Seite 8 - H_2006_07-08

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sind. Die Art der Fragestellung, die Aus-
wahl der Themen oder die Selektion der
Zielgebiete waren diesem Ziel untergeord-
net. Die komprimierte Darstellung der Er-
gebnisse in Karten sollte die Verbreitung
des
„Deutschtums“
auch optisch untermau-
ern. Durch diesen historischen Ballast be-
darf es heute einer behutsamen und (quel-
len-) kritischen, gerade deshalb schwierigen
Auseinandersetzung mit dem erhobenen
Wissen. Fachkenntnisse um Art der Er-
hebungsmethode und späteren Verwendung
sind unumgänglich, zu leicht könnte man
ansonsten in den Fettnapf volkskundlicher
Missverständnisse tappen. Es ist deshalb
vorteilhaft und notwendig, die Materialien
des ADV im Zusammenhang mit anderen
Quellen zu interpretieren.
Positiv ist sicherlich anzumerken, dass
durch den ADV innerhalb der Volkskunde
erstmals versucht wurde, regionale Phäno-
mene in einen überregionalen Kontext zu
stellen. Tatsächlich war und ist Kultur
nämlich immer vernetzt. So manifestieren
sich beispielsweise Brauchformen, wie das
Klaubaufgehen oder das Scheibenschla-
gen, an bestimmten Orten und entwickeln
nicht selten auch sonderliche Eigenheiten.
Dennoch sind die zugrunde liegenden kul-
turellen Befindlichkeiten auch in anderen
Regionen präsent, wodurch es immer wie-
der zu einem Transfer von Kultur kommt.
So zeigt es sich, dass sowohl Nikolaus-
bräuche als auch Feuerbräuche Phäno-
mene sind, die nicht nur in Europa fast
überall anzutreffen sind. Doch gerade die-
ser Blick auf das Ganze fordert den Blick
auf das Detail. Eine wesentliche Frage
volkskundlicher Forschung ist und bleibt
deshalb, wie sich kulturelle Entwicklungen
in einer Region ausdrücken und wie Kul-
tur zwischen Dauer und Veränderung ge-
formt wird. Dabei zeigt sich, dass Gegen-
wart wesentlich aus Vergangenem besteht
und dass Vergangenheit in der Kultur län-
gerfristig präsent bleibt.
53
Dieser Überzeu-
gung folgend liegt jeder volkskundlichen
Forschung, gerade bei einer historischen
Perspektive, nicht allein ein rückwärts-
gewandter Blick zugrunde. Das Auge des
Volkskundlers ist deshalb mit der Frage
nach geschichtlichen Ursachen und Grün-
den stets auf die Jetztzeit gerichtet.
Zahlreiche Bemerkungen, die den Leser
in eine wesentlich von Arbeit, Glauben
und Aberglauben geprägte Welt zu locken
versuchen und die viel über die Kultur-
geschichte der Osttiroler Bevölkerung aus-
sagen könnten, verbergen sich noch in
Fragebögen des ADV. So entdeckt man
beispielsweise erst beim genauen Studium,
dass, wie Lorenz Kröll meldete, in Lienz
zur Abwehr von Dämonen und Druckgeis-
tern der Drudenfuß – ein Pentagramm mit
der Spitze nach oben – an Wiegen ange-
bracht wurde.
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Eine solche Wiege ist, ne-
benbei bemerkt, im Tiroler Volkskunst-
museum zu sehen – doch dies müsste nicht
der einzige Grund sein, die gerade für Ost-
tirol wichtigen Sammlungen in Innsbruck
wieder einmal zu bestaunen.
Anmerkungen:
1 Meier, John u. Helbok, Adolf: Frageplan der Herren Dr.
Prof. John Meier – Freiburg, Vorsitzenden des Volks-
kundeausschusses, und Prof. Dr. Helbok – Innsbruck,
Wissenschaftlicher Leiter des Atlas der Deutschen
Volkskunde, in: Vorschläge für 150 Fragen zum Ab-
schluss des Frageplanes des Atlas der Deutschen Volks-
kunde, Berlin [1933], 10.
2 Schlenger, Herbert: Methodische und technische Grund-
lagen des Atlas der Deutschen Volkskunde (= Deutsche
Forschung. Aus der Arbeit der Notgemeinschaft der
Deutschen Wissenschaft Heft 27) Berlin 1934, 16.
3 Boehm, Fritz: Volkskunde. Dem Atlas der Deutschen
Volkskunde zum Geleit, [Berlin 1929], 46.
