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Es ist nicht überliefert, warum er nach
Wörgl in Tirol versetzt wurde. Er übersie-
delte mit seiner Familie dorthin, doch blie-
ben seine Bezüge etwa gleich, sodass er sei-
nen Beamtenposten aufgab und – um sein
Einkommen zu erhöhen – als Zivilgeometer
zu arbeiten begann. Diese Tätigkeit führte
ihn unter anderem nach Vorarlberg. Dort
sollte sein Leben eine radikale Wende erfah-
ren. Er verunglückte, brach sich ein Bein
und kam in das Krankenhaus von Feldkirch.
Während der gebrochene Knochen wieder
in Ordnung kam, verliebte er sich in eine
ihn pflegende Schwester, die seine Liebe er-
widerte, sodass die beiden beschlossen, zu-
sammen zu bleiben. Sie erlernte zusätzlich
zu ihrer Schwesternausbildung den Beruf
einer Hebamme, und sie zogen nach Lienz,
sodass der Alpenhauptkamm sie von ihrem
früheren Lebensbereich trennte. Dort be-
gann die junge Hebamme in ihrem neuen
Beruf zu arbeiten, und er nahm wieder eine
Anstellung als Forstbeamter an.
Seine Frau ging mit ihren beiden Buben
zurück nach Wien und suchte eine Ver-
dienstmöglichkeit, da seine Zuwendungen
unzureichend waren. Sie fand sie als Sekre-
tärin von Ing. Dr. Wilhelm Exner, dem Pro-
fessor an der Hochschule für Bodenkultur,
Gründer und Direktor des Technologischen
Gewerbemuseums in Wien und Schöpfer
mehrerer technischer Lehr- und Versuchs-
anstalten. Er selbst war verheiratet aber kin-
derlos, fand Gefallen an ihren Söhnen und
adoptierte sie schließlich, sodass sie seither
den Namen Kryspin-Exner führten.
Carl Georg Kryspin traf in Lienz auf einen
Kreis von geschichts- und heimatbewussten
Männern, die dem traditionellen Schützen-
wesen verbunden waren. Seinen Neigungen
kamen deren Bemühungen um das Geden-
ken an die Ereignisse der Napoleonischen
Zeit entgegen, die damals hundert Jahre zu-
rücklagen. Es war ein Denkmal-Komitee ge-
gründet worden, um die Erinnerung an die
vormaligen Taten und Opfer hochzuhalten
1
.
Eine wesentliche Persönlichkeit und trei-
bende Kraft war dabei der Stadt- und Spi-
talsarzt Med.-Rat Dr. Anton Wurnig, der
neben seinen erfolgreichen Bemühungen um
das Gesundheitswesen der Stadt Lienz sich
auch hierbei bleibende Verdienste erwarb.
Carl Georg Kryspin erweiterte das Feld
dieser Bemühungen, indem er noch vor-
handenes aber bislang noch nicht doku-
mentiertes Wissen über jene zurückliegen-
den Ereignisse, soweit sie Osttirol betrafen,
zu sammeln begann und festhielt. Ohne ihn
wäre vieles davon der Vergessenheit an-
heim gefallen. Er berichtet von den Ereig-
nissen ohne Pathos, sachlich, doch sehr an-
schaulich über Gefechte, Rückzüge und
Repressalien, über Tapferkeit und Opfer-
gänge. Sein Werk stellt einen Bericht dar,
der auch heute noch den Leser packt. Eine
Veröffentlichung wäre aber damals höchst-
wahrscheinlich ohne das Zutun von Med.-
Rat Dr. Wurnig kaum möglich gewesen.
War es nur Zufall oder eine glückhafte Fü-
gung, dass zwei Männer gegen alle Wahr-
scheinlichkeit aufeinander trafen, um ein
Werk von bleibendemWert zu schaffen? Der
eine forschte, sammelte und schrieb neben
seiner beruflichen Tätigkeit, während der
andere, mehr als beruflich ausgelastet, die
Herausgabe des entstandenen Buches ermög-
lichte. Das vorliegende Buch legt ja – zusam-
men mit den in verschiedenen Orten Osttirols
stehenden Denkmälern – ein deutliches
Zeugnis der Dankbarkeit und Heimatverbun-
denheit der damaligen Menschen sowie ihrer
diesbezüglichen Bemühungen ab.
Carl Georg Kryspin starb am 11. No-
vember 1908 im Alter von nur 42 Jahren.
Sein Grab ist noch auf dem Friedhof von
Lienz zu finden. Medizinalrat Dr. Anton
Wurnig überlebte ihn um 13 Jahre. Er starb
1921 und fand am selben Friedhof seine
letzte Ruhestätte.
