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im Bild, beantwortet Lois Salcher zum
einen mit Struktur gebenden Farbfeldein-
heiten und zum anderen als immanent vor-
rangige Kompositionsidee mit beschriebe-
nem Schichtaufbau und durch den Malpro-
zess erreichte Oberfächentextur. Jene
Textur nämlich ist wie eine durchgängige
Hautschicht, die samtig und schlierig sein
kann und Farbe in dem Sinn taktil erfahrbar
macht. Lois Salcher will in seinen Bildern
jene atmosphärische Verdichtung schaffen,
die schlussendlich jenes räumliche Sehen
und Wahrnehmen am Bild provoziert.
Die Horizontale, die Vertikale, die Dia-
gonale und das Kreismotiv bedeuten für
ihn sich einer urelementaren Formenspra-
che zu bedienen, die Teil unserer aller Vor-
stellungs- und Lebenswelt ist. Versetzte
Rechtecke und Quadrate, Furchen, Rau-
tenformen und Annäherungen an Hori-
zontmotive provozieren jene optischen Be-
wegungseinheiten im Bildraum, die von
unserem visuellen Wahrnehmungssystem
als räumliche Strukturiertheit bis hin zur
ausgestalteten Tiefendeutung erkannt wird.
Die Großformatigkeit vieler Arbeiten
auf Leinwand unterstützt natürlich diesen
meditativ sakralen Charakter, der im vor-
defnierten Raum- und Zeitgefüge einer
Parallelwelt ähnelt. Die lineare Abgren-
zung der meistens nur schwach kontras-
tierten, auch leicht komplementären Farb-
felder fndet sich doch bevorzugt in der
horizontalen Ebene wieder, auch wenn
man den Eindruck gewinnt, dass grafsche
Elemente durchaus gleichwertig bis mehr-
wertig mit eingebracht werden. Die
grafsch konzipierten Arbeiten, wie z. B.
die Ankäufe der Albertina in Wien, werden
von Lois Salcher dennoch als Malwerke
verstanden, deren grafsch induzierte
Komponenten eigentlich einem ursächlich
malerischen Konzept unterlegen sind –
auch wenn Kohle oder Graft als unbunte
Einheiten die Pinselschrift beherrschen.
Zum Arbeitsprozess des Kunstschaffen-
den zählen kleinformatige Arbeiten auf
Papier, Fingerübungen und Farbstudien
gleich, unzählige Notizen, Formstudien
und notierte themenspezifsche Textpassa-
gen, die schließlich durchgehender impul-
siver Teil der fertig ausgearbeiteten Bild-
werke darstellen. Rudolf Ingruber porträ-
tiert 2004 treffend Lois Salchers
Malhabitus, wenn er schreibt:
„Mit außer-
künstlerischem Kalkül ist Salchers Kunst,
die die Kritik gelegentlich neokonstruktiven
Tendenzen anzuschließen versuchte, aller-
dings nicht beizukommen, denn zwischen
den geometrischen Extremen fnden un-
zählige poetische Feinheiten Platz.“
6
Das Sphärische, das Romantische im his-
torischen Kontext gesehen, ist genauso Teil
der ideellen Konstruktion des Bildinhaltes
bei Lois Salcher, wie die mittelalterliche
Temperamethode und bewahrt sich vor der
Transformation ins Unscheinbare. Eine Be-
merkung mit Essenz zum Thema Geist und
Kunst des Frühromantikers Novalis (1772-
1801) fndet auch in der Gegenwart ihre
Wertigkeit:
„So wie nichts frei, so kann
auch nichts gezwungen seyn, als der Geist.
Nur ein Geist kann wozu gezwungen wer-
den. Was sich also zwingen läßt, ist Geist, in
sofern es sich zwingen läßt. – Leben ist eine
Krankheit des Geistes, ein leidenschaftli-
ches Thun.“
7
Es ist eine substanzielle Na-
tursicht mit meditativem Charakter, die vor-
dergründig als solche verstanden werden
kann – das Vordergründige als Ergebnis, als
oberste Schicht von langen Vorarbeiten.
„Der ächte Beobachter ist Künstler; er ahn-
det das bedeutende, und weiß aus dem selt-
samen, vorüberstreichenden Gemisch von
Erscheinungen die wichtigen heraus zu füh-
len.“
8
Es liegt wohl in der Natur des fein-
geistigen Menschen, sich der Zeit und dem
Raum mit den eigenen, vertrauten Mitteln
zu stellen und in Folge dessen Materie und
Geist in Verbindung bringen zu wollen –
auch wenn der Geist, ganz nach dem Vor-
satz des Malers auf seiner Bildebene, doch
nicht alles zu erfassen im Stande ist!
ANMERKUNGEN:
1 Wassily Kandinsky, Über das Geistige in der Kunst –
insbesondere in der Malerei, überarbeitete Neuaufage,
Bern
2
2006, S. 68.
2 Ebenda.
3 Ebenda, S. 137.
4 Max Weiler, Kunst ist Natur, Arbeiten auf Papier 1980-
1986, Ausstellungskatalog zur gleichnamigen Ausstellung
im Rupertinum Salzburg, TLM Ferdinandeum, o. O.
[Innsbruck] 1986, S. 14.
5 Vgl. Eleonora Bliem-Scolari, Kunstschaffende aus Ost-
tirol und deren vielschichtige Kunstartikulation, in: Kul-
turberichte 2006 aus Tirol und Südtirol, Bildende Kunst,
60. Jg., Nr. 445/446, S. 31-34, hier S. 34.
6 Rudolf Ingruber, Zeitgenössisches Kunstschaffen in Ost-
tirol: Lois Salcher und Elfriede Skramovsky, in: Tirol an
Isel und Drau (Arunda 65), Bozen 2004, S. 220-229, hier
S. 227.
7 Novalis, Fragmente vermischten Inhalts, I. Philosophie
und Physik, in: Ludwig Tieck/Friedrich Schlegel (Hgg.),
Schriften, II. Teil,
5
Berlin 1837, S. 106-169, hier S. 156.
8 Ebenda, S. 157.
Bildmaterial: Eleonora Bliem-Scolari
OSTTIROLER
NUMMER 6/2011
4
HEIMATBLÄTTER
2010: „Purpur“, 50 x 70 cm, Pigmente auf Leinen. Versetzte geometrische Felder sind
Landschaft und physisch erlebbares Farbkonstrukt zugleich.
Lois Salcher in seinem Atelier in Lienz 2010.
IMPRESSUM DER OHBL.:
Redaktion: Univ.-Doz. Dr. Meinrad Pizzi-
nini. Für den Inhalt der Beiträge sind die
Autoren verantwortlich.
Anschrift der Autorin dieser Nummer:
Mag. phil. Eleonora Bliem-Scolari, A-6020
Innsbruck, Dr.-Stumpf-Straße 45a; E-Mail:
el.bliem-scolari@gmx.at.
Manuskripte für die „Osttiroler Heimat-
blätter“ sind einzusenden an die Redaktion
des „Osttiroler Bote“ oder an Dr. Meinrad
Pizzinini, A-6176 Völs, Albertistraße 2 a.