweimal an. Schließlich aber bekannte er,
die Frau habe Belial geheißen und sie habe
Blut von ihm begehrt und genommen. Der
Richter redete ihm zu, die Wahrheit zu
sagen. Er wurde mit Weihwasser besprengt
und es wurde ihm auch Weihwasser einge-
geben. Schließlich bekam er zu essen, Wein
und Wasser zu trinken. Im Laufe dieser Tor-
tur, die von 8 Uhr abends bis 6 Uhr Früh
dauerte, wurden seine Aussagen immer de-
taillierter und belastender. Dabei belastete er
auch andere, die er bei Hexenzusammen-
künften gesehen haben wollte. Einen so ge-
nannten „Lebenführer“ (der aus Bruneck
stammte und Bartlmä Oberkofler hieß – die
Bedeutung der Bezeichnung bleibt unklar –
) wollte er auf dem Weg von Defereggen
nach Antholz bei 16 Hexen gesehen haben.
– Diesem wurde dann wegen dieser Be-
schuldigungen der Prozess ebenfalls mit
peinlicher Befragung gemacht: Er wurde
zwar nicht der Zauberei für schuldig befun-
den, aber immerhin des Landes verwiesen. –
Was seine eigene Person betraf, beschul-
digte sich der „Lauterfresser“ nun selbst, er
habe, aussehend wie ein Bär, Vieh angefal-
len und verzehrt. Zu guter Letzt bezichtigte
er sich sogar der Hostienschändung.
Während er diese Aussagen noch kurz
danach bestätigte, scheint er sie jedoch spä-
ter widerrufen zu haben. Acht Tage danach
bestätigte er sie namentlich nochmals, nach-
dem ihm angedroht worden war, auf glü-
hende Eisenplatten gestellt zu werden.
Die weiteren Personen, die er während der
Folterungen beschuldigt hatte, wurden vor-
geladen und verhört, wobei sich die Unsin-
nigkeit der Beschuldigungen erwies.
Nach nochmaligem Leugnen der Ge-
ständnisse und neuerlicher Drohung mit den
glühenden Eisenplatten, versuchte er sich
mit einem Büschel Stroh zu ersticken,
O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
69. Jahrgang –– Nummer 8
wurde aber daran gehindert. Als die glü-
henden Platten tatsächlich herbeigeschafft
wurden, bestätigte er alle gemachten Anga-
ben und bekräftigte sie durch Eid.
Schließlich wurde er verurteilt und zwar
zu einem „Griff“ mit einer glühenden Zange
auf den rechten Arm, danach zum Abschla-
gen der Hand und zum Binden an eine Lei-
ter, mittels welcher er in den Scheiterhaufen
gestellt werden sollte. Die Hinrichtung, über
welche kein Bericht vorliegt, dürfte tatsäch-
lich in dieser Weise vollzogen worden sein.
Im „Heimatbuch Rodeneck“ von A.
Rastner und E. Delmonego, dem dieser Pro-
zessbericht gekürzt entnommen ist, wird
dieses Kapitel mit folgenden Worten abge-
schlossen:
3
„Mathias Perger wurde als übel beleum-
deter Vagabund zum ‚Südenbock’ jener
Zeit, war allerdings durch verübte Bosheiten
am Zustandekommen der Anklage nicht
ganz unschuldig und gestand schließlich
unter der Folter Dinge, die ihn zum Hexen-
meister stempelten.“
Es scheint aber angebracht, hierzu einige
Überlegungen zu treffen.
Gewiss ist auf alle Fälle die Tatsache, dass
dieser Mensch seine Mitbürger hinsichtlich
seiner Intelligenz überragte und dadurch aus
der anonymen Masse gehoben war.
Ablehnung dürfte er keine oder zumindest
nicht überall erfahren haben, wenn ausge-
sagt wurde, dass er den Leuten vorgelesen
habe und seinen Worten großes Gewicht
beigemessen worden sei. Ob die Bücher, aus
denen er vorlas, tatsächlich nur „Planeten-
bücher“ waren, sei dahingestellt, da die Aus-
sagenden im eigenen Interesse nichts ande-
res zugeben konnten.
Bei den Verhören dürften Suggestivfragen
eine wesentliche Rolle gespielt haben, auch
wenn sie im Protokoll naturgemäß nicht auf-
scheinen. Durch die Folterungen scheint das
Bewusstsein des Delinquenten getrübt ge-
wesen zu sein, da es dabei zu Aussagen kam,
die einerseits ein wenig aus dem Zu-
sammenhang gerissen scheinen und ande-
rerseits sonst vielleicht gar nicht zustande
gekommen wären. So wird in solcher Situa-
tion zweimal Defereggen ins Gespräch ge-
bracht, von dem bekannt ist, dass bereits vor
dem 17. Jahrhundert dort Sorgen hinsichtlich
der Glaubensreinheit bestanden haben.
