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OSTTIROLER
NUMMER 7-8/2006
4
HEIMATBLÄTTER
Grundkarte, den jeweiligen Ort schnell
geographisch zu lokalisieren.
Die Qualität der Antworten ist höchst
unterschiedlich. Während sich ein Großteil
auf die präzise Beantwortung der Fragen
konzentrierte und negative Antworten –
beispielsweise bei der Frage nach Later-
nen- und Martinsumzügen – häufig sind,
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fallen manche Ausführungen detailreich
aus. Dicht bepackt mit Informationen
sandte der kulturgeschichtlich interessierte
Kooperator Karl Maister, selbst Autor
volkskundlicher und historischer Artikel,
den vierten Fragebogen aus Anras zurück.
Darin kann man beispielsweise ein Gebet
gegen Geister entdecken, welches, wie der
Geistliche angibt, 1933
„noch bei Bedarf“
gesprochen worden wäre:
„Ich befleh in Gottes Macht.
Ich befleh in Gottes Kraft.
Ich befleh in des Menschen (?) Leibes Blut:
Das ist für Frieden und böse Geister gut.“
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Weiters beinhalten die Ausführungen des
Kooperators so genannte Memorate – per-
sönliche Erlebnisse, die als übernatürliche
Phänomene gedeutet wurden. Der Bruder
eines damals 65-jährigen ansonsten aber
anonym gebliebenen Mannes sei einmal
dem Mayrjörger zu Anras begegnet:
„In
einer Nacht im Winterquatember lag dieser
[der Bruder]
in Bett, auf einmal sprangen
Tür u
[nd]
Fenster auf mit Krach u
[nd]
herein kam ein kleines Männchen, allfürch-
terlich gekleidet (…). Als nach Verschwin-
den des Mannes der eine Tür u
[nd]
Fens-
ters schließen wollte, war alles schon ge-
schlossen.“
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Freilich werden manche der
von Maister geschilderten Vorstellungen
über Dämonen und Geister nur mehr bei
der damals älteren Generation verbreitet
gewesen sein. Im Besonderen gilt dies für
den Glauben an Hexen:
„Am häufigsten“,
meldete Christian Gasser aus St. Veit,
sprach man bis vor 20 Jahren von ‚Be-
hexung‘ des Viehes in der Form, dass z. B.
2 Kühe auch mit langen Hörnern in einer
Kette angetroffen wurden, was (…) als un-
möglich erschien. Sonst hört man von Ver-
hexung der Milch, die keine Butter gibt.“
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Die meisten Sagengestalten waren da-
mals bereits zu Kinderschreckfiguren
herabgesunken und hatten ihren früheren
Kontext geändert. In Kals warnte man die
Kinder vor dem Laufen ins Getreidefeld,
da dort
„der Butz, der Wilde Mann
[oder]
der Blutschink“
, ein , wie die Kalser Leh-
rerin Hedwig Weingartner erklärte,
„krö-
tenförmiges Unding“
, wohne und die Stö-
renfriede beißen würde.
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Mit dem Blut-
schink, eine Sagengestalt, die man zumeist
mit dem Nordtiroler Lechtal verbindet,
drohten Eltern auch in St. Jakob, Sillian,
Innervillgraten und Abfaltersbach, wäh-
rend die Matreier Kinder am Abend vor
dem
„Betläutputz“
Angst hatten.
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Obwohl
diese Vorstellungen nur mehr als zweifel-
haftes Mittel der Erziehung eingesetzt
wurden, erlauben gerade solche unschein-
bar wirkenden Erzählungen einen tieferen
Einblick in die Gefühls- und Vorstellungs-
welt der Bevölkerung. Die Zeilen erzählen
von einer engen Verflechtung von Alltag,
Arbeit, Glaube und Aberglaube. Dies wird
beispielsweise auch in manchen Antwor-
ten des Lehrers Franz Föger deutlich:
Nach dem Aufstellen des letzten und be-
sonders groß gebundenen Garbenbüschels
auf einem Kartitscher Getreidefeld, der so
genannten
„Betgarbe“,
versammelten
1. Fragebogen, Frage 49: Hat man eine besondere Redensart, um die Kinder vom
Laufen ins Getreidefeld abzuhalten? – Antwort aus Sillian.
3. Fragebogen, Frage 148: Wie nennt man beim Brotgetreide die Garben? – Antwort aus
Kals.
sich die Erntearbeiter zu einem Gebet. An-
schließend
„wird sie umgeworfen. Krie-
chen die Käfer von der Garbe, so bedeutet
das Unglück, kriechen sie zur Garbe, so
bedeutet das Glück.“
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Solche Losorakel
erfreuten sich einstmals in allen deutsch-
sprachigen Gebieten großer Beliebtheit.
Dies mag ein Grund dafür sein, dass die
Verantwortlichen des ADV gleich durch
mehrere Fragen versuchten, den hellsehe-
rischen Praktiken der Bevölkerung auf die
Schliche zu kommen. Außerdem konnte
gerade ein solches Phänomen relativ ein-
fach in Karten dargestellt werden. Aus den
Osttiroler Antworten zu diesem Thema er-
fährt man, dass es in Virgen Unglück oder
Tod bedeutet habe, wenn mehrere Katzen
wie kleine Kinder geschrien hätten.
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In
Lienz, Matrei, St. Veit, Kartitsch oder Sil-
lian sah man in einem Gras fressenden
Hund einen Vorboten für schlechtes Wet-
ter,
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das Schneien am Hochzeitstag galt in
Anras als Anzeichen für eine kinderreiche
Ehe, im Nachbarort St. Justina als Hinweis
für bevorstehenden Reichtum des Ehe-
paars.
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Dass manche dieser Vorstellungen
heute noch verbreitet sind, birgt keine
Überraschung und findet seine Fortsetzung
insbesondere bei den derzeit wieder aktu-
ellen Fragen zur Bedeutung des Mondes.
Während der heutige Boom oft nur eine
vereinfachte und auf die Gegenwart zuge-
schnittene Variante eines einst komplexen
Gedankensystems ist, wird der historische
Glaube an die Auswirkungen des Mondes
durch eine intensive Naturbeobachtung ge-
kennzeichnet. Dabei spielte, im Unter-
schied zu heute, nicht immer der Schein
des Mondes, sondern vielmehr dessen
Stellung am Firmament eine wesentliche
Rolle. Gerade im Nationalsozialismus er-
fuhr der Glaube an die Kraft des Mondes
als scheinbares Relikt einer germanischen
Glaubenslehre, eine Aufwertung und
wurde beispielsweise durch Heinrich
Himmler gefördert. Es ist deshalb nicht
verwunderlich, weshalb sich auch der
ADV nach dem Mond erkundigte. Die
Fragestellung richtete sich auf die Ernte-
und Aussaatgepflogenheiten. Dabei zeigt