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cher gesehen
20
, nur Erich Egg schreibt sie
Simon von Taisten zu
21
.
Bei der viel beachteten Ausstellung
„Gotik in Tirol“ im Ferdinandeum im Jahr
1950 wurde auch der St. Sebastian-Altar
gezeigt, stilistisch in das Pustertal verlegt
und mit „um 1490“ datiert. Es wurde auf
die widersprüchlichen Aussagen von
Joseph-Clemens von Bayern und Nicolò
Rasmo, die Zusammengehörigkeit von
St. Sebastian-Schrein und St. Georg-
Altarflügel betreffend, hingewiesen
22
.
Erich Egg lässt 1985 eine eventuelle Zu-
sammengehörigkeit von Schrein und Altar-
flügel nochmals anklingen
23
. Im Katalog der
Landesausstellung 2000 „circa 1500“ (Teil
Lienz – „Leonhard & Paola. Ein ungleiches
Paar“), auf der der St. Sebastian-Altar ge-
zeigt wurde, gibt es keinen Hinweis mehr
auf den St. Georg-Flügel von Bozen
24
.
Eigenartig ist, dass es niemand der Mühe
wert gefunden hat, vor Ort, d. h. in Kals, sich
nach einem eventuell erhaltenen Fragment
eines St. Georg-Altars zu erkundigen. – Be-
tritt man die abgeschiedene Filialkirche St.
Georg, fällt einem sofort ein Relief auf, das
in spätgotischer Formsprache die Szene von
St. Georgs Drachenkampf wiedergibt. – Der
St. Georgslegende entsprechend, spielt sich
der Kampf in der Nähe einer Stadt ab. Fel-
sen, Bäume, Türme bilden den Hintergrund.
Etwas makaber wirken die herumliegenden
Knochen, die auf die dem Drachen täglich
dargebrachten Opfer von Kindern hinweisen.
Der Drache windet sich am Boden und
bäumt sich zum Angriff auf. Doch St. Georg,
in einem Harnisch des späten 15. Jahrhun-
derts, ist auf seinem Schimmel heran ge-
sprengt und stößt dem Ungeheuer seine
Lanze so heftig in den Rachen, dass sie den
Kiefer durchbohrt und ein zweites Mal in
dessen Körper eindringt. Die errettete Jung-
frau, rechts, ringt freudig die Hände.
Bei diesem Relief besteht eine Diskrepanz
zwischen der spätgotischen Formsprache, zu
datieren in die Zeit gegen 1500, und der
neuen polychromen Fassung sowie dem ver-
hältnismäßig frischen Holz, das auf der
Rückseite des Reliefs gut sichtbar ist. Die
Aufklärung erfährt man aus der Literatur,
den Osttiroler Heimatblättern von 1929.
Franz Unterkircher schreibt im Beitrag
„Kunstgeschichtliches aus Kals“
25
über die
Kirche St. Georg: „An der ... Wand weiter
rückwärts bemaltes Holzrelief: St. Georg er-
sticht den Drachen, rechts auf einem Hügel
die befreite Jungfrau, links im Hintergrund
Türme. Copie nach einem verkauften, of-
fenbar gotischen Original, von Franz Groder
aus Kals.“ Als Gewährsmann diente Unter-
kircher ein gewisser Franz Zeiner aus Kals.
Wann der Verkauf des Originals getätigt
wurde, ist unklar, da sich in der Pfarrchronik
keinerlei Hinweis darauf befindet
26
.
Mit dem erhaltenen Altarflügel lassen
sich Höhe und Breite des querformatigen
Giebelschreins berechnen. Der Schrein
muss 134 cm breit gewesen sein, während
die Giebelhöhe 87 cm betrug. Es scheint,
dass die Kopie Franz Groders wirklich
dem Original entsprechend, also 1:1, her-
gestellt worden ist. Das Relief mit einer
Breite von 116 cm passt ausgezeichnet zu
den vorgegeben Maßen, besonders wenn
man auch – wie wohl allgemein üblich –
für die Oberseite des Kalser Schreins –
ähnlich dem Altar von Lengberg – eine
Verzierung mit Maßwerkdekor annimmt.
