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An der Rückwand der Kirche, am heutigen
Sängerchor, ist in Resten ein alttestamenta-
rischer Bilderzyklus in zwei Streifen über-
liefert,
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in das Ende des 13. Jahrhunderts
und damit in die frühe Gotik zu datieren. Mit
Wernher, Maler und Bürger zu Lienz, ist für
das Jahr 1285 hier erstmals ein Maler nach-
zuweisen, ohne dass ihm aber diese erhalte-
nen Werke zugeschrieben werden können.
Die Bilderfolge ist auf der gesamten
Breite des ehemaligen Innenraums fassbar.
Abgesehen von Resten von Figurenzeich-
nungen, Palmettenfries und Inschriftenband
mit Fragmenten von Majuskelinschriften
sind drei Bilder relativ gut erhalten: Ver-
treibung von Adam und Eva aus dem Para-
dies, „Buße der Stammeltern“, d.h., Adam
und Eva bei der irdischen Arbeit, wobei
beide hinter einer Brüstung dargestellt sind,
Adam mit der Hacke über der Schulter und
Eva mit der Spindel. Das dritte leicht zu
identifizierende Bild zeigt die beabsichtigte
Opferung Isaaks durch Abraham: Während
ein Engel das Schwert, das Abraham zum
tödlichen Streich ausholt, zurückhält, ist im
Hintergrund bereits der Widder dargestellt,
der als Ersatzopfer dienen soll.
Rund 100 Jahre später, gegen 1400,
schmückte man die Eingangsseite des
Gotteshauses mit einer in zwei Bildstreifen
breit angelegten Darstellung des Jüngsten
Gerichts,
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die zwar nur mehr in Teilen er-
halten geblieben ist, aber eindeutig rekon-
struiert werden kann: An Christus den
Weltenrichter in der Mandorla, unter
einem flachen Dreipass thronend, schließen
sich seitlich und symmetrisch die Gruppen
von sitzenden Aposteln an. Rechts von der
Mandorla erkennt man weiters Johannes
den Täufer und darüber einen Engel mit
Posaune. Auf einem weiter rechts liegen-
den Bildfeld sind der Erzengel Michael mit
dem Schwert und die Inschrift „ITE
MALEDICTI“ – „Weichet ihr Verdamm-
ten“ erhalten. – Die Freskotechnik, die Art
der Modellierung der Gesichter, insgesamt
der Stil der Malereien, lassen an einen
friaulischen Wandermaler denken, auf
jeden Fall an einen im Süden geschulten
Meister, was bei der auch auf kulturellem
Gebiet gegebenen Verbindung zwischen
Nord und Süd zur Zeit der Görzer Herr-
schaft nicht außergewöhnlich wäre.
Diese Wandmalerei, ehemals gewiss
durch ein hölzernes Vordach vor Wetter-
einflüssen geschützt, konnte die Gläubigen
nur durch einige Jahrzehnte erbauen bzw.
ermahnen. Um 1430 begann der Umbau
von St. Andrä von der einschiffigen roma-
nischen Kirche zur dreischiffigen gotischen
Basilika, der das Erscheinungsbild des Got-
teshauses völlig veränderte.
O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
72. Jahrgang – Nummer 2
Ausschnitt
aus dem alt-
testamentari-
schen Bilder-
zyklus mit
der Vertrei-
bung von
Adam und
Eva aus dem
Paradies und
der „Buße
der Stammel-
tern“, Ende
13. Jahrhun-
dert; die Ge-
mälde gehör-
ten zur künst-
lerischen
Ausstattung
des romani-
schen Gottes-
hauses.
Ausschnitt
aus der Dar-
stellung des
Jüngsten
Gerichts mit
einer Gruppe
von Apos-
teln, ehemals
an der west-
lichen
Außenseite
der romani-
schen Kir-
che, gegen
1400; künst-
lerisch ge-
sehen stehen
die Male-
reien mit
Friaul in
Beziehung.
Anmerkungen:
1 Hans Fink, Die Kirchenpatrozinien Tirols, Passau 1928,
S. 55-58.
2 Lexikon der christlichen Ikonographie, 5. Bd., Rom-
Freiburg-Basel-Wien 1973, Sp. 138-149 – Erna und
Hans Melchers, Das große Buch der Heiligen. Ge-
schichte und Legende im Jahreslauf, München 1978, S.
773-776 – Otto Wimmer/Hartmann Melzer, Lexikon
der Namen und Heiligen, Innsbruck-Wien 1988, S. 132.
3 Anton Roschmann, Fürstlich Görzische Residenz-Statt
Lüenz vnd dero Gegenden, MS, 1746, S. 17 (Tiroler
Landesmuseum Ferdinandeum, Dip. 947).
4 A. B. Meyer – A. Unterforcher, Die Römerstadt Agunt
bei Lienz in Tirol, Berlin 1908, S. 99-101.
5 Anton Roschmann, Monumenta Romana per Tirolim,
cum Com(m)entariis et Notis, MS, undatiert (um 1750),
unpag. (Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Dip.
938).
6 Meyer-Unterforcher (siehe Anm. 4), S. 99.
7 Hermann Wiesflecker, Entstehung der Stadt Lienz im
Mittelalter, in: Lienzer Buch. Beiträge zur Heimat-
kunde von Lienz und Umgebung (= Schlern-Schriften
98), Innsbruck 1952, S. 153-197, hier S. 158.
8 Hermann Wiesflecker, Aguntum – St. Andrä - Luen-
zina – Patriarchesdorf. Betrachtungen zur Frage der
Siedlungskontinuität im Lienzer Talboden, in: Alpen-
region und Österreich. Geschichtliche Spezialitäten,
Innsbruck 1976, S. 171-191, bes. S. 185, Anm. 4.