4
Auch das Antholzertal war diesbezüglich
nicht unverdächtig, da es im 16. Jahrhundert
als Durchzugsgebiet der Wiedertäufer be-
kannt war, die dort auch Anhänger und För-
derer gehabt haben sollen.
5
Die Wiedertäu-
ferbewegung könnte überhaupt, wenn sie
auch schon überwunden war, den Grund zu
besonderer Wachsamkeit dargestellt haben.
Die damit verbundenen Unruhen und die in
weiterer Folge, zu deren Unterdrückung ver-
übten Grausamkeiten, lagen ja nur wenig
mehr als ein halbes Jahrhundert zurück. Zu
ihrer Ausbreitung hatten aber, ähnlich wie
die Lesungen des Mathias Perger, deren
Glaubensboten in Scheunen und Hinterhö-
fen, beigetragen.
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Auch wenn die Wieder-
täufer nicht mehr als Gefahr gelten konnten,
war doch die Auseinandersetzung, um die es
im Dreißigjährigen Krieg ging, präsent und
eine der Keimzellen davon schien jenseits
des Staller Sattels, in Osttirol, zu liegen.
Die Aussage Pergers hinsichtlich der
Beichte zu Anfang der Verhöre klingt durch-
aus nach reformatorischem Gedankengut.
Natürlich kann es hier nur Vermutungen
geben, da die Protokolle zweifellos nicht
sämtliche Fragen und Aussagen enthalten
und der Prozess, vielleicht um ihn der brei-
ten Bevölkerung annehmbarer und um kei-
nen „Glaubensmärtyrer“ zu schaffen, ge-
waltsam in die Richtung von Hexerei und
Zauberkunst gelenkt wurde, für die es zu An-
fang keinen Anhaltspunkt gegeben hatte.
Sicherlich war in den Wirren des späten
Dreißigjährigen Krieges die Sorge groß, dass
ein als gefährlich gewertetes Gedankengut
eine unerwünschte Ausbreitung finden
könnte und jeder verdächtig war, der solchen
Kontakt mit Osttirol und hier besonders mit
dem Defereggental, in dem man um solches
Gedankengut Bescheid wusste, genommen
hatte. Rund vierzig Jahre später erfolgten dort
ja die Ausweisungen der „Irrgläubigen“.
7
Vielleicht war Mathias Perger ein frühes
Opfer dieser Auseinandersetzungen, die da
wie dort ja nicht von theologischem Wissen
geleitet, sondern auf simple Weise erfolgten.
8
Vielleicht war das „pese Geschrey“ des-
sentwegen Mathias Perger „aufgehoben“
worden war, kein gewöhnliches Vagabun-
dieren. Es ist auch kaum vorstellbar, dass
ein einfacher Landstreicher vor einer Fest-
nahme gewarnt worden wäre.
Wir aber dürfen wieder einmal kopf-
schüttelnd darüber staunen, was Menschen
einander, im Bestreben „Rechtes zu tun“,
zufügen können.
Anmerkungen:
1 Johann Adolf Heyl, Volkssagen, Bräuche und Meinun-
gen aus Tirol, Brixen 1897 – Faksimiledruck, hg. vom
Dachverband für Heimatschutz und Heimatpflege in
Tirol, Bozen, S. 177.
2 Alois Rastner – Ernst Delmonego (Hgg.), Rodeneck
1986, S. 71-79.
3 Alois Rastner – Ernst Delmonego a.a.O., S. 79.
4 Alois Dissertori, Auswanderung der Deferegger Protestan-
ten (= Schlern-Schriften 235), Innsbruck 1964, S. 15 - 17.
5 Margit Baumgartner, Die Hauptmannschaft, die Amt-
mannschaft, das Stadtgebiet Bruneck 1500-1641, Diss.
Innsbruck 1972, S. 28.
6 Gerhard Mumelter, Die Hutterer, Innsbruck 1986, S. 55 - 58.
7 Siehe Anm. 4, S. 36 ff.
8 Siehe Anm. 4, z. B. S. 27.
Schloss Rodeneck („Rodnegg“), Holzschnitt in der „Topographia Provinciarum Aus-
triacarum“ von Matthias Merian, erschienen in Frankfurt am Main, 1649. – Die Ansicht
stammt ungefähr aus der Zeit, in der dem Zauberer „Lauterfresser“ dort der Prozess ge-
macht worden ist.