4 Vgl. Fehn, Klaus: Volksgeschichte im Dritten Reich als
fächerübergreifende Wissenschaftskonzeption am Bei-
spiel von Adolf Helbok. Ein Beitrag zur interdisziplinä-
ren Wissenschaftsgeschichte vor allem der Fächer
Volkskunde, Landesgeschichte und Historische Geogra-
phie. In: Gunther Hirschfelder, Dorothea Schell und
Adelheid Schrutka-Rechtenstamm (Hgg.): Kulturen –
Sprachen – Übergänge. Festschrift für H.L. Cox zum
65. Geburtstag, Köln/Weimar/Wien 2000, 567-580.
5 Vgl. Gansohr-Meinel, Heidi: „Fragen an das Volk“ Der
Atlas der Deutschen Volkskunde 1928-1945. Ein Beitrag
zur Geschichte einer Institution, Würzburg 1993, 11.
6 Gründungsprotokoll für den ADV in Österreich,
26./27.2.1929, hier: Arthur Hübner, S. 14/15, Archiv des
ADV, Bonn, zit. nach: Gansohr-Meinel, Heidi: „Fragen
an das Volk“, a.a.O., 62.
7 Für den Hinweis danke ich Olaf Bockhorn.
8 Matrei teilweise mit dem falschen Nummerncode 36-
13-12b.
9 Boehm, Fritz: Volkskunde, a.a.O., 29.
10 Archiv des ADV, Fach Europäische Ethnologie/Volks-
kunde, Universität Innsbruck, 046-22-10b, I. Fragebogen.
11 ADV Innsbruck, 047-7-21c, I.
OSTTIROLER
NUMMER 7-8/2006
8
HEIMATBLÄTTER
Ausschnitt aus Verbreitungskarte Herkunft der kleinen Kinder – Antworten aus Osttirol:
Wald (Defereggen), Gewässer (Kals, Sillian), Keller (Lienz).
12 ADV Innsbruck, 046-16-13. Bei den insgesamt sieben
beschriebenen Seiten dürfte es sich nur um einen Teil
des ursprünglich eingesandten Manuskriptes handeln,
da die Seitenzahl mit 25 beginnt.
13 ADV Innsbruck, 046-16-13, Vorerhebung.
14 Vgl. Ebner, Alois: Hauskunde von Osttirol, Innsbruck
1973 (Dissertation).
15 ADV Innsbruck, 046-16-13, 31.
16 Für Hinweise, welche Personen auf dieser Fotografie
abgelichtet worden sind, wäre ich sehr dankbar.
17 Vgl. ADV Innsbruck, I, Fragen 22-24, 37-41.
18 ADV Innsbruck, 946-17-17d, Fragebogen IV, 177.
19 ADV Innsbruck, 946-17-17d, Fragebogen IV, 177.
20 ADV Innsbruck, 046-4-23b, IV, 173.
21 ADV Innsbruck, 036-35-25a, I, 49.
22 ADV Innsbruck, I, 49. Matrei: 036-35-22c, St. Jakob:
046-9-25d, Innervillgraten: 046-16-7a, Abfaltersbach:
046-17-21d.
23 ADV Innsbruck, 046-22-10b, V, 232.
24 ADV Innsbruck, 036-34-24d, V, 230.
25 ADV Innsbruck, Lienz: 046-18-4a, Matrei: 036-35-22c,
St. Veit: 046-4-23b, Kartitsch: Sillian: 046-22-10b, 046-
22-3ao, V, 230b.
26 ADV Innsbruck, Anras: 046-17-17d, Burg-Vergein:
046-17-13d, IV, 151b.
27 ADV Innsbruck, IV, 182, St. Veit: 046-4-23b; Virgen:
036-34-24d, IV, 182.
28 ADV Innsbruck, IV, 182, 036-34-24d, IV, 182.
29 ADV Innsbruck, 046-17-17d, IV, 182.
30 ADV Innsbruck, 046-4-23b, IV, 182.
31 ADV Innsbruck, Kartitsch: 046-22-10b, Innervillgraten:
046-16-7a, Kals: 036-35-25a, III, 112f.
32 ADV Innsbruck, Kals: 036-35-25a, Lienz: 046-18-4a,
III, 126c.
33 ADV Innsbruck, Lienz: 046-18-4a 3, Iselsberg: 047-7-
21c, St., Veit: 046-4-23b, IV, 193m.
