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OSTTIROLER
NUMMER 8/2008
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HEIMATBLÄTTER
Vieldeutig und voller unentschlüsselter
Geheimnisse sind die Ordnungsprinzipien
des bildnerischen Denkens vor allem,
wenn man sie in Beziehung zu perspekti-
visch organisierter Wirklichkeitsabbil-
dung setzt. Eindeutig und konventionell
werden sie für Konstruktionspläne von
Maschinen und Häusern sowie für Logos
und Piktogramme genutzt. Auf ihrer Basis
formt Günther Steiner die spezielle Ikono-
graphie seiner imaginären Welt, die er in
einer Umgestaltung des alten Lebenshilfe-
Emblems auf den Punkt bringt. Vereinfa-
chung und universelle Lesbarkeit zeugen
von einer Ästhetik, die Steiners Bildspra-
che die Richtung wiesen, schon bevor sie
über geeignete Medien verfügte, um allge-
mein als künstlerisch wahrgenommen zu
werden. Seit 1991 überschreibt das Fir-
menzeichen „Hilf Leben ?!“ einen am
Computer entworfenen, in stetigemWach-
sen begriffenen virtuellen Konzern, der
Rettungsschiffe, Einsatzfahrzeuge, Kraft-
werke zur Nutzung alternativer Energien
u. v. m. produziert und in einem umfassen-
den humanitären Projekt die unterschied-
lichsten Professionen vernetzt: Feuerwehr-
leute, Sanitäter und Ärzte, Ingenieure,
Seelsorger und Künstler. Utopia ist durch
die zentralen Motive – Hilfe und Mobilität
– an die Problematik der eigenen Biogra-
fie rückgekoppelt.
2004 wurde Steiners Konzern mit dem
Kunstpreis der Raiffeisen Landesbank
Tirol ausgezeichnet. Man konstatierte
sehr wohl, dass Steiner schon auf der
Documenta vertreten war. „Dennoch hat
seinWerk noch nicht die Beachtung gefun-
den, die es nach übereinstimmender Mei-
nung aller Jurymitglieder verdient.“
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Es
folgte eine Einladung zur Ausstellung
„Opera Austria – Kunst im Herzen Euro-
pas“ in Prato. Die damals „größte Schau
österreichischer Kunst imAusland“ wurde
vom Österreichischen Kulturforum in Rom
und der Universität Innsbruck initiiert. Ein
Jahr später zeigte Steiner seine Arbeit an
der „project wall“ der Kunsthalle Wien.
Steiners eingangs zitiertes Bekenntnis
enthält auch die Einsicht, dass Kunst eine
soziokulturelle Vereinbarung ist. Selbstver-
ständlich betrifft diese auch einen Markt,
der das Angebot des Künstlers an seiner
Reichweite und der Kaufkraft der Konsu-
menten misst. Am Kunstbetrieb aber ist ein
viel weiter verzweigtes Netzwerk an Kräf-
ten, Meinungen und Interessen beteiligt, das
sich hierarchisch nicht strukturieren lässt.
Vereinbarungen sind exklusiv. Mit wem
sie nicht getroffen werden, ist im Kleinge-
druckten geregelt. So hängt beispielsweise
die Teilnahmeberechtigung an einem im
Jahr 2000 erstmals ausgeschriebenen inter-
nationalen Kunstwettbewerb vom Nach-
weis einer „so genannten geistigen Behin-
derung“ ab. Er richtet sich an „… Men-
schen, denen in der Regel aufgrund ihrer
Behinderung eine kulturelle Randstellung
zugewiesen bleibt. (!)“
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Dagegen erweisen sich Anpassungs-
druck, Vereinnahmung und Nivellierung
als Schattenseiten einer um jeden Preis an-
gestrebten Integration. Nichts aber schadet
dem Kunstbetrieb mehr als die Minimie-
rung von Unterschieden. Inklusion besteht
auf der Vielfalt – die Alternative heißt
nämlich Einfalt – und begreift sie als das
Ergebnis einer Vereinbarung, die jedem,
der sich berufen fühlt, erlaubt, auf seine je
eigene Weise einem Beruf nachzugehen.
Ob es Kunst ist, entscheiden die anderen.
Anmerkungen:
1 Rudolf Ingruber, Zeitkunst in Osttirol, in: Tirol – Immer
einen Urlaub wert, Nr. 40, Sommer 1992, S. 81-94.
2 Alfred Nemeczek, Das Bild der Kunst. Vom Pattern
Painting zum Crossover. Künstler, Szene und Tenden-
zen 1979-1999. Eine Bilanz zum Ende des 20. Jahrhun-
derts. DuMont Buchverlag, Köln 1999, S. 54.
3 Leo Navratil, Die Künstler aus Gugging, Wien – Belin
1983.
4 Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens, Heidelberg,
Pädagogische Hochschule – Innsbruck, Galerie im
Taxis Palais – Lienz, Städtische Galerie.
5 V. a. Gilles Deleuze, Felix Guattari, Rhizom, Berlin,
Merve Verlag 1977.
6 Paul Sztulman, Christine & Irene Hohenbüchler, in:
Kurzführer zur documenta X, 1997, S. 102.
7 Vgl. Barbara Steiner (Hg.), Lost Paradise. Positionen
der 90er Jahre, München – Stuttgart 1995, S. 132.
8 So z. B. Lóránd Hegyi, Neue Malerei und Neue Plastik
seit den 70er Jahren, in: Wieland Schmied (Hg.), Ge-
schichte der bildenden Kunst in Österreich, Bd. 6, Mün-
chen – London – NewYork 2002, S. 252. Vgl. auch Ne-
meczek, wie Anm. 2, S. 202.
9 Lebenshilfe Osttirol. Berichte – Informationen – Mittei-
lungen, November 1995.
10 Leonhard Emmerling, Die Kunsttheorie Jean Dubuffets,
Heidelberg 1999, S. 118 f.
11 Max Kläger, Kunst und Künstler aus Werkstätten. Sta-
tus, Eigenarten, Pflege. Baltmannsweiler 1999, S. 4 f.
12 Zu Elfriede Skramovsky vgl.: Rudolf Ingruber, Zeitge-
nössisches Kunstschaffen in Osttirol. Lois Salcher und
Elfriede Skramovsky, in: Tirol an Isel und Drau – eine
Annäherung, Arunda 65 (2005), S. 220-229.
13 Kunstpreis 2004 der Raiffeisen-Landesbank Tirol AG,
Ausstellungskatalog, S. 9.
14 Die Zitate stammen aus dem Klappentext des Ausstel-
lungskataloges EUWARD. 1. Europäischer Kunstpreis
Malerei und Graphik von Künstlern mit geistiger Be-
hinderung, München 2000; das Ausrufungszeichen in
Klammern stammt vom Verfasser.
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Katastrophenhilfe
disaster relief
TLF-AR
Tanklöschfahrzeug
Katastrophenhilfe
disaster relief
Aus dem
Konzern von
Günther
Steiner, Com-
putergrafik.
Logo des
Günther Stei-
ner Konzerns.
Clemens Erlsbacher, Aus dem Beitrag „Gute Aussichten“, zur Entente Florale 2006,
digitale Fotomontage.