Es drängt sich ein Vergleich hinsichtlich
Form und Maßen zwischen dem rekon-
struierten Altar von Kals und dem
Schrein von Lengberg auf. Für einen ech-
ten stilistischen Vergleich fehlen beim
„Kalser Altar“ das Original des Reliefs
sowie beim Lengberger Altar die bemalten
Flügel. Dennoch kann festgestellt werden,
dass die beiden Werke nicht demselben
Bildhauer bzw. demselben Maler zugeord-
net werden können. Es ist jedoch sicherlich
nicht unrichtig, beide Altäre derselben Pus-
tertaler Werkstätte zuzuschreiben.
Die wirtschaftliche Situation des Kalser-
tales in den Jahrzehnten um 1500 scheint
nicht ungünstig gewesen zu sein, denn man
hat die 1439 geweihte Pfarrkirche wenig
später wesentlich verändert, so dass 1516
eine Neuweihe notwendig war. Der Pfarrhof
wurde in den Jahren 1471 bis 1481 als gera-
dezu monumentaler gotischer Neubau er-
richtet. Für die künstlerische Ausschmü-
ckung der St. Sebastian-Kapelle der Pfarrkir-
che konnte ein auswärtiger ausgezeichneter
Meister gewonnen werden, der im süddeut-
schen Raum gelernt haben dürfte. Die Ma-
lereien entstanden um 1520. – Mit der de-
taillierten Kenntnis des St. Georg-Altars der
Filialkirche wird das kulturgeschichtliche
Bild von Kals in der Zeit um 1500 ergänzt.
Anmerkungen:
1 Erich Egg, Gotik in Tirol. Die Flügelaltäre, Innsbruck
1985, S. 50.
2Mit diesem Thema hat sich der Autor zum ersten Mal be-
fasst in: Veröffentlichungen des Tiroler Landesmuseums
Ferdinandeum, 80. Jg., Innsbruck 2000, S. 121-130.
3Meinrad Pizzinini, Osttirol. Der Bezirk Lienz. Seine Kunst-
werke, historischen Lebens- und Siedlungsformen (= Ös-
terreichische Kunstmonographie VII), Salzburg 1974, S. 154
f.; ders. in DEHIO-Handbuch Tirol, Wien 1980, S. 383 f.
4 Friedrich Kurzthaler, Aus der Geschichte der Pfarre Kals,
in: Osttiroler Heimatblätter, Jg. 4, 1927, Nr. 2, S. 26 ff.
5 Archivberichte aus Tirol, hg. von Emil von Ottenthal
und Oswald Redlich (= Mittheilungen der dritten (Ar-
chiv-)Sektion der k.k. Central-Commission zur Erfor-
schung und Erhaltung der Kunst- und historischen
Denkmale), IV, Wien 1912, S. 71.
6 Kulturberichte aus Tirol, Folge 153/154, 4. Dezember
1964, S. 11 f. (Meldung von Liselotte Plank); Fundbe-
richte aus Österreich, Bd. 8: Berichte 1961-1965 mit
Nachträgen, Wien 1974, S. 175.
7 Kulturberichte aus Tirol, Folge 395/396 (fälschlich als
393/394 bezeichnet), September 1996, S. 1997 (Meldung
von Harald Stadler); Harald Stadler, Die archäologischen
Untersuchungen in der Kirche St. Georg, in: Hilda Antonia
Leimser, Geschichte von Kals am Großglockner durch die
Jahrhunderte, Kals a. Gr. 1998, S. 249-257 (Anhang II).
8 Lexikon der christlichen Ikonographie, hg. von Wolf-
gang Braunfels, 6. Bd., Rom-Freiburg-Basel-Wien 1974,
Sp. 365-390.
9 Hans Fink, Die Kirchenpatrozinien Tirols. Ein Beitrag
zur tirolisch-deutschen Kulturgeschichte, Passau 1928,
S. 126-139.
10 Karl Künstle, Ikonographie der Heiligen, Freiburg i. Br.
1926, S. 263-279; Lexikon der christlichen Ikonographie
a.a.O.
11 Pizzinini, Osttirol a.a.O., S. 239-246.
12 Richard Benz (Hg.), Die Legenda aurea des Jacobus de
Voragine, Köln-Olten 1969, S. 300-306.
13 Josef Weingartner, Die Kunstdenkmäler Südtirols, Bd.
2, Bozen-Innsbruck-Wien, 7. Aufl. 1991, S. 616-619.
14 DEHIO-Handbuch Kärnten, Wien 1976, S. 153.
15 (Anonym:) Ueber zwei alte Tafelgemälde, in: Der
Kunstfreund, 7. Jg., 1891, Nr. 7, S. 31 f.
16 Rudolf Egger, Die Reisetagebücher des Paolo Santonino
1485-1487 (aus dem Lateinischen übertragen), Klagen-
furt 1947, S. 35.
17 circa 1500. Landesausstellung 2000 Mostra storica, Kata-
log der Landesausstellung 2000 Lienz – Brixen – Castel
Beseno, Mailand 2000, S. 190 (Beitrag von Gert Ammann).
18 Joseph-Clemens von Bayern, Friedrich Pacher, in: Ul-
rich Thieme-Felix Becker, Allgemeines Lexikon der bil-
denden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart, Bd.
XXVI, Leipzig 1931, S. 120-122.
19 Nicolò Rasmo, Un’antina dell’altare di S. Giorgio a Kals
nel Museo di Bolzano, in: Cultura Atesina – Kultur des
Etschlandes, Bd. III, 1949, S. 77 f.
20 Joseph-Clemens von Bayern a.a.O.; Nicolò Rasmo
a.a.O.; Elisabeth Herzig, Friedrich Pacher und sein
Kreis. Studien zu einer Monographie, Phil.-Diss., MS,
Wien 1973, S. 136.
21 Erich Egg a.a.O., S. 198.
22 Gotik in Tirol. Malerei und Plastik des Mittelalters, be-
arbeitet von Vinzenz Oberhammer. Katalog des Tiroler
Landemuseums Ferdinandeum, Innsbruck 1959, S. 41,
Nr. 100; über den St. Sebastian-Altar auch Meinrad Piz-
zinini, Kunstwerke aus Osttirol. Beiträge zur Kulturge-
schichte (3). Sebastian-Altar (um 1490) – Schloß Leng-
berg, in: Osttiroler Bote 1970, Nr. 4, S. 15.
23 Erich Egg a.a.O., S. 198.
24 circa 1500. Landesausstellung 2000 Mostra Storica
a.a.O., S. 190.
25 Franz Unterkircher, Kunstgeschichtliches aus Kals, in:
Osttiroler Heimatblätter, Jg. 6, 1929, Nr. 3/4, S. 31-35.
– In Unkenntnis dieser Textstelle wurde das Relief als
Original angesehen bei Josef Weingartner, Die Kunst-
denkmäler Osttirols, Innsbruck-Wien-München 1958, S.
33 und bei Meinrad Pizzinini, Kunstwerke aus Osttirol.
Beiträge zur Kulturgeschichte (16). Hl. Georg (um 1500)
– Kals, St. Georg, in: Osttiroler Bote 1970, Nr. 17, S. 11.
Hier wird erstmals ein Zusammenhang zwischen dem
Relief und dem Altarflügel von Bozen hergestellt. –
Richtigstellung bzw. Einordnung des Reliefs als Kopie
bei Meinrad Pizzinini, Osttirol a.a.O., S. 155.
26Mitteilung von Frau Mag. Hilda Antonia Leimser
(Absam), die die einschlägigen Quellen für ihre Di-
plomarbeit (a.a.O.) durchgesehen hat.
O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
70. Jahrgang – Nummer 12
IMPRESSUM DER OHBL.:
Redaktion: Univ.-Doz. Dr. Meinrad Pizzinini.
Für den Inhalt der Beiträge sind die Autoren
verantwortlich.
Manuskripte für die „Osttiroler Heimat-
blätter“ sind einzusenden an die Redaktion
des „Osttiroler Bote“ oder an Dr. Meinrad Piz-
zinini, A-6176 Völs, Albertistraße 2a.
Spätgotisches St. Georg-Relief des ehemaligen Kalser Flügelaltars, als Kopie der
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts überliefert.
Foto: Gerald Meyer