Seite 4 - H_2004_06-07

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O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
72. Jahrgang – Nummer 6-7
Maler, Bildhauer und Grafiker kontinuier-
lich bespielbare Ausstellungssituation zu
schaffen.“
Jener bereits angedeutete divergierende
Prozess, der auch kleinere Interessensge-
meinschaften sozusagen entbindet, be-
schleunigte sich zwischen den kunstschaf-
fenden Akteuren in Osttirol ursächlich
durch Differenzen in der mehr oder weni-
ger zeitgeistigen Auffassung darüber,
welche Kunstrichtung eigentlich die Kri-
terien der Gültigkeit für sich beanspruchen
kann. Aus diesem Spannungsverhältnis
heraus konstellierte sich auf der einen
Seite jene Gruppierung, die in ihrer Kunst-
auffassung den Naturalismusgedanken
für sich unmittelbar beanspruchte, und auf
der anderen Seite die Gruppe von großteils
Absolventen der Akademien, denen die
Moderne, in dem Sinn zum Beispiel ex-
pressionistische, kubistische Tendenzen
und die noch avantgardistische Abstrak-
tion, mehr Wegweiser war, als sich ihr zu
entziehen.
„1956 trafen wir uns in der Küche des
Malermeisters Oberlechner zu einer kon-
stituierenden Versammlung mit dem Ziel,
den neuen ‚Akademischen Künstlerbund
Osttirol’, zu gründen. Anwesend waren
neben mir
(Leopold Ganzer)
Oberlechner,
Walchegger und Manfreda…“
15
Die Zielsetzung der neu gegründeten
„Zweckgemeinschaft“ war mit zwei be-
sonders markanten Punkten relativ klar
skizziert. Der
„Akademische Künstlerbund
Osttirol“
wollte in erster, immanenter
Linie die Abgrenzung zu sogenannten
„Freizeitmalern“ betonen und gleichzeitig
aber auch dafür Sorge tragen, dass die un-
mittelbar betroffene Bevölkerung, die an
der Besichtigung von Ausstellungen
interessiert ist, dem Thema Kunst wert-
offener gegenübertritt. Die Hauptintention
der Gruppe verstand sich zum einen in der
Verwirklichung eines Selbstverständlich-
keitsgefühls für ihre künstlerisch vorrangig
und sukzessiv erarbeitete Expression und
zum anderen, so Leo Ganzer,
„die Kunst in
die Bevölkerung zu tragen.“
Dem Quartett
schlossen sich im Laufe der Interessens-
positionierung u. a. Adrian Egger, Friedl
Fuetsch, Oswald Kollreider und Hermann
Pedit an und kamen, wie bereits erwähnt,
1956 und 1958 in einer eigenen Schau im
Tiroler Kunstpavillon zu Ehren.
Dieser Nordtiroler Präsentation ging
aber vorher eine für Lienz entscheidende
Kollektive voraus, die den
„Akademischen
Künstlerbund Osttirol“
eben für die
nächste Generation von Kunstschaffenden
so wichtig machte. Der Architekt, Bild-
hauer und Maler Josef Manfreda (1890 bis
1967), der lange Zeit an der Staatsgewer-
beschule in Innsbruck unterrichtete, erhielt
von der Stadt Lienz Mitte der 50er-Jahre
den Auftrag, die vom Krieg zerstörte
Spitalskirche wieder aufzubauen. Akkurat
1956 war der Rohbau bis dahingehend ab-
geschlossen, dass das Innere der Kirche
bereits verputzt bzw. weiß gekalkt
wurde. Es bot sich nun die tatsächlich ein-
malige Gelegenheit für Josef Manfreda,
Franz Walchegger und Leopold Ganzer,
sozusagen ihre Auffassung von Kunst und
ihr Ausdrucksvokabular dem vorwiegend
heimischen Publikum vorzustellen. Ex-
pressionistische und kubistische For-
meln, die in Europa bereits längst tradiert
waren, initiierten in ihrer, allgemein be-
schriebenen, Egger-Lienz- und Georges
Braque-Nachfolge bei den Betrachtern
zum Teil eine Stimmung, die man viel-
leicht mit Modest Mussorgskijs „Bilder
einer Ausstellung“ vergleichen kann. Leo
Ganzer beschreibt die damalige span-
nungsgeladene Situation eigentlich als
wegweisend und zielführend für die Ent-
wicklung späterer Ausstellungskonzepte
speziell für Lienz.
„Wir zählten damals an die 6.000 (!)
Besucher, von denen manche acht- bis
zehnmal kamen, um sich mit dieser Form
der Kunstäußerung auseinander zu setzen.
Es gab heftige Diskussionen, in denen vor-
wiegend akademisch gebildete Menschen
eine ablehnende Position einnahmen. Als
besonders evident aber muss die Tatsache
festgehalten werden, dass der Betrachter
Paul Flora,
Rabe in
Venedig,
Passepartout-
ausschnitt
19,5 x 16,5
cm. Bei der
Verkaufsaus-
stellung 1964
konnte der
Student Mein-
rad Pizzinini
diese Tusche-
zeichnung zu
moderateren
Konditionen
erwerben….
Ankauf der
Stadt Lienz:
Franz Walch-
egger, Im
Garten, 1962,
Bindertechnik
auf Platte,
98,5 x 99 cm.