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Alten Testaments. Symmetrisch angeord-
nete Doppelsäulen und -pilaster mit ko-
rinthischen Kapitellen tragen ein schweres
Gebälk mit Zahnschnittornament. Von
diesen Gebälkteilen steigt der Rundbogen
auf. Die Bogenarchitektur zeigt seitlich die
sogenannte Arma Christi, die Leidens-
werkzeuge, und wird nach oben hin durch
Vasen mit prachtvollen Blumen und in der
Mitte mit einer Schriftkartusche abge-
schlossen, die zwei trauernde Engel flan-
kieren. Die Inschrift gibt das alttestamen-
tarische Wort des Propheten Isaias Kap.
57, Vers 1 wieder: „IVSTVS, PERIT, ET
NON EST, QVI RECOGITET IN
CORDE SVO.“ – „Der gerechte kombt
vmb, vnd niemand ist, der es in seinen her-
zen bedenckhe“. An so dominierender
Stelle verleiht das Prophetenwort dem
ganzen dargestellten Geschehen einen tie-
feren Sinn mit der Absicht, den Betrachter
aufzurütteln.
Die hinter dem vorderen Bogen liegen-
den Gebäudeteile erwecken den Eindruck
eines prachtvollen zweigeschossigen
Palastes mit Arkadengängen, auf Säulen
ruhenden Altanen, verbunden durch eine
umlaufende Galerie, und nach oben hin
abschließender Balustrade. Die Trakte
umgrenzen einen Hof, in dem sich die zwi-
schen Gründonnerstag und Ostermontag
wechselnden Szenen abspielen, wenn die
Kulisse auch nur zum Karfreitagsgesche-
hen – als Hof im Palast des Pilatus – wirk-
lich passt und offenbar darauf abgestimmt
ist. Darüber – eingebunden in den zweiten
Bogen – erscheint in den Wolken eine
Gruppe von Engeln und Putti mit Gottvater
als zentraler Person. Die Erdkugel deutet
die globale Bedeutung des Geschehens an.
Die Darstellung zum Gründonnerstag
zeigt Christus inmitten der zwölf Apostel,
von denen der sich abwendende Judas
Ischariot eindeutig als „Außenseiter“ ge-
kennzeichnet ist. Von Jesus, der seinen
Blick zum Himmel erhebt, scheint ein
Licht auszugehen, das nach außen hin ab-
Nummer 2-3 – 70. Jahrgang
O s t t i r o l e r H e i m a t b l ä t t e r
Der vom Kreuz abgenommene Leichnam Christi im Grab, bewacht von römischen Sol-
daten. Die bunten Kugeln verleihen dem Mittelpunkt des Heiligen Grabes einen geradezu
mystischen Glanz.
Foto: M. Pizzinini
König David mit der Harfe, Ausschnitt aus der Vorderwand des Heiligen Grabes (links)
und Signatur des Künstlers mit Datierung auf der Rückseite des gemalten Rundbaues im
Hof von Pilatus’ Palast.
Fotos: M. Pizzinini
nimmt. Seitlich sind noch zwei Diener an-
geordnet, von denen der eine einen Teller
mit Broten herbeibringt, während der an-
dere an einemWeinkrug hantiert. Brot und
Wein deuten hier natürlich das Altar-
sakrament an, das am Gründonnerstag
durch Christus eingesetzt worden ist. –
Abgelöst wird diese Szene durch Christus
am Ölberg mit den schlafenden Jüngern
im Hintergrund.
Der bedeutungsmäßige Höhepunkt
eines Heiligen Grabes liegt beim Karfrei-
tagsgeschehen. In St. Andrä ist die Szene
äußerst figurenreich und dramatisch ge-
staltet. Die Palastarchitektur erhält noch
eine Bereicherung durch einen gemalten
kleinen Rundbau, der im unteren Teil als
Gefängnis des Barabbas dient, im oberen
Teil eine konkav gewölbte Rückwand mit
Rundbogen und seitlichen Säulenstellun-
gen aufweist. Diese Kulisse hält auf ihrer
Rückseite Signatur
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und Datierung des
Künstlers fest: „ANTON ZOLLer.INVen.
Dell . ett . PinX:1752:“. Die Inschrift, in feh-
lerhaftem Latein, bedeutet:
„Anton Zoller
hat [das Werk] erfunden, gezeichnet und
gemalt, 1752“.
Die hinzugesetzten Buch-
staben
„G . I . P . K . P . “
konnten bisher
noch nicht gedeutet werden. Unter dem
Bogen wird der gegeißelte Jesus dem Volk
präsentiert. Diese „Ecce homo“-Darstel-
lung schließt an Matthäus 27, 19 – 20 an,
wenn Pilatus auf seinem Richterstuhl sitzt,
Jesus dem anwesenden Volk gleichsam
anbietet, dieses jedoch den Mörder Barab-
bas frei haben will. Hinter Pilatus wird be-
reits die Schüssel mit Wasser vorbereitet,
in der der römische Statthalter seine Hände
in Unschuld waschen wird. Die wütende
und anklagende Volksmenge besteht aus
zahlreichen gestaffelt aufgestellten Figu-
ren. Selbst auf den Galerien erscheinen
Leute, die in die vehemente Forderung
einstimmen und „Kreuzige ihn!“ zu rufen
scheinen. Das bereits vorbereitete Kreuz
ist als Vorahnung auf die kommenden un-
ausbleiblichen Ereignisse zu verstehen.
Nach der Feier der Karfreitagsliturgie
wird die zentrale Gruft zum Grab Christi.
Der Leichnam ruht lichtbestrahlt im Grab
und wird von zwei schlafenden römischen
Legionären „bewacht“. Ein mittels
Winde betriebener Aufzug in der Form
eines Strahlenkranzes, mit Leuchterengeln
und kleinen bunten Osterkugeln besetzt –
optisch zwischen Gottvater in der Höhe
und der Balustrade des Palastbaues im
Hintergrund schwebend – , erhält nun erst-
mals eine richtige Funktion, indem er das
Allerheiligste aufnimmt, die nach alter
Tradition verhüllte Monstranz. Der Auf-
zug wird heute leider nicht mehr installiert,
womit diesem Heiligen Grab ein wesent-
liches Element fehlt.
Vor der Auferstehungsfeier am Kar-
samstag wird die „Bühne“ des Heiligen
Grabes geräumt: Pilatus, Jesus und das
Volk verschwinden, es bleiben nur der
Leichnam im Grab und seine Wärter.
Auch das Allerheiligste in der Gloriole
hoch oben blieb weiter zur Anbetung aus-
gesetzt. Während der Auferstehungsfeier
senkte sich dann der Strahlenkranz, der
Priester nahm die Monstranz heraus, hin-
ter der bereits – durch einen weißen Vor-