Zuletzt sei noch der Nachkommen der bei-
den genannten Männer gedacht: Carl Georg
Kryspins Söhne, adoptiert von Wilhelm
Exner, wandten sich nach abgeschlossener
Mittelschulzeit verschiedenen Studienrich-
tungen zu. Der eine studierte Medizin und
brachte es zum Primarius in der Wiener Heil-
stätte „Am Steinhof“. Er blieb ohne Nach-
kommen. Der andere wurde Techniker und
Direktor der Wertheim AG. Dessen Sohn
Cornelius war mein, des Verfassers dieser
Zeilen, Studienkollege. Er wurde schließlich
Universitätsprofessor und Ordinarius an der
Medizinischen Fakultät der Universität
Innsbruck. Er war es, der mir von seinem
Großvater erzählte und das beschriebene
Buch erstmalig zeigte
2
. Viel zu früh starb er
an den Spätfolgen einer Kriegsverletzung.
Mit dem Enkel von Med.-Rat Dr. Anton
Wurnig arbeitete ich im Mautner Markhof-
schen Kinderspital in Wien zusammen. Er
war Leiter der Chirurgie, ich jener der
Internen Abteilung. Er, der Universitäts-
professor Dr. Peter Wurnig, war es, der mir
ein Exemplar der „Kriegsereignisse“ zu
meinem 60. Geburtstag schenkte
3
.
Eine Neuauflage dieses Buches würde
sicherlich Interesse finden.
Bibliographie C. G. Kryspins:
Ruine Arnstein bei Mayerling imWiener
Walde, Wien 1891.
Geschichte des Geschlechtes Dinzl,
MS, Lienz 1903 (Exemplare im Museum
der Stadt Lienz Schloss Bruck und in der
Bibliothek des Tiroler Landesmuseums
Ferdinandeum).
Siegel und Wappen der Stadt Lienz, in:
Lienzer Zeitung 1903 Nr. 52, 1904 Nr. 1.
Gemeinsam mit A. Grimm: Landescultur-
gesetze, Verordnungen und Entscheidungen
für Tirol und Vorarlberg, Innsbruck 1905.
Die Kriegsereignisse von 1797-1814 in
Lienz und Umgebung, Lienz 1905.
Beiträge zur Ostpustertaler Kriegsge-
schichte in den Franzosenjahren, in: For-
schungen und Mitteilungen zur Geschichte
Tirols und Vorarlbergs, III. Jg., 1906,
S. 322 bis 332.
Anmerkungen:
1 Darüber hinaus ordnete Kryspin Urkunden und Akten des
Stadtarchivs bzw. legte Auszüge und Abschriften der
alten Urkunden („Lienzer Urkundenbuch“) an (M. Pizzi-
nini, Das große Buch der Stadt Lienz, Lienz 1982, S.
428).
2 Die mündliche Familientradition weicht in manchen
Details von dem in der Lienzer Zeitung Nr. 16 (18. April
1908, S. 2) veröffentlichten Nachruf ab. Es lässt sich
nicht mehr nachprüfen, welcher Bericht im Einzelnen
mehr Wahrheitsgehalt beanspruchen kann.
3 Er starb am 14. April 2005 in Wien imAlter von 82 Jah-
ren und wurde am 23. April im Familiengrab in Lienz
beigesetzt.
OSTTIROLER
NUMMER 9/2005
4
HEIMATBLÄTTER
IMPRESSUM DER OHBL.:
Redaktion: Univ.-Doz. Dr. Meinrad Pizzinini.
Für den Inhalt der Beiträge sind die Autoren
verantwortlich.
Anschrift der Autoren dieser Nummer:
Mag. Michael Huber, A-1060 Wien, Mariahil-
ferstraße 9/I/23 – Dr. Walter Potacs, Primarius
i. R., A-1190 Wien, Krottenbachstraße 3 a.
Manuskripte für die „Osttiroler Heimat-
blätter“ sind einzusenden an die Redaktion
des „Osttiroler Bote“ oder an Dr. Meinrad
Pizzinini, A-6176 Völs, Albertistraße 2 a.
Por-
trät
von
C. G.
Krys-
pin am
Grab-
stein
in
Lienz.
Foto:
Fabian
Pizzi-
nini
Carl
Georg
Kryspin
in Be-
amten-
uniform
im Alter
von 35
bis 40
Jahren.
Rep.:
Walter
Potacs
(Famili-
enarchiv
Kryspin-
Exner,
Wien)
Grabstätte von Carl Georg Kryspin am
Städtischen Friedhof in Lienz (Aufnahme
September 2005). Foto: Fabian Pizzinini