34 Vgl. Scharfe, Martin: Kulturelle Fossilisation. Bräuche,
Traditionen, Traditionsversteinerungen, in: Hessisches
Ministerium für Wissenschaft und Kunst (Hg.): Bräu-
che, Traditionen, Feste. Eine Aufgabe der Heimatpflege
heute?, Wiesbaden 1997, 19-26, hier: 21.
35 ADV Innsbruck, 046-17-13d, III, 107 c.
36 ADV Innsbruck, 046-9-25d, I, 37.
37 Vgl. Berger, Karl C.: Das Klaubaufgehen in Osttirol.
Volkskundliche Untersuchungen zum Wandel eines
Brauchs, Innsbruck 2001 (Diplomarbeit), 135.
38 Vgl. Brückner, Wolfgang: Dingbedeutung und Material-
wertigkeit. Das Problemfeld, in: Hermann Mausé (Hg.):
Realität und Bedeutung der Dinge im zeitlichen Wandel.
Referate der interdisziplinären Tagung des Forschungs-
instituts für Realienkunde am Germanischen Nationalmu-
seum , Nürnberg vom 6.-8. Oktober 1993, 14-21, hier: 16.
39 Vgl. Moser, Hans: Der Folklorismus als Forschungspro-
blem der Volkskunde, in: Hessische Blätter für Volks-
kunde, 55. Band, 1964, 9-57, hier: 10.
40 Vgl. Bausinger, Hermann: Volkskultur in der techni-
schen Welt, Stuttgart 1961, 120.
41 Vgl. Zender, Matthias: Einleitung, in: ders. (Hg.): Atlas
der Deutschen Volkskunde, Neue Folge. Erläuterungen,
Marburg 1959, 3-16, hier: 13.
42 Zur Etymologie von „Tschoch“ vgl. Wörterbuch der
bairischen Mundarten in Österreich (WBÖ), V. Band,
37. Lieferung, Wien 2004, 779. Für den Hinweis danke
ich Hubert Bergmann.
43 Der Sprachwissenschaftler H. Bergmann setzt „Ziga“
mit dem slow.
Cíka
– (braune) Kuh mit weißer Rücken-
zeichnung – in Beziehung. Vgl. Bergmann, Hubert: Sla-
wisches im Namengut der Osttiroler Gemeinden Ainet
und Schlaiten. Anmerkungen zur Slavia submersa im
vorderen Iseltal. Diss. Klagenfurt 2003. 31-32.
44 ADV Innsbruck, Belege für „Tschoch: Lienz, Kals, St.
Jakob, Matrei: „Ziega(le)“: Virgen, Iselsberg, I, 31a-m.
45 Anna Haidegger erwähnt für Matrei beispielsweise
nicht, dass Ziegen auch mit „Guisele!“, Schafe, mit
„Zuze!“ gelockt wurden. Für den Hinweis danke ich
Margarethe Berger, vulgo Gelenzer, Bichl bei Matrei.
46 ADV Innsbruck, 046-3-23b, III, 123b.
47 ADV Innsbruck, 047-7-21c, III, 123b.
48 Berger, Karl: Von der Harpfe, in: Rudolf Ingruber (Hg.):
Osttirol. Geschichte-Volkskunde-Kunst, Innsbruck
2005, 71-88.
49 ADV Innsbruck, 036-35-25a, III, 148c.
50 ADV Innsbruck, Kals: 036-35-25a, St. Jakob: 046-3-
25d, Abfaltersbach: 046-17-21d, Kartitsch: 046-22-10b,
Lienz: 046-18-4a II, 59a bzw. V, 232 (Kartitsch).
51 ADV Innsbruck, 036-36-25d, IV, 198.
52 ADV Innsbruck, 046-22-10b, III, 139.
53 Vgl.: Gerndt, Helge: Kulturwissenschaft im Zeitalter der
Globalisierung. Volkskundliche Markierungen, Berlin
2002, 49.
54 ADV Innsbruck, 046-18-4a, IV, 174 d.
IMPRESSUM DER OHBL.:
Redaktion: Univ.-Doz. Dr. Meinrad Pizzinini.
Für den Inhalt der Beiträge sind die Autoren ver-
antwortlich.
Anschrift des Autos: Mag. phil. Karl C. Berger,
Institut für Geschichte und Ethnologie, Fach
Europäische Ethnologie, Leopold-Franzens-Uni-
versität Innsbruck, A-6020 Innsbruck, Innrain 52.
Manuskripte für die „Osttiroler Heimat-
blätter“ sind einzusenden an die Redaktion des
„Osttiroler Bote“ oder an Dr. Meinrad Pizzinini,
A-6176 Völs, Albertistraße 2 a.