9 Liselotte Zemmer-Plank, Die Ausgrabungen in der
Pfarrkirche St. Andreas in Lienz, in: Veröffentlichun-
gen des Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum Jg.
1974, Bd. 54, S. 251-285.
10 Elisabeth Walde-Psenner, St. Andreas – Das Reli-
quiengrab in der frühchristlichen Kirche, in: Festschrift
für Otto R. von Lutterrotti, Innsbruck 1972, S. 293 ff.
11 Franz Glaser, Frühes Christentum im Alpenraum. Eine
archäologische Entdeckungsreise, Regensburg-Graz-
Wien-Köln 1997, S. 146.
12 Hermann Wiesflecker, Aguntum – St. Andrä – Luen-
zina – Patriarchesdorf (siehe Anm. 8) S. 183 f. – Mein-
rad Pizzinini, Lienz. Das große Stadtbuch, Lienz 1982,
S. 33-35.
13 Josef Plöger, geb. am 2. Juli 1923 in Ense-Hünnin-
gen/Westf.; am 24. Feb. 1953 Priesterweihe in Köln,
von da an mit geistlichen Aufgaben in Köln betraut;
1967 Promotion zum Doktor der Theologie; 19. Mai
1975 Bischofsweihe und Übernahme der Funktionen
des Kölner Weihbischofs mit dem Titel eines Bischofs
von Aguntum; 1975 Ehrendomherr von Toulouse; 15.
April 1991 aus Altersgründen von den Aufgaben des
Kölner Weihbischofs entpflichtet. – Diese Angaben
verdanke ich Herrn HR Dr. Heinz Wieser.
14 Wiesflecker, Aguntum – St. Andrä – Luenzina – Patri-
archesdorf (siehe Anm. 8), S. 184 f.
15 Neueste und wertvolle Literatur dazu Heinz Dopsch,
Salzburg als Missionskirchenzentrum, in: Slowenien
und die Nachbarländer zwischen Antike und karolin-
gischer Epoche. Anfänge der slowenischen Ethnoge-
nese II, hg. von Rajko Bratoz, Lubjana 2001, S. 659-
692.
16 Neueste Forschungen zur Frühzeit der Görzer von
Heinz Dopsch/Therese Meyer, Von Bayern nach Friaul.
Zur Herkunft der Grafen von Görz und ihren Anfängen
in Kärnten und Friaul, Krain und Istrien, in: Zeitschrift
für bayerische Landesgeschichte, Band 65, Heft 2,
2002; verschiedene Angaben daraus sind nicht im ein-
zelnen zitiert.
17 Hermann Wiesflecker, Die Regesten der Grafen von
Görz und Tirol, Pfalzgrafen in Kärnten (= Publikatio-
nen des Institutes für österreichische Geschichtsfor-
schung, Vierte Reihe, Erste Abteilung, I. Band: 957-
1271), Innsbruck 1949, Reg. 30.
18 Wiesflecker, Regesten (siehe Anm. 17), Reg. 305.
19 Meinrad Pizzinini, Lienz. Das große Stadtbuch, Lienz
1982, S. 38.
20 Wiesflecker, Regesten (siehe Anm. 17), Reg. 422.
21 Hermann Wiesflecker, Lienz im Mittelalter (siehe
Anm. 7) bes. S. 162-166.
22 Helmut Rizzolli, Münzgeschichte des alttirolischen
Raumes im Mittelalter und Corpus Nummorum Tiro-
lensium Mediaevalium, Bd. I: Die Münzstätten Bri-
xen/Innsbruck, Trient, Lienz und Meran vor 1363,
Bozen 1991, S. 53-57 ff. – Heinz Tursky, Die frühen
Lienzer Prägungen der Grafen von Görz, in: Haller
Münzblätter, Band V, Juni 1992, Nr. 14/15, S. 338-350.
23 Zemmer-Plank, Die Ausgrabungen (siehe Anm. 9).
24 Meinrad Pizzinini, Osttirol – Der Bezirk Lienz. Seine
Kunstwerke, historischen Lebens- und Siedlungsfor-
men (= Österreichische Kunstmonographie VII),
Salzburg 1974, S. 183 f., 192 – Meinrad Pizzinini,
Lienz – Pfarrkirche St. Andrä (= Kleine Kunstführer
Nr. 444), 6. Aufl., Regensburg 1994, S. 20 f. – Renate
Vergeiner, Lienz. Ein Kulturbegleiter, Lienz 1992, S.
43 – Der Kämpfer und der Reliefstein mit Gesicht wer-
den bereits bei Mayer-Unterforcher (siehe Anm. 4) kurz
behandelt, wobei bewusst offen bleibt, ob es sich um
römische oder romanische Spolien handelt.
25 Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmal-
pflege, XXIII/1969, Heft 3/4 (Mittelalterliche Wand-
malerei, Funde 1959 – 1969, S. 202 f. – Pizzinini, Ost-
tirol (siehe Anm. 24), S. 185 – Pizzinini, Lienz, Kunst-
führer St. Andrä (siehe Anm. 24), S. 10 – Waltraud
Kofler-Engl, Frühgotische Wandmalerei in Tirol. Stil-
geschichtliche Untersuchung zur „Linearität“ in der
Wandmalerei von 1260 bis 1360, Bozen 1995, S. 41 ff.,
205 f.
26 Österreichische Zeitschrift (siehe Anm. 25), S. 203 –
Pizzinini, Osttirol (siehe Anm. 24), S.185 – Pizzinini,
Lienz, Kunstführer St. Andrä (siehe Anm. 24), S. 10.