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OSTTIROLER
NUMMER 10/2008
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HEIMATBLÄTTER
Mit der ersten Begegnung mit dem Teu-
fel widerfuhr Kammerlander ein ein-
schneidendes Erlebnis. Es geschah zu
einer Zeit, als sich Kammerlander bereits
mit dem Hofer eingelassen hatte. Eines
schönen Sonntagmorgens während der
Kirchzeit, Kammerlander schlief im Stall
seines Bruders Hans, der in Lienz behaust
war, seinen Rausch aus, stand plötzlich der
Satanas vor ihm. Kammerlander schilderte
eindringlich das äußere Erscheinungsbild
dieses Teufels: Grau, grün und schwarz ge-
scheckt war er, besaß einen großen Kopf,
aus dem große Augen strahlten. Im Maul
leuchtete alles rot, und wenn Satanas mit
seiner rasselnden und eigentümlich hohlen
Stimme sprach, so züngelten Flammen
heraus. Ansonsten ähnelte, Satanas durch-
aus einem Menschen, wenn auch alles an
ihm zutiefst hässlich und schrecklich an-
zuschauen war. Der Pakt war schnell
geschlossen, wenn auch nicht endgültig,
nachdem Satanas versprochen hatte, ihn
künftig mit genügend Geld für das Trinken
zu versorgen. Beschlossen wurde der
Pakt, indem ihn der Teufel an der Gurgel
packte und ihm die Worte vorsprach, die
Kammerlander nachzusprechen hatte. Die
waren des Inhalts, er werde sich künftig
Gott verweigern, ihn leugnen und den
bösen Geistern und Unholden dienen.
Wenig später wurde der Pakt erneuert.
Zum Zeichen seiner Unterwerfung musste
Kammerlander dem Satanas vier Finger
einer Hand reichen.
Kammerlander erzählte von zahllosen
Treffen mit dem Teufel, den er meist als
Satanas, hin und wieder Böser oder
Schwarzer Geist bezeichnete, wobei dieser
stets unvermutet auftauchte. Er schenkte
ihm immer wieder kleinere Geldbeträge,
er drückte ihm die Münzen aber nicht in
die Hand, er warf sie ihm hin. Wiederholt
stachelte ihn der Satanas an, wacker zu
saufen, zu völlern, zu raufen, den Leuten
zu schaden und forderte von ihm ärgste
Schandtaten, die zu tun er sich aber aus
Mitleid oder Angst verweigerte: Zum Bei-
spiel seine Frau zu erwürgen, weil sie mit
ihm zankte, wenn er besoffen nach Hause
kam; oder den Hans Mittewalder zu er-
schlagen. (Dieser Mittewalder muss ein
Intimfeind des Kammerlanders gewesen
sein; vermutlich war er es, der ihn als
Zauberer angezeigt hatte.) Kammerlander
traute dem Teufel nicht über den Weg,
drängte er ihn doch in Situationen, die
Kammerlander eine Tracht Prügel ein-
brachten, versuchte ihn in den Selbstmord
zu treiben oder gar zu ermorden, um sich
so seiner Seele zu bemächtigen. Nur hin
und wieder spukte ein zweiter Teufel
herum, der seinen Namen nicht preisgab,
und Satanas als Knecht diente.
Nach Kammerlanders Aussagen brachte
ihm der Satanas persönlich zwei schwere
Schadenszaubereien bei, das „Wetter-
machen“ und das „Leuteverzehren“. Der
Satanas zeigte ihm, welche Utensilien es
brauchte, welche Worte zu sprechen
waren, um die Geister und Unholden auf-
zubieten, die Schauer und Hagel schickten,
um die Ernten zu vernichten. Auf des
Teufels Geheiß probierte es Kammer-
lander dreimal aus, vor etwa zwölf Jahren
in Anras, vor etwa zehn Jahren und im
vorigen Jahr jeweils im Thurner Gebiet.
Großer Schaden sei aber, davon war
Kammerlander überzeugt, durch die von
ihm heraufbeschworenen Unwetter nicht
entstanden.
Kammerlander bekannte, der Satanas
habe ihn gelehrt, Leute zu saugen, zu fres-
sen und zu verzehren, wie er dabei vorzuge-
hen und welche Worte er zu sprechen habe.
Mit Vampirismus oder gar Kannibalismus
hatte das aber nichts zu tun. Die Worte Sau-
gen, Fressen, Essen oder Verzehren um-
schreiben das Auszehren der Lebensgeister,
das Krankmachen eines Menschen. Der
Zauberer saugte zu diesen Zweck unter
heimlichem Aufsagen der Zauberworte an
einem bestimmten Körperteil eines Men-
schen, bevorzugt die linke Brust, es konn-
ten auch drei Finger der linken Hand sein.
Nach wenigen Wochen erkrankte die derart
behandelte Person, hütete über Wochen und
Monate das Krankenbett und starb letztlich.
Mit dieser Zauberei habe er, behauptete
Kammerlander, angestiftet vom Satanas,
vier Menschen getötet, wobei er sich aber
letztlich nicht sicher war, ob sie wegen sei-
nes „Saugens“ sterben mussten oder doch
eines natürlichen Todes starben. Praktischer
Weise waren unter den vier Opfern drei
Personen, die sich die Feindschaft des
Kammerlanders zugezogen hatten: der
Sebastian Defregger, weil ihm dieser als
Vormund im nahen Verwandtenkreis vor-
gezogen worden war, seine Mitgesellinnen
und Unholden, die Vell Moser und die
Anna (Andl) Gantschnig, die beide, so hatte
ihm Satanas eingeflüstert, vorhatten, ihn an
die Obrigkeit zu verraten. Der Balthasar
Auslueger hingegen hatte Kammerlander
um Hilfe gebeten, konkret um Gegenzau-
ber, weil er wegen seiner angeschwollenen
linken Brust befürchtete, von den Trutten
ausgesaugt worden zu sein und dabei seine
Mieterin Anna Gantschnig in Verdacht
hatte.
Solche Geständnisse von Zauberern und
Hexen bergen ein Geheimnis in sich. In
ihnen werden Erlebnisse und Handlungen
geschildert, anschaulich und mit Details
ausgeschmückt, die zwar in der damaligen
Vorstellungswelt existiert, aber in Wirk-
lichkeit nicht stattgefunden haben. Die
Begegnungen mit dem Teufel, den Hexen-
flug hatte sich Kammerlander, aus
welchen Gründen immer, „eingebildet“.
Trifft das aber auch auf andere magische
Handlungen zu – das Wettermachen, das
Viehsaugen und das Leuteverzehren? Sind
sie ebenfalls der Phantasie entsprungen
oder sind sie, im Vertrauen auf die Wirk-
samkeit dieses Schadenzaubers, praktiziert
worden?
Ist Andrä Kammerlander auf Grundlage
seines Geständnisses vom Landgericht
Lienz zum Tode verurteilt und hingerichtet
worden? Die Antwortet lautet: nein. Einen
eindeutigen Beleg für diese verneinende
Antwort fehlt zwar, aber es sprechen eine
Reihe von Indizien dafür: Es existiert kein
Urteil. Wäre Kammerlander zum Tode ver-
urteilt worden, hätte die Regierung in Inns-
bruck als oberste Gerichtsinstanz damit
befasst werden müssen, was aber nicht der
Fall war. Sein Vermögen wäre beschlag-
nahmt und eingezogen worden, was aber
unterblieben ist. Dass Kammerlander
nicht hingerichtet, vielmehr in Freiheit und
hoffentlich Frieden 1590 gestorben ist,
dafür spricht vor allem eine Tatsache:
Mathes, Andräs Erbsohn und Nachfolger
auf dem Kammerlanderhof, vereinbarte
1591 mit seinen Geschwistern die Aus-
zahlungen auf das väterliche Erbe.
4
Anmerkungen:
1 Hansjörg Rabanser: Hexenwahn. Schicksale und Hinter-
gründe. Die Tiroler Hexenprozesse. Innsbruck-Wien 2006
2 Erhalten hat sich vom Strafverfahren gegen Andrä
Kammerlander lediglich die „Urgicht“ oder Geständnis,
aufbewahrt im Tiroler Landesarchiv (TLA) als Hand-
schrift 1478.
3 TLA: Landgericht Lienz, Verfachbuch 1576 fol. 130
und fol. 150
4 TLA: Landgericht Lienz, Verfachbuch 1591 fol. 5 und
fol. 205
IMPRESSUM DER OHBL.:
Redaktion: Univ.-Doz. Dr. Meinrad Pizzinini.
Für den Inhalt der Beiträge sind die Autoren
verantwortlich.
Anschrift des Autors dieser Nummer: HR
Dr. Wilfried Beimrohr, Tiroler Landesarchiv,
A-6020 Innsbruck, Michael-Gaismair-Straße 1.
Manuskripte für die „Osttiroler Heimatblät-
ter“ sind einzusenden an die Redaktion des
„Osttiroler Bote“ oder an Dr. Meinrad Pizzinini,
A-6176 Völs, Albertistraße 2 a.
Der Kammerlanderhof in Thurn, Oberdorf, von wo Andrä Kammerlander herstammte.
Foto: Raimund Mußhauser